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EM 2016: Deshalb fiebern wir heute mit unserer Mannschaft mit

EM 2016

Deshalb fiebern wir heute mit unserer Mannschaft mit

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    Die deutsche Nationalmannschaft trifft im Viertelfinale auf Italien.
    Die deutsche Nationalmannschaft trifft im Viertelfinale auf Italien. Foto: Marius Becker/dpa

    Woher rührt das eminente Interesse an der Fußball-Europameisterschaft? Warum zieht dieses Turnier auch viele Menschen, die mit dem Fußball sonst nichts zu schaffen haben, in seinen Bann? Wie kommt es, dass EM-Spiele ganze Nationen emotional bewegen? Die Antwort auf diese Fragen ist ganz einfach. Es geht nicht nur um Fußball, die schönste Nebensache der Welt, die in ihrer Unberechenbarkeit dem Leben gleicht und gerade deshalb fasziniert. Es geht um mehr: Die Spiele vermitteln den Zuschauern das Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein.

    Der Fußball, so hat es der Historiker Hobsbawm formuliert, „ist prädestiniert, die symbolische Funktion einer Volksgemeinschaft im Kleinen zu erfüllen“ – vor allem wegen der Leichtigkeit, mit der sich der Einzelne dabei mit seiner Nation identifizieren kann. Deshalb fiebern die Italiener heute Abend mit ihrem Team und die Deutschen mit ihren Spielern; deshalb werden Nationalfahnen geschwungen und Hymnen mitgesungen.

    Die Nationalelf hat eine integrative Kraft

    Das hat nichts mit Nationalismus oder der Herabwürdigung anderer zu tun. In dieser Begeisterung für die eigene Nationalelf kommt nur die Verbundenheit zum Ausdruck, die der Einzelne mit seinem Land und seinen Landsleuten empfindet und die zu den Grundkonstanten des Lebens zählt. Und es schwingt ein bisschen von jenem patriotischen Stolz mit, den jede selbstbewusste, in sich ruhende nationale Gemeinschaft hat und der auch den von nationalistischen Irrwegen gründlich kurierten Deutschen guttut.

    Man soll nicht zu viel hineininterpretieren in die gesellschaftspolitische Wirkung, die der Fußball entfalten kann. Kein noch so grandioser Sieg vermag die Probleme eines Landes zu kaschieren. Aber gerade in diesen Krisenzeiten, in denen viele Gesellschaften innerlich zerrissen und – wie die ganze Europäische Union – von Zerfall bedroht sind, ist den Menschen nach dem Gefühl der Zusammengehörigkeit zumute. Es ist, neben der engeren Heimat, noch immer die Nation, die „Identität“ und Geborgenheit stiftet und unmittelbare demokratische Teilhabe ermöglicht.

    Die Nationalelf ist eine der wenigen Institutionen, die dieses Grundbedürfnis nach Identität noch erfüllt. Sie hat eine integrative Kraft – auch weil sie ein Spiegelbild unserer bunt gewordenen, ethnisch heterogenen Gesellschaft ist. Spieler mit ausländischen Wurzeln wie Boateng, Özil oder Khedira sind beste Beispiele für Integration und Vorbilder für junge Menschen. Die Nationalelf sei „nicht mehr deutsch“, klagt der AfD-Spitzenpolitiker Gauland. Was für ein völkisches, fremdenfeindliches Gerede! Der Rechtspopulismus knüpft das „Deutschsein“ an die ethnische Herkunft, weil er auf die ethnische Homogenität einer Nation aus ist. Doch man ist und wird Deutscher durch Geburt und Einbürgerung.

    Was die europäische Politik davon lernen kann

    Die weit überwiegende Mehrheit der Menschen, die ihren Mannschaften zujubeln, denkt europäisch und fühlt sich doch als Deutsche oder Italiener. Was die Politik daraus lernen kann? Alle Versuche, den Völkern von oben herab einen EU-Superstaat zu verordnen und das Leben immer mehr zu vergemeinschaften, sind zum Scheitern verurteilt. Die Idee von der immer enger werdenden Union verträgt sich nicht mit der Vielfalt Europas und der Sehnsucht der Menschen nach einem Leben in überschaubaren, nationalen, demokratisch gestaltbaren Einheiten.

    Es gibt keine europäische Identität. Die EU muss sich also auf jene Probleme konzentrieren, die nur gemeinsam zu lösen sind – und zugleich einen Weg finden, der den Nationen sowie deren Parlamenten mehr Eigenständigkeit ermöglicht. Nur so kann die Erneuerung der EU, die um der Zukunft Europas willen nicht scheitern darf, gelingen. 

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