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Edathy-Affäre: Die SPD kämpft um Oppermann

Edathy-Affäre

Die SPD kämpft um Oppermann

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    Thomas Oppermann steht in der Affäre Edathy stark unter Druck. Doch die SPD will ihn nur ungern opfern.
    Thomas Oppermann steht in der Affäre Edathy stark unter Druck. Doch die SPD will ihn nur ungern opfern. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Wäre Thomas Oppermann nicht schon Fraktionsvorsitzender der SPD - er müsste es glatt werden. Ein Mann, der sich „absolut korrekt“ verhält, der auch in heiklen Situationen „offen und transparent informiert“ und sich vorher noch mit dem Kollegen von der CSU abstimmt: So einer, findet Sigmar Gabriel, ist über alle Zweifel erhaben. So einer muss nicht zurücktreten.

    Es ist ein etwas schmallippiger Auftritt, mit dem der SPD-Chef seinen schwer in die Kritik geratenen Parteifreund da verteidigt, die Botschaft dahinter aber ist eindeutig: Soll die Union auch schäumen – Oppermann wird nicht geopfert. Der hat zwar die Demission von Agrarminister Hans-Peter-Friedrich erzwungen, was auch Gabriel bedauert, weil der CSU-Mann sich ja menschlich höchst anständig verhalten habe und Schaden von der neuen Koalition abwenden wollte, als er ihn im Oktober diskret über den Fall Edathy informierte. Dafür nun aber eine Art Gegenleistung von der SPD einzufordern, einen weiteren Rücktritt gar: „Das ist nicht fair.“

    Für die Union ist der Fall noch nicht erledigt

    Unter normalen Umständen ist die Pressekonferenz nach der Präsidiumssitzung reine Routine, ein Termin für die Generalsekretärin. Normal aber ist im Moment nichts mehr in Berlin, und deshalb steht an diesem Montag nicht die neue Generalsekretärin, sondern der Parteichef höchstselbst auf dem kleinen Podium im Foyer des Brandt-Hauses.

    Chronologie: Die Affäre Edathy

    2012: Die kanadische Polizei informiert das Bundeskriminalamt über deutsche Kunden eines kanadischen Online-Shops, der auch Kinderpornografie vertreibt. Im Oktober 2012 gibt das BKA die Daten zur Auswertung an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.

    Oktober 2013: BKA-Chef Jörg Ziercke informiert den Staatssekretär des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU). Der sagt SPD-Chef Gabriel, dass im Rahmen von Ermittlungen im Ausland der Name Edathy aufgetaucht sei. Gabriel erzählt Fraktionschef Steinmeier davon.

    5. November 2013: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, erfährt in einem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Celle erstmals von dem Verdacht.

    Anfang Januar 2014: Edathy meldet seiner Fraktion seine Krankschreibung. Ende November 2013 hatte der innenpolitische SPD-Fraktionssprecher Michael Hartmann Oppermann bereits darüber informiert, dass Edathy gesundheitliche Probleme habe.

    22. Januar 2014: Edathys Anwalt sucht das Gespräch mit Oberstaatsanwalt Thomas Klinge. Dabei wiederholt er, was sein Mandant gerüchteweise gehört habe. "Die Filme seien allerdings nicht pornografisch gewesen, Herr Edathy besitze sie auch nicht mehr", sagt der Anwalt nach Darstellung Jörg Fröhlichs.

    28. Januar 2014: Die Staatsanwaltschaft entscheidet, Ermittlungen einzuleiten, die zunächst verdeckt laufen.

    7. Februar 2014: Edathy legt nach 15 Jahren sein Bundestagsmandat nieder. Als Motiv nennt er gesundheitliche Gründe.

    10. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover lässt Edathys Wohnungen im niedersächsischen Rehburg und in Berlin sowie Büros durchsuchen. Offenbar stoßen sie dabei nur auf wenig Material.

    11. Februar 2014: Edathy weist in einer Erklärung den Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie zurück. Einen Tag später erhebt er Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft: Die Razzien in seinen Wohnungen und Büros seien unverhältnismäßig und widersprächen rechtsstaatlichen Grundsätzen.

    13. Februar 2014: SPD-Fraktionschef Oppermann gibt bekannt, dass Sigmar Gabriel bereits im Oktober vom damaligen Innenminister Friedrich über mögliche Ermittlungen gegen Edathy informiert worden sei.

    14. Februar 2014: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Fröhlich, gibt Einzelheiten zu den Ermittlungen bekannt. Danach geht es um den Kauf von Bildern mit nackten Jungen zwischen neun und 13 Jahren. Das liege im Grenzbereich zur Kinderpornografie, so Fröhlich. Zu dem Tipp von Friedrich an Gabriel sagt er: "Wir sind fassungslos."

    14. Februar 2014: Friedrich erklärt, er wolle im Amt bleiben, bis über ein Ermittlungsverfahren entschieden ist. Nur wenige Stunden später tritt er als Agrarminister zurück.

    18. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover leitet ein Verfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Geheimnisverrats ein. Ein Behörden-Brief kam unverschlossen sechs Tage nach Versand an. Er sollte den Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über den Fall Edathy informieren. Es ist bekannt, dass sich ein Anwalt Edathys schon im November nach möglichen Ermittlungen erkundigt hat.

    24. Februar 2014: Gegen Edathy wird ein SPD-Parteiordnungsverfahren eingeleitet.

    2. Mai 2014: Es wird vom Landeskriminalamt Niedersachsen berichtet, dass sich Edathy strafbares kinderpornografisches Material über seinen Bundestag-Laptop beschafft habe. Die Staatsanwaltschaft schweigt.

    17. Juli 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover klagt den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Besitzes von kinderpornografischen Fotos und Videos an.

    29. August 2014: Edathy scheitert mit seiner Beschwerde wegen der Durchsuchung seiner Wohnung und seines Abgeordnetenbüros beim Bundesverfassungsgericht.

    18. November 2014: Das Gericht lässt die Anklage gegen Edathy zur Hauptverhandlung zu.

    23. Februar 2015: Am Landgericht Verden startet der Prozess gegen Edathy. Er endet nach nur rund 90 Minuten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollen bis zur nächsten Sitzung erneut über eine Einstellung sprechen.

    2. März 2015: Das Gericht stellt das Verfahren ein. Zuvor hat Edathy eine Erklärung verlesen lassen, in der er die Anklagevorwürfe einräumt. Zwar muss er 5000 Euro zahlen, aber er ist nicht vorbestraft.

    1. Juni 2015: Edathy muss seine SPD-Mitgliedschaft drei Jahre ruhen lassen. Das entscheidet das Schiedsgericht des SPD-Bezirks Hannover. Für einen von der Parteispitze beantragten Parteiausschluss sieht das Gremium keine ausreichende Grundlage.

    Der Mann also, bei dem das große Rätsel beginnt, weil es Gabriel war, der sein Wissen Oppermann und dem damaligen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier offenbarte. Dass einer von ihnen Edathy gewarnt haben könnte, bestreitet der Vizekanzler zwar energisch. Für die Union jedoch ist der Fall damit noch nicht erledigt. Vor allem in der CSU ist der Groll auf die Genossen groß.

    Was Oppermann sich geleistet habe, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Georg Nüßlein im Gespräch mit unserer Zeitung, sei „ein Ablenkungsmanöver, um den eigenen Kopf zu retten.“ Auf die Frage, ob er zurücktreten müsse, antwortet der Günzburger Abgeordnete zunächst mit Schweigen. Dann sagt er: „Ich glaube, ja.“ Dass ein CSU-Minister gehen muss, weil gegen einen SPD-Abgeordneten ermittelt wird, sei grotesk: „Friedrich hat die SPD vor der Regierungsbildung vor einem internen personellen Debakel geschützt und wird jetzt dafür bestraft.“

    Merkel fordert, dass offene Fragen geklärt werden

    Das ursprünglich für heute Abend geplante Treffen des Koalitionsausschusses, an dem kraft seines Amtes auch Oppermann teilgenommen hätte, haben Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Seehofer da schon abgesagt. Anstatt den Fall Edathy und seine Folgen in großer Runde mit den Fraktionsvorsitzenden und Generalsekretären zu erörtern, wollen die Parteivorsitzenden lieber unter sich bleiben.

    Der SPD-Chef hat die Kanzlerin zwar schon am vergangenen Mittwoch kurz informiert – die aber ist mit dem, was sie bisher weiß, nicht zufrieden. Es müsse „der sichtbare Versuch“ unternommen werden, lässt sie ihren Sprecher Steffen Seibert ausrichten, „dass die Fragen, die im Raum stehen, überzeugend geklärt werden“.

    Das heißt vor allem: Hat jemand aus der SPD Edathy über das Verfahren informiert – und wenn ja, wer? Auch der umstrittene Anruf des Fraktionschefs beim Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, müsse noch aufgearbeitet werden, verlangt Seehofer. „Oppermann wollte offensichtlich etwas wissen, was unter die Verschwiegenheitspflicht fällt“, betont der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Juristisch könnte das als Anstiftung zum Verrat von Dienstgeheimnissen gewertet werden.

    Fast beiläufig folgt Christian Schmidt Friedrich im Amt

    Eher beiläufig nimmt das politische Berlin angesichts solcher Vorwürfe zur Kenntnis, wer Friedrichs Nachfolge als Minister antritt: Christian Schmidt, ebenfalls Franke, seit acht Wochen Staatssekretär im Entwicklungsministerium und seit Ludwig Erhard 1949 der erste Fürther, der Bundesminister wird.

    Schmidt und der Bamberger Abgeordnete Thomas Silberhorn, der ihm als Staatssekretär in seinem alten Ressort folgt, sind die einzigen, für die diese Krise etwas Gutes hat: Sie kommen plötzlich in Ämter, die ihnen vor kurzem noch verschlossen waren. Seehofer lobt den Neuen dennoch als „erste Wahl“ und ist sich, wie er sagt, mit der Kanzlerin einig: „Der wird das gut machen.“

    Der Auslöser dieser Rochade, Sebastian Edathy, hat über seinen Anwalt Christian Noll kurz zuvor eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, eingelegt. Auf elf Seiten wirft Noll ihm vor, er habe die Öffentlichkeit in seiner Pressekonferenz am Freitag „bewusst unrichtig“ über das Verfahren informiert und versucht, legal erworbene Filme „in den Graubereich der Kinderpornografie zu schieben“.

    Edathy legt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Leiter der Staatsanwaltschaft ein

    Fröhlich habe Zusammenhänge konstruiert, die so nicht bestünden, und massiv die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten verletzt, „dessen berufliche, soziale und private Stellung von einer Minute auf die andere ausgelöscht wurde“.

    Das Mitleid des Parteichefs hält sich dennoch in Grenzen: Unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz, sagt Gabriel, sei die SPD über das, was sie nun über Edathy wisse, „entsetzt und fassungslos“. Die Mitgliedsrechte des 44-Jährigen ruhen deshalb seit gestern.

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