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EHEC-Epidemie: Eine „typisch deutsche Diskussion“?

EHEC-Epidemie

Eine „typisch deutsche Diskussion“?

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    „Alle Beteiligten arbeiten Tag und Nacht“, sagte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner gestern im Bundestag. Man sieht es ihr an.
    „Alle Beteiligten arbeiten Tag und Nacht“, sagte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner gestern im Bundestag. Man sieht es ihr an. Foto: Foto: Clemens Bilan, dapd

    Berlin So billig waren sie noch nie. Für gerade einmal zwei Cent erhält man in diesen Tagen auf Berliner Wochenmärkten eine Gurke. Ein Schnäppchen. Und doch bleiben die Händler auf ihrer Ware sitzen. Niemand kauft mehr Gurken, mehr noch, wegen der überwiegend in Norddeutschland grassierenden EHEC-Epidemie ist in der gesamten Bundesrepublik das Geschäft mit Gemüse praktisch zum Erliegen gekommen. „Wir werden unsere Ware nicht mehr los“, klagt Hans-Dieter Stallknecht vom Deutschen Bauernverband. Er beziffert den Umsatzeinbruch auf über 80 Prozent und den bisherigen Verlust auf bis zu 50 Millionen Euro, den Bauern bleibt nichts anderes übrig, als die eigentlich erntefrische Ware komplett unterzupflügen oder massenhaft zu vernichten.

    Kliniken rufen zu Blutspenden auf

    Gleichzeitig rufen die von der EHEC-Epidemie besonders betroffenen Kliniken in Hamburg zu Blutspenden auf. Zur Behandlung der Patienten seien in den letzten drei Wochen so viele Blutkonserven verbraucht worden wie normalerweise in drei bis vier Monaten, heißt es im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Nun müssten die Blutreserven dringend aufgefüllt werden. Immerhin, nach Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts scheint die Zahl der Neuinfizierten leicht zurückzugehen, es gebe einen „leichten Rückgang der Fallzahlen“. Der neue Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), der kaum im Amt bereits seiner ersten großen Bewährungsprobe ausgesetzt ist, sagt, es bestehe „Anlass zu berechtigtem Optimismus, dass wir bundesweit das Schlimmste hinter uns haben“, auch wenn er davon ausgeht, dass es in den kommenden Tagen noch zu weiteren Todesfällen kommen wird. Von daher gebe es auch keinen Grund zur Entwarnung. Bisher wurden 1959 Fälle registriert, 689 mit besonders schwerem Verlauf, 26 Menschen starben. Damit handelt es sich nach den Worten Bahrs um den bislang schwersten jemals beobachteten EHEC-Ausbruch in Deutschland wie in Europa.

    Entschieden weisen Gesundheitsminister Daniel Bahr und Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner von der CSU die in den letzten Tagen laut gewordene Kritik am Krisenmanagement des Bundes und der Länder zurück. Dies sei „reines Oppositionsgeplänkel“, sagt die CSU-Politikerin, alle Beteiligten würden „Tag und Nacht“ arbeiten. Auch von der Gründung einer neuen zentralen Bundesseuchenbehörde, bei der alle Informationen zusammenlaufen, wollen Bahr und Aigner nichts wissen. Bei einer Sondersitzung der Gesundheits- und Verbraucherschutzminister der Länder und des Bundes, an der überraschend auch EU-Gesundheitskommissar John Dalli teilnimmt, erteilen die Fachpolitiker entsprechenden Forderungen eine eindeutige Absage. „Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, eine Strukturdiskussion zu führen“, sagt Bahr, der dies eine „typisch deutsche Diskussion“ nennt. Und Aigner würdigt demonstrativ die gute Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Ländern und den zuständigen Instituten und Behörden. „Das System funktioniert.“ Alle Beteiligten würden sich eng miteinander abstimmen, die Aufgabenteilung zwischen dem Gesundheits- und dem Verbraucherschutzministerium sei klar geregelt und zwischen dem Bund und den Ländern gebe es kein Kompetenzgerangel.

    Unterschiedliche Signale aus den Ländern

    Unterschiedliche Signale kommen hingegen aus den Bundesländern. Während der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) es bei Epidemien durchaus für gerechtfertigt hält, dass der Bund mehr Zuständigkeiten übernimmt, lehnt dies seine niedersächsische Amtskollegin Aygül Özkan (CDU) ab: „Eine neue Institution zu schaffen, sorgt nicht dafür, dass die Bürger schneller und besser versorgt werden.“

    EU-Kommissar Dalli lobt ausdrücklich die deutschen Anstrengungen gegen die Epidemie. Diese seien „beeindruckend“. Es gelte, nach der Krise über mögliche Lehren zu sprechen. Damit rennt er in Berlin offene Türen ein. Die Gesundheits- und Verbraucherschutzminister des Bundes und der Länder sind sich einig, eine sorgfältige Evaluierung des Krisenmanagements vorzunehmen und die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen.

    Unterdessen verdichten sich die Indizien, dass doch der unter Verdacht geratene Bio-Bauernhof in Niedersachsen, in dem Sprossen angebaut werden, die Quelle des EHEC-Keimes ist.

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