Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

EU-Kommission: Ursula von der Leyen: Wie sie denkt, wie sie taktiert, wie sie kämpft

EU-Kommission

Ursula von der Leyen: Wie sie denkt, wie sie taktiert, wie sie kämpft

    • |
    Geschickt sich selbst in Szene gesetzt: Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) 2014 auf dem Nato-Flugplatz Hohn.
    Geschickt sich selbst in Szene gesetzt: Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) 2014 auf dem Nato-Flugplatz Hohn. Foto: Axel Heimken, dpa

    Die Momente, in denen aus der sonst so kühlen, distanzierten Ursula von der Leyen ein Mensch wie du und ich wird, sind selten – aber es gibt sie. An einem Abend im April 2015, zum Beispiel, hat die Verteidigungsministerin in Estland gerade eine neue Einheit der Nato besucht, als sie schon etwas geschafft zurück in ihr Hotel in Tallin kommt. Andere Politiker würden jetzt mit ihrer Delegation noch einen Absacker an der Hotelbar nehmen und sich dann zügig verabschieden –

    Eilig werden ein paar Flaschen Bier herbeigeschafft, die Ministerin zieht sich die Schuhe aus, macht es sich auf dem Sofa bequem – und es entspinnt sich ein langes und launiges Gespräch über die Probleme der Bundeswehr, die Befindlichkeit der Gastgeberin und ihre ganz persönlichen Pläne. Auch ein Wechsel nach Brüssel ist damals schon kurz ein Thema, zum Beispiel auf den Posten des Nato-Generalsekretärs. Davon aber will Ursula von der Leyen an diesem Abend nichts wissen.

    Ursula von der Leyen: Plötzlich wurde ihr Name aus dem Hut gezaubert

    Nun geht sie doch. Überraschend. Umstritten. Überfallartig. Weil die großen politischen Lager in Europa sich nicht auf einen ihrer Spitzenkandidaten aus dem Wahlkampf verständigen können, zaubern Verhandlungsführer Donald Tusk, der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag plötzlich die deutsche Verteidigungsministerin als neue Präsidentin der Kommission aus dem Hut, die erste Frau auf diesem Posten überhaupt. Dass sie vom

    Am Mittwoch fliegt sie nach der Kabinettssitzung nach Straßburg, um für sich zu werben, zu überzeugen, Zweifel auszuräumen. Denn von denen, das weiß sie, gibt es viele. Auch einen eigenen Twitter-Account hat sie unter dem Motto „von Herzen Europäerin“ rasch einrichten lassen. Ihre erste kurze Botschaft dort: „Hallo Europa. Hello Europe. Salut l’Europe!“

    Wenn der Name von der Leyen im Flurfunk vor dem EU-Gipfel überhaupt gefallen ist, dann allenfalls bei der Debatte über die möglichen Nachfolger für die Außenbeauftragte Federica Mogherini – ein Metier, in dem die Ministerin schon lange zu Hause ist. Bei allen Problemen, die sie mit den explodierenden Kosten bei der Gorch Fock hat, mit umstrittenen Beraterverträgen in ihrem Ministerium oder der notorischen Mangelwirtschaft in der Bundeswehr – anders als zuvor das Familien- oder das Sozialministerium bietet das Verteidigungsressort ihr von Anfang an auch eine internationale Bühne, die sie von der Münchner Sicherheitskonferenz bis zu den regelmäßigen Nato-Treffen gut und gerne bespielt.

    Dann fiel der Spitzname „Flinten-Uschi“

    Ein Land wie Deutschland, argumentiert Ursula von der Leyen dabei, müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, notfalls auch militärisch. Mit den Waffenlieferungen an die Kurden in das Kriegsgebiet im Nordirak hat sie sogar ein deutsches Tabu gebrochen. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller tobte damals, wo er auch hinkomme, werde er nach Ärzten und Krankenschwestern gefragt, nicht aber nach Soldaten. Weniger wohlmeinende Abgeordnete verpassen der Verteidigungsministerin gar den Spitznamen „Flinten-Uschi“.

    Diese kleinen Gehässigkeiten des politischen Alltags lächelt Ursula von der Leyen mit der Gewissheit einer Frau weg, die weiß, was sie kann, und die politische Durchsetzungsfähigkeit nicht als reine Männerdisziplin begreift. Unter anderen Umständen, in einer anderen Zeit, wäre die Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht vermutlich als Idealbesetzung für das höchste politische Amt durchgegangen, das EU-Europa zu vergeben hat: Geboren und aufgewachsen in Brüssel, wo ihr Vater schon Kabinettschef eines Kommissars war, fließend Englisch und Französisch sprechend, erfahren im Regieren und eine bemerkenswerte Biografie mit sieben Kindern, einem Medizinstudium und einer rasanten politischen Karriere obendrein.

    Nun aber ist sie die Frau, die allen demokratischen Lippenbekenntnissen zum Trotz als Kompromisspräsidentin ausgekungelt wurde, die als Verteidigungsministerin im Moment mehr Probleme als Lösungen hat und zu Hause, in Deutschland, weniger Unterstützer als im übrigen Europa. Sigmar Gabriel, der frühere SPD-Vorsitzende, hält ihren Wechsel nach Brüssel für einen Grund, die Große Koalition aufzukündigen. Weil die Sozialdemokraten strikt gegen von der Leyen sind, muss sich Deutschland am Dienstag bei ihrer Nominierung im Europäischen Rat sogar enthalten – als einziges Land.

    Wie kam es dazu, dass Ursula von der Leyen nominiert wurde?

    Wie es genau zu der späten Volte von Brüssel kam, lässt sich auch am Tag danach noch nicht zweifelsfrei rekonstruieren. Hatte Angela Merkel die Lösung mit von der Leyen schon im Hinterkopf? Hat sie gar dezent für sie geworben? Selbst einer der Chefunterhändler der Konservativen zuckt bei dieser Frage mit den Schultern. „Das weiß ich nicht.“ Sicher ist nur, dass Ursula von der Leyen ihre Kontakte in die französische Regierung schon seit längerem mit besonderer Hingabe pflegt und neuerdings offenbar auch einen guten Draht zu Macron selbst hat, den sie erst vor wenigen Tagen bei der Luftfahrtschau in Le Bourget getroffen hat.

    Spätestens dort, sagt ein Mann mit Einfluss in der Koalition, dürfte dem Präsidenten aufgefallen sein, dass die deutsche Verteidigungsministerin perfekt auf Französisch parliere und auch sonst vielleicht für noch höhere Aufgaben geeignet sei. Als klar ist, dass in der Runde der Staats- und Regierungschefs keiner der bisherigen Kandidaten durchzusetzen ist, lässt Macron über einen Vertrauten bei von der Leyen anfragen, ob sie zur Verfügung stünde. Sie selbst erlebt das alles aus der Ferne mit – dass sie im Gespräch ist, erfährt sie im brandenburgischen Schloss Ziehten, wohin die Ministerin sich mit einigen ihrer Generäle zu einer Klausur zurückgezogen hat. Die Nachricht, dass sie es tatsächlich werden soll, erreicht sie dann am Dienstagabend in Berlin.

    Ursula von der Leyen ist eine Frau, die nicht geliebt, aber respektiert wird. Eine Einzelkämpferin, der es bis heute nicht gelungen ist, sich in ihrer Partei eine Hausmacht aufzubauen, und die deshalb auf Parteitagen regelmäßig die schlechtesten Wahlergebnisse einfährt. Gleichzeitig aber hat sie es mit Zähigkeit und Zielstrebigkeit binnen kürzester Zeit zu einer beispiellosen Präsenz und Prominenz gebracht: Kommunalpolitikerin, Landesministerin, Bundesministerin und jetzt, womöglich, Präsidentin der EU-Kommission. Was bei anderen nicht in ein politisches Leben passt, dauert bei ihr keine 20 Jahre.

    Ein berühmt gewordenes Foto aus ihren Anfangsmonaten als Verteidigungsministerin, aufgenommen im Morgengrauen kurz vor dem Abflug eines Hilfstransports, zeigt eine Frau, die weiß, was sie will: ernst, entschlossen, voll kühler Energie. Natürlich ist dieses Bild nicht zufällig entstanden, wie Ursula von der Leyen überhaupt nichts gerne dem Zufall überlässt.

    Auf der anderen Seite aber sind die Dinge, vorsichtig gesagt, zuletzt auch nicht wirklich so gelaufen, wie die 60-Jährige es sich vielleicht gewünscht hätte. Dazu ist das Chaos bei der Bundeswehr einfach zu groß und die Kritik an der Ministerin viel zu laut.

    Das Verhältnis von Ursula von der Leyen zu Angela Merkel ist etwas abgekühlt

    Auch deshalb, darf man annehmen, ist ihr Name in den Planspielen über die Post-Merkel-Ära schon seit längerem nicht mehr gefallen. Spekulationen, sie strebe direkt ins Kanzleramt, hat Ursula von der Leyen ohnehin stets mit dem Argument abgewehrt, dafür komme in jeder Generation ja nur einer oder eine infrage, und das sei in ihrer Generation eben Angela Merkel. Gleichzeitig aber ist die promovierte Ärztin, deren politische Karriere nach ihrer Rückkehr von einem längeren Auslandsaufenthalt in den USA 1990 im Gemeinderat von Sehnde bei Hannover begonnen hat, ehrgeizig genug, es sich trotzdem zuzutrauen. Wer weiß schon, was noch kommt? „Gleichgültigkeit“, hat Ursula von der Leyen einmal gesagt, „ist für mich keine Option.“

    Das Verhältnis zu ihrer frühen Fördererin Angela Merkel ist mit den Jahren allerdings etwas abgekühlt, was keineswegs nur daran liegt, dass sie im Streit um eine Frauenquote in Aufsichtsräten gemeinsame Sache mit der Opposition gemacht hat und die Kanzlerin ihren Widerstand gegen die Quote aufgeben musste. Als der damalige Bundespräsident Horst Köhler im Mai 2010 entnervt als Bundespräsident zurücktritt, lässt die Parteivorsitzende Merkel ihre Ministerin von der Leyen einen Tag lang im Glauben, sie werde dessen Nachfolgerin. Fragen nach ihrer Zukunft beantwortet die vermeintlich Auserwählte an jenem Tag, indem sie den Finger verschwörerisch an den Mund legt – als stünde alles schon fest, nur dürfe sie noch nichts dazu sagen. Am Ende aber zieht Angela Merkel ihr dann doch Christian Wulff vor. Die Blamage ist perfekt.

    Den Fehler, sich zu sicher zu fühlen, wird Ursula von der Leyen also nicht noch einmal machen. Sie ist nominiert, aber noch nicht durch.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden