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EU-Polizeimission: Wie die EU ihre Ortskräfte in Afghanistan im Stich lässt

EU-Polizeimission

Wie die EU ihre Ortskräfte in Afghanistan im Stich lässt

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    Die Mission Eupol war ein Prestigeprojekt der EU. Um die damaligen Mitarbeiter vor Ort fühlt sich Brüssel heute nicht mehr zuständig.
    Die Mission Eupol war ein Prestigeprojekt der EU. Um die damaligen Mitarbeiter vor Ort fühlt sich Brüssel heute nicht mehr zuständig.

    Die Operation Eupol war ein Aushängeschild für die Europäische Union. Mit der Europäischen Polizei-Mission in Afghanistan wollte die EU nicht nur helfen, die Sicherheit in dem Krisenland mit der Ausbildung afghanischer Polizisten zu stärken. Eupol war auch ein außenpolitisches Zeichen, dass die EU selbst Verantwortung in Auslandseinsätzen übernimmt.

    Fast eine halbe Milliarde Euro ließ sich Brüssel den Aufbauversuch von 2007 bis 2016 von Rechtsstaatlichkeit kosten. Selbst eine erfolgreiche Krimiserie im afghanischen Fernsehen gehörte dazu, in der „Kommissar Amanullah“ unter einer resoluten Polizeichefin das neue Bild der Polizei verkörpern und für den lebensgefährlichen Job werben sollte.

    Polizeiausbilder in großer Sorge um frühere Mitarbeiter

    „Mit dem guten Image von Eupol war es kein großes Problem, international Polizisten, Staatsanwälte und Richter für die Mission zu gewinnen“, erinnert sich Andrea Thies. Die frühere Mitarbeiterin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, war lange vor Ort in Afghanistan Personalchefin und Verwaltungsleitung der Eupol-Mission. Heute sorgt sich die 69-jährige Berlinerin um ihre vielen damaligen afghanischen Mitarbeiter vor Ort, die im Auftrag der EU unter anderem als Übersetzer und Helfer tätig waren.

    Schon seit langem kämpft Thies darum, die damaligen Ortskräfte nach Europa zu holen. 2017 nach Beendigung der Mission wurden komplette Personalunterlagen von fast 400

    Brüssel behauptet: Die EU kann keine Visa erteilen

    „Wir haben immer wieder die Antwort bekommen: Wir als Institution in Brüssel können gar keine Visa erteilen, das ist Sache der Mitgliedstaaten.“ Im Juli schrieben Thies und ihre Mitstreiter an den EU-Botschafter in Kabul und baten: „Bitte bringt das in Brüssel noch mal auf die Tagesordnung.“ Auf insgesamt 16 Briefe an verschiedene EU-Stellen bekamen Thies und ihre Mitstreiter kaum Antworten. Von offizieller Seite wurde dabei auf die Zuständigkeit der EU-Staaten verwiesen. „Aber Eupol war kein Programm unter Führung eines bestimmten Landes, sondern lief unter der Schirmherrschaft der EU.“

    Die EU-Ortskräfte landeten damit nicht auf den Listen der Nato oder einzelner EU-Länder und waren in den nationalen Programmen für die Sicherung der Ortskräfte nicht enthalten. „Unser Team hat dann zusammen mit unseren lokalen Mitarbeitern in Kabul bis Anfang August eine Liste zusammengestellt, die 131 Namen umfasste. Darauf standen alle Ortskräfte, die noch in Kabul gelebt haben und die in dieser Zeit schon gefährdet waren.“

    Ex-Eupol-Verwaltungschefin: "Unsere Mitarbeiter fallen durch den Rost"

    Doch wieder bekam das frühere Eupol-Team aus Brüssel keine Unterstützung: Sinngemäß hieß es, da die EU kein Staat ist, könne sie keine Helfer aus Afghanistan holen. Das könnten nur die Mitgliedstaaten. „Unsere Ortskräfte fallen durch den Rost, einfach, weil sich keiner zuständig erklärt und Brüssel sagt: Wir können selber nicht handeln, weil wir kein Visum erteilen können“, kritisiert Thies.

    Mehr Erfolg hatte der niederländische ehemalige Generalstaatsanwalt Jan Gras, der als ehemaliges Eupol-Missionsmitglied zusammen mit einem Team die Regierung in Den Haag mehrfach um Hilfe bat und in Medien von Misshandlungen und Verhören ehemaliger EU-Ortskräfte durch die Taliban berichtete: Immerhin 35 afghanische EU-Ortskräfte konnten inzwischen durch die Intervention der niederländischen Regierung evakuiert werden. Eine kleine Zahl gelangte mithilfe anderer Programme nach Großbritannien, Dänemark und Neuseeland.

    60 bis 80 afghanische frühere Eupol-Mitarbeiter warten auf Rettung

    „Aber es gibt gegenwärtig noch in Kabul zwischen 60 und 80 afghanische frühere Eupol-Mitarbeiter, die weder eine Aufnahmeerklärung, Bestätigung oder irgendeine andere Unterstützung der EU haben“, kritisiert Thies. Inzwischen werde es immer schwerer, Kontakt zu halten. „Wir dürfen diese Menschen nicht im Stich lassen, die EU ist verantwortlich auch für ihre afghanischen Mitarbeiter“, betont sie. „Und was passiert mit den afghanischen Mitarbeitern der Projekte, die durch die EU voll gefördert wurden?“

    Unterstützung erhält die frühere Eupol-Verwaltungschefin vom Grünen-Europaabgeordneten Sven Giegold. „Kommissionschefin Ursula von der Leyen muss die Evakuierung der afghanischen Ortskräfte der EU-Missionen zur Chefsache machen“, betont der Grünen-Politiker.

    Es gehe nicht nur um Eupol, sondern auch um frühere Mitarbeiter der EU-Delegation sowie des europäischen Hilfsprogramms Echo. Die Zahl aller Ortskräfte und deren engste Familienangehörige schätzt Giegold auf 600, von denen nur ein kleiner Teil ausgeflogen werden konnte. Dass die EU-Kommission und Mitgliedstaaten die Verantwortung für Ortskräfte noch immer hin und her schöben, sei „erbärmlich“.

    EU-Innenministerkonferenz widmet Problem keinen einzigen Satz

    Die EU-Innenministerkonferenz widmete dem Thema in ihrer Erklärung keine Zeile. Stattdessen warnten die Minister breit vor einer neuen Flüchtlingswelle. „Das Gebaren der EU-Innenminister gegenüber Schutz suchenden Menschen aus Afghanistan ist an menschenfeindlichem Zynismus kaum mehr zu überbieten“, kritisiert Grünen-Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth. „Statt frühzeitig und umfassend Menschen zu evakuieren, statt nun der eigenen humanitären Verantwortung gerecht zu werden und großzügige wie unbürokratische Aufnahmen zu garantieren, setzen die EU-Innenminister alles daran, die europäischen Mauern noch höher zu ziehen.“

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