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Interview: EU-Verhandlungen nach Brexit: „Eine weitere Chance wurde vertan“

Interview

EU-Verhandlungen nach Brexit: „Eine weitere Chance wurde vertan“

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    Nebeneinander: Die Fischereirechte und gleichwertige Wettbewerbsbedingungen sind die Hauptstreitpunkte zwischen Großbritannien und Europa.
    Nebeneinander: Die Fischereirechte und gleichwertige Wettbewerbsbedingungen sind die Hauptstreitpunkte zwischen Großbritannien und Europa. Foto: Jens Büttner, dpa (Symbol)

    Die Gespräche zwischen London und Brüssel über die Beziehungen zwischen Großbritannien und Europa nach dem Brexit treten auf der Stelle. Auch die dritte Verhandlungsrunde über ein Handels- und Partnerschaftsabkommen brachte kaum Fortschritte. Beide Seiten warfen der jeweils anderern Seite fehlende Bewegung vor. Knackpunkte sind die Fragen gleicher Wettbewerbsbedingungen und die Fischereirechte. Dadurch rückt die Gefahr eines „No Deal“ immer näher. Denn bis Ende Juni muss klar sein, ob es innerhalb der verbleibenden Frist bis zum Jahresende einen Vertrag über die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit gibt – oder nicht. David McAllister ist Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament.

    Eine weitere Verhandlungsrunde zwischen Brüssel und London ohne Fortschritte. Ist das so? Oder passiert vielleicht hinter den Kulissen doch mehr als man sagt?

    David McAllister: Es ist enttäuschend, dass auch in dieser dritten Verhandlungsrunde keine nennenswerten Fortschritte erreicht wurden. Die Übergangsphase bis zum Ende des Jahres verrinnt kontinuierlich, ohne dass sich beide Seiten auf einander zu bewegen. Eine weitere Chance wurde vertan.

    Sie sagen, es gab „keine nennenswerten Fortschritte“ – also auch keine Annäherung in einigen Punkten?

    McAllister: Die britische Delegation hat zur Fischerei-Politik jetzt ein Arbeitsdokument vorgelegt, man ist in dieser Sache jetzt ein kleines Stück vorangekommen. Das ist ein Anfang, reicht aber nicht. Darüber hinaus konnte in ein paar kleineren Themen Übereinstimmungen gefunden werden. Aber das ist alles sehr bescheiden und eben weit von konkreten Fortschritten entfernt.

    Es hakt immer noch bei der Anerkennung der europäischen Standards?

    McAllister: Ja, faire Wettbewerbsbedingungen sind das wichtigste Thema, bei dem man sich bislang nicht näherkommt. Die EU ist bereit, dem Vereinigten Königreich ein wirklich großzügiges Angebot zu machen. Wir bieten ein Handelsabkommen ohne Zölle und Quoten. Das setzt jedoch voraus, dass die britische Seite unsere bewährten Sozial- und Umweltschutzstandards sowie die Regelung für staatliche Beihilfen und Besteuerung übernimmt. Das ist ein bisher nie dagewesenes Angebot für einen Drittstaat.

    Man habe Großbritannien ein "nie dagewesenes Angebot" für einen Drittstaat gemacht, so Europapolitiker David McAllister.
    Man habe Großbritannien ein "nie dagewesenes Angebot" für einen Drittstaat gemacht, so Europapolitiker David McAllister. Foto: Christophe Gateau, dpa (Archiv)

    Für die Briten bedeutet dies natürlich, dass sie mit den Standards weitermachen sollen, wegen denen sie aus der EU ausgetreten sind. Müsste Brüssel da nicht etwas mehr auf London zugehen?

    McAllister: Wir unterbreiten ein hochattraktives Angebot, indem wir den umfassenden Zugang zu einem der größten Binnenmärkte der Welt mit 430 Millionen Verbrauchern ermöglichen. Dies ist für die britische Wirtschaft ein enormer Vorteil. Im Gegenzug erwarten wir dafür, dass unsere Auflagen akzeptiert werden. Diese politische Frage muss in London beantwortet werden.

    McAllister: Vereinbarung gemeinsame Standards in Handelspolitik üblich

    Der britische Unterhändler David Frost hat am Freitag gesagt, ein Standard-Freihandelsabkommen sei jederzeit möglich. Was muss man darunter verstehen? Ein Abkommen, in dem nichts steht?

    McAllister: Das sollten Sie David Frost fragen. In der modernen Handelspolitik ist es allerdings längst üblich, dass man nicht nur den Abbau von Zöllen vereinbart, sondern auch gemeinsame Standards zum Wohle der Menschen und der Umwelt formuliert.

    Am 1. Juni wird weiter verhandelt. Haben Sie wenigstens ein bisschen Hoffnung, dass sich dann etwas bewegt?

    McAllister: Die nächste Runde vom 1. bis 5. Juni wird entscheidend. Denn danach sollten beide Seiten beurteilen, wie es weitergeht. Ende Juni soll ja eine hochrangige Konferenz stattfinden, die eine erste Bilanz zieht und festlegt, ob und wenn ja, in welche Richtung und mit welchem Ziel die Verhandlungen fortgeführt werden. Die Zeit drängt. Die Pandemie ist dabei natürlich eine zusätzliche extreme Herausforderung.

    Sie sind Europäer, Deutscher, haben auch einen britischen Pass. Sie kennen das britische Denken. Pokert London mit der Angst vor einem No Deal?

    McAllister: It takes two to tango - zum Tango gehören immer zwei, sagen die Engländer. Wir Europäer können die politische Verhandlungslinie Londons nicht so basteln, wie wir sie gerne hätten. Wir müssen sie akzeptieren. Aber wenn das Vereinigte Königreich schon die Zollunion und den Binnenmarkt verlässt, sollte es doch eigentlich auch im ureigenen Interesse der Menschen und der Unternehmen sein, ein gut funktionierendes Partnerschaftsabkommen mit der EU zu vereinbaren. Denn es geht darum, wie wir auch künftig als Nachbarn, Partner und NATO-Verbündete möglichst gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten werden. Daran muss auch London gelegen sein.

    Zur Person David McAllister, 49, gehört dem Europa-Parlament seit 2014 an und leitet seit 2017 den Auswärtigen Ausschuss. Der CDU-Politiker war von Juli 2010 bis Februar 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen.

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