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Kommentar: EU-Staaten und Corona? Jeder für sich ist auch keine Lösung

Kommentar

EU-Staaten und Corona? Jeder für sich ist auch keine Lösung

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    Die Europäische Union hat den Impfstart vermasselt und uns allen schwer geschadet. Nationalen Egoismus nun als Rezept zu verkaufen, schadet aber genauso.
    Die Europäische Union hat den Impfstart vermasselt und uns allen schwer geschadet. Nationalen Egoismus nun als Rezept zu verkaufen, schadet aber genauso. Foto: Julian Leitenstorfer (Symbolbild)

    In der Impfwut ist offenbar jedes wütende Klischee erlaubt. Die BILD-Zeitung druckte gerade ein Foto, das angeblich die europäische Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides im September vorigen Jahres entspannt auf ihrem Balkon zeigt. Die Zeitung schimpft über die „Füße-hoch-Kommissarin“ – und suggeriert, die Zypriotin habe es sich damals in der Sonne gut gehen lassen, statt frühzeitig Impfstoff gegen Corona zu besorgen. Deswegen wohl, so der versteckte Vorwurf, müssten nun so viele Europäer sterben.

    Das ist ein plumper, ein schlimmer Angriff auf die angeblich so unfähigen und arroganten „Brüsseler Bürokraten“. Noch schlimmer ist aber: Europa und die EU derzeit gegen solche Attacken zu verteidigen fällt leider verdammt schwer – weil die Europäische Union und ihre Beamten in den vergangenen Monaten leider verdammt viel falsch gemacht haben.

    Ursula von der Leyen: Nicht frei von Selbstgefälligkeit

    Dabei war die Idee, eine gemeinsame Lösung für den Kontinent zu finden, natürlich richtig. Doch in das EU-Korps hatte sich Größenwahn eingeschlichen, was neben vielen Stärken eine Schwäche der hoch qualifizierten Bürokraten ist. Befeuert wurde dieser Eifer durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, von Selbstgefälligkeit ebenfalls nicht frei. Natürlich gefiel ihr die Idee, sie könne – vielleicht im Duett mit ihrer Parteifreundin Angela Merkel – den Kontinent vor dem Virus retten.

    Wer die EU-Strukturen kennt, weiß aber: Gesundheitspolitik ist Sache der Mitgliedstaaten, deswegen haben sich mächtige Länder selten um das Ressort gerissen. Auch die Beamten in der Kommission, die etwa im Wettbewerbsrecht jeden Weltkonzern in die Knie zwingen können, waren mangels Übung auf beinharte Einkaufsverhandlungen mit Pharmafirmen kaum vorbereitet. Dass sich dann noch Staatenlenker wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (den das Impfdesaster die nächste Wahl kosten könnte) oder Kanzlerin Merkel ständig einmischten? Gar keine gute Idee.

    Dem europäischen Zusammenhalt haben sie alle so einen Bärendienst erwiesen. Warum die EU-Impfoffensive genau schief lief, verstehen nur Insider. Dass auf dem Kontinent erst wenige geimpft sind, in den USA oder Großbritannien aber schon viele, versteht hingegen jeder. Das ist ein unverhofftes Geschenk für Europa-Gegner wie den britischen Premier Boris Johnson. Dem setzten die vielen Corona-Toten in seinem Land und immer spürbarere Nachteile seines Brexit-Deals daheim eigentlich mächtig zu. Nun aber kann er sich feiern lassen, weil man dank seiner Brexit-Genialität ja nichts mehr mit verschnarchten Impfzögerern zu tun habe. Donald Trump ist nicht mehr im Amt – aber wäre er es, würde er schreien: America First.

    Wollen wir werden wie Boris Johnson oder Donald Trump?

    Wollen wir so werden? Natürlich nicht. Gewiss, es ist kein Impfnationalismus, im eigenen Land so schnell wie möglich so viele Impfungen wie möglich zu fordern. Aber umgekehrt stimmt es noch lange nicht, dass jedes Land am besten alleine eine Lösung für die vielleicht größte globale Krise findet. Wollen wir den Gedanken eines internationalen Miteinanders ganz aufgeben, nur weil Krise ist?

    Dabei geht es ja nicht nur um das Impf-Rennen im Westen. Es geht auch um den Rest der Welt, wo viele ärmere Staaten noch gar nicht auf Impfstoff hoffen dürfen – und Solidarfonds für sie bislang eher mit Almosen bestückt werden.

    Natürlich müssen wir einen deutschen Bundesgesundheitsminister gerade drängen, für uns Bürger Impfstoff einzukaufen, was das Zeug hält. Aber irgendwann müssen wir auch mal wieder darüber nachdenken (dürfen), wie wir diese Weltkrise gemeinsam hinbekommen – in Europa und in der Welt.

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