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EHEC: Im Dschungel der Zuständigkeiten

EHEC

Im Dschungel der Zuständigkeiten

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    Lebensmittelproben werden beim Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt in Krefeld auf den EHEC-Erreger getestet. dpa
    Lebensmittelproben werden beim Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt in Krefeld auf den EHEC-Erreger getestet. dpa

    Vier Wochen EHEC: die wichtigsten Stationen

    1. Mai: Das Robert Koch-Institut (RKI) datiert die erste blutige Durchfallerkrankung auf diesen Tag. Auslöser ist das Bakterium EHEC (enterohämorrhagisches Escherichia coli). Viele Patienten erleiden die schwere Verlaufsform HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom).

    21. bis 23. Mai: Die Patientenzahlen steigen rasant. Bis zum 5. Juni werden 630 HUS-Fälle und 1601 bestätigte EHEC-Infektionen gemeldet.

    22. Mai: Das RKI vermutet rohes Gemüse als Überträger.

    25. Mai: RKI und Bundesinstitut für Risikobewertung warnen vor dem Verzehr von Salatgurken, Blattsalaten und rohen Tomaten insbesondere in Norddeutschland.

    26. Mai: Forscher identifizieren den Keim für den aktuellen EHEC-Ausbruch (EHEC-Typ O104). Ein Schnelltest wird entwickelt. Spanische Salatgurken sind mit EHEC-Erregern belastet. Erst später stellt sich heraus, dass es sich dabei nicht um den gerade enttarnten Keim handelt.

    2. Juni: Forscher entziffern das Genom des aggressiven Erregers.

    5. Juni: Sprossen aus einem Betrieb in Niedersachsen geraten in Verdacht. Erste Proben untermauern das nicht.

    Daniel Bahr ist noch neu im Amt – und vorsichtig. Am Wochenende hat der Gesundheitsminister im Hamburger Universitätsklinikum Patienten besucht, die dort mit einer EHEC-Infektion liegen. Er hat Ärzte und Pfleger für ihren Einsatz gelobt und die Beamten in den Behörden. Nur über ein Thema mochte der 34-Jährige nicht wirklich reden: das Krisenmanagement von Bund und Ländern. Obwohl die Opposition seit Tagen die Informationspolitik der Regierung und die „suboptimale“ Koordination bemängelt, hält sich Bahr aus diesem Streit heraus. Allein Verbraucherministerin Ilse Aigner  bietet ihren Kritikern gelegentlich die Stirn. Die Behörden, sagt sie dann, konzentrierten alle Kräfte auf den Kampf gegen die Epidemie. Für eine Föderalismusdebatte sei da keine Zeit.

    Tatsächlich erleben Bahr und Aigner mit EHEC nichts anderes als frühere Minister mit der Rinderseuche BSE, bei Vogel- und Schweinegrippe oder den diversen Gammelfleischskandalen. In keinem Bereich der Politik reden auf so vielen Ebenen so viele Menschen mit wie bei der Lebensmittelsicherheit: Bundes- und Landesministerien, Bundesinstitute und Landesämter, Mediziner, Mikrobiologen. Eine zentrale Stelle, die in Krisen die Arbeit der einzelnen Stellen effizient koordiniert, gibt es bislang nicht. Das Bundesgesundheitsamt hatte der damalige Minister Horst Seehofer nach einem Skandal über HIV-infizierte Blutkonserven 1994 aufgelöst und seine Aufgaben anschließend auf drei neue Institute verteilt.

    Einen EHEC-Krisenstab gibt es schon, jetzt wird eine "Seuchen-Polizei" gefordert

    Mittlerweile kümmert sich im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das Aigners Ressort untersteht, zwar ein eigener Krisenstab um die EHEC-Krise. Bis dahin allerdings, moniert der SPD-Experte Karl Lauterbach, habe vor allem Bahr die Epidemie unterschätzt. Während das medizinische System bestens funktioniere, fehle der Politik eine schnelle Eingreiftruppe, eine Art „Seuchen-Polizei“, die nach Lauterbachs Ansicht dem Gesundheitsminister unterstehen sollte. Von dem heutigen Spitzentreffen der zuständigen Landesminister bei Bahr und Aigner erwartet die Opposition wenig. Diese Runde, klagt die grüne Fraktionschefin Renate Künast, früher selbst Verbraucherministerin, sei „reine Show“ und das Krisenmanagement der Regierung bislang „miserabel“.

    Das Internetportal für Lebensmittelwarnungen ist noch immer nicht fertig

    Dioxin-Hühnchen und gepanschtes Speiseöl - Lebensmittelskandale in Europa

    GIFTÖL: Mehr als 1200 Menschen starben 1981, nachdem sie gepanschtes spanisches Speiseöl zu sich nahmen. Das Rapsöl, das in Frankreich zu industriellen Zwecken hergestellt worden war, wurde in Spanien als Speiseöl verkauft. Mehr als 20.000 Menschen erlitten Vergiftungen durch das Öl, das mit Anilin verseucht war. Nach dem Skandal brachen die Verkaufszahlen für Olivenöl drastisch ein und erholten sich erst zwei Jahre später wieder.

    BSE: Die Rinderseuche BSE wurde 1986 erstmals bei Kühen in Großbritannien nachgewiesen und breitete sich in ganz Europa aus. Auf dem Höhepunkt der Krise verhängte die Europäische Union 1996 ein Exportverbot für britisches Rindfleisch. Forscher hatten zuvor nachgewiesen, dass der Verzehr von BSE-belastetem Fleisch zur neuen Variante der tödlich verlaufenden Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen führen kann. Durch die Krankheit, an der in Großbritannien 170 Menschen starben, wird das Gehirn nach und nach wie ein Schwamm durchlöchert.

    DIOXINHÜHNCHEN: 1999 wurde das krebserregende Dioxin in belgischem Hühnerfutter nachgewiesen. Geflügel und Eier aus belgischer Produktion wurden europaweit aus den Ladenregalen verbannt, was die Geflügelindustrie in eine schwere Krise stürzte. Belgien führte daraufhin ein Frühwarnsystem für verunreinigte Futtermittel ein. Als Konsequenz aus dem Skandal wandten sich viele Verbraucher von Eiern und Geflügel aus Massentierhaltung ab.

    VOGELGRIPPE: Vier Jahre nach dem Dioxinskandal ging erneut die Angst vor Geflügelfleisch um. Verantwortlich war die Vogelgrippe, die 2003 in Asien auftrat. Das H5N1-Virus, das die Krankheit auslöst, befällt vor allem Vögel, kann aber auch auf den Menschen übertragen werden und schwere Atemwegsinfektionen auslösen. Mehr als 240 Menschen starben an der Krankheit.

    EHEC: Nach den großen Fleischskandalen ist es nun Gemüse, das für die Verbreitung des lebensgefährlichen Darmkeims EHEC verantwortlich gemacht wird. Zunächst galten spanische Gurken als Quelle des Keims. Inzwischen werden die Erreger in Sprossen, also Gemüsekeimlingen, vermutet. Allein in Deutschland starben bislang mehr als zwanzig Menschen an der EHEC-Epidemie.

    Versuche, die verworrenen Zuständigkeiten zu ordnen, hat es immer wieder gegeben – mit überschaubarem Erfolg. Das Internetportal für Lebensmittelwarnungen zum Beispiel, das die Koalition nach dem Skandal um das mit Dioxin verseuchte Tierfutter im Januar versprochen hat, ist noch immer nicht fertig. Im aktuellen Fall kommt erschwerend hinzu, dass Bund und Länder ganz unterschiedliche Vorstellungen von ihren Informationspflichten haben. Wie der niedersächsische Agrarminister Gert Lindemann von einer „heißen Spur“ zu den Sprossen aus einem Biobetrieb  berichtete, ist in Berlin jedenfalls nicht gut angekommen.

    Um die Menschen nicht völlig zu verwirren, finden die meisten Bundespolitiker, sollte solche Warnungen nur eine Stelle aussprechen, und zwar eine aus dem Beritt des Bundes. Das Robert-Koch-Institut (RKI) aber darf, weil die Länder zuständig sind, nur auf deren „Einladung“ tätig werden – wenn es seine Zuständigkeit nicht wie bei EHEC ohnehin an das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) verliert...

    Ein Institut forscht, eines verkündet

    Medizinische Abkürzungen und was sich dahinter verbirgt

    EHEC - Die Abkürzung des EHEC-Erregers steht für Enterohämorrhagische Escherichia coli. Es handelt sich um eine gefährliche Darmkrankheit.

    HUS - Das hämolytisch-urämische Syndrom (kurz: HUS) ist eine schwere Verlaufsform der Darmkrankheit EHEC, bei der giftige Stoffwechselprodukte des Bakteriums zu Nierenschäden führen können.

    HIV - Ein Virus, der das Immunsystem eines Menschen schwächt. Das HI-Virus kann durch Körperflüssigkiten von Mensch zu Mensch übertragen werden. Eine Ansteckung führt nach einer unterschiedlich langen, meist mehrjährigen Inkubationszeit zur tödlich verlaufenden Krankheit AIDS.

    BSE - Bovine spongiforme Enzephalopathie, im Deutschen auch "Rinderwahn" genannt, ist eine Tierseuche, die zwischen 1996 und 2000 für Schlagzeilen gesorgt hat. Dabei erkrankt das Gehirn bei Rindern und führt zu deren Tod.

    H5N1 - Hinter dieser Abkürzung verbirgt sich ein Influenzavirus. Polpulärwissenschaftlich ist bei H5N1 die Rede von der "Vogelgrippe".

    H1N1 - Im Jahr 2009 breitete sich die sogenannte "Schweinegrippe" bzw "neue Grippe" aus. Die Ansteckungsgefahr am Influenzavirus H1N1 ist vor allem bei Enten, Menschen und eben Schweinen groß.

    Nicht einmal die beiden Bundesinstitute operieren von der gleichen Basis aus: Das RKI untersteht Bahr, das BfR Aigner. Vereinfacht gesagt ist das eine für das Erforschen und Bewerten gefährlicher Krankheiten zuständig, das andere für die Information darüber. Der FDP-Mann Hans-Michael Goldmann, der Vorsitzende des Verbraucherausschusses, plädiert daher für eine Zusammenlegung der zuständigen Bundesbehörden zu einem Institut, „das die Gesundheit der Menschen in besonderer Weise im Blick hat“. Bisher gibt es nicht einmal eine einheitliche Rufnummer, unter der sich besorgte Bürger über EHEC informieren können. Gesundheits- und Verbraucherministerium haben getrennte Hotlines eingerichtet.

    Obwohl Seehofer als Verbraucherminister mehrfach versucht hatte, dem Bund mehr Kompetenzen zu verschaffen, sind die Lebensmittelkontrolle und der Schutz vor Infektionen nach wie vor Sache der Länder und der Kommunen. Bei der Überprüfung von Gaststätten oder Bauernhöfen, argumentieren Verbraucherschützer, sei das im Prinzip vernünftig – bei Großbetrieben wie dem Hamburger Hafen oder dem Frankfurter Flughafen seien die örtlichen Kontrolleure jedoch schnell überfordert.

    Wie jäh eine Politikerkarriere enden kann, wenn im Dschungel der Zuständigkeiten eine wichtige Information nicht oder zu spät weitergegeben wird, hat die BSE-Krise vor zehn Jahren gezeigt: Damals mussten Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) und Landwirtschaftsminister Karlheinz Funke (SPD) zurücktreten.

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