Flächenfraß, Betonflut, Landschaftsvernichtung – mit diesen politischen Kampfbegriffen haben Grüne und Umweltschützer vergangenes Jahr versucht, ein Volksbegehren gegen den hohen Flächenverbrauch in Bayern durchzusetzen. Sie bekamen viel Unterstützung, wurden aber durch das Verfassungsgericht gestoppt. Nun bekennen sich fast alle Parteien im Landtag zu dem Ziel, den Flächenverbrauch zu begrenzen. Herr Aiwanger, Sie sind in der Regierung als Wirtschaftsminister dafür zuständig. Wie wollen Sie das hinkriegen?
Hubert Aiwanger: Es ist natürlich ein ambitioniertes Ziel, den Flächenverbrauch in Bayern von derzeit zwölf auf fünf Hektar pro Tag zu reduzieren. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man sich, um voranzukommen, ehrgeizige Ziele setzen soll. Dabei müssen wir aber auch die Gegenargumente im Auge behalten: Wirtschaftswachstum soll nicht abgewürgt werden, Wohnungen sollen nicht zu teuer werden. Solche Kollateralschäden müssen wir vermeiden. Mein Plan ist, das Fünf-Hektar-Ziel auf die Planungsregionen und Gemeinden herunterzurechnen und Zielvorgaben zu geben. Für eine durchschnittliche ländliche Kommune mit 90 Quadratkilometern Fläche und rund 9000 Einwohnern ergäbe das zum Beispiel eine Zielgröße von zwei Hektar pro Jahr. Das ist dann ein Orientierungspunkt. Und kombiniert mit einer Sensibilisierung für das Thema und fachlicher Beratung könnten wir dann weiterkommen.
Ludwig Hartmann: Ich denke nicht, dass wir nur mit Unverbindlichkeit weiterkommen. Schon seit 2003 gibt es ein Bündnis zum Flächensparen, damals von der Staatsregierung unter Stoiber ins Leben gerufen. Über 50 Verbände sind mit dabei – die kommunalen Spitzenverbände, die Bauindustrie, der Bund Naturschutz, eigentlich alle Akteure. Die haben sich damals schon zum Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch deutlich zu reduzieren. Heute steht fest: Das Ziel wurde verfehlt. Aktuell hat sich das Problem von 2016 auf 2017 sogar noch einmal verschärft. Da gab es eine Zunahme von fast 20 Prozent beim Flächenverbrauch. Das zeigt für mich ganz deutlich, dass die Instrumente der Selbstverpflichtung und die Politik der Freiwilligkeit gescheitert sind. Ich sage: Politik muss irgendwann auch mal Realitäten anerkennen. Man muss hier lenkend eingreifen. Es braucht eine verbindliche Landesplanung, die eine Leitplanke setzt. Für uns heißt das: Wir wollen keine bloße Zielvorgabe, sondern eine verbindliche Richtgröße in der Landesplanung verankert haben. Und am besten bereits ab 2020.
Herr Aiwanger, Sie setzen dennoch auf Freiwilligkeit. Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass das zum Erfolg führt? Wie wollen Sie Ihre Ziele konkret umsetzen?
Aiwanger: Ich denke, dass eine konkrete Zielvorgabe für jede Gemeinde schon mal eine rote Linie setzt, dass das selbstdisziplinierend wirkt. Außerdem fehlt mir die Fantasie, wie wir ein Verbot, Baugebiete über ein bestimmtes Maß hinaus auszuweisen, rechtlich durchsetzen könnten. Es gibt die kommunale Selbstverwaltung und die kommunale Planungshoheit. Ich glaube, dass man das juristisch gar nicht so schnell hinbekommt. Mir ist es wichtig, dass ein Denkprozess in Gang kommt.
Das Argument der Grünen ist aber doch nicht von der Hand zu weisen, dass sich die bisherigen Bekenntnisse zum Flächensparen als reine Lippenbekenntnisse erwiesen haben.
Aiwanger: Wir waren an den Diskussionen im Jahr 2003 nicht beteiligt. Außerdem muss man sehen, dass es in den letzten zehn Jahren ein massives Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum gegeben hat. Etwa zwei Drittel der zwölf Hektar pro Tag, die zuletzt verbraucht wurden, gehen auf das Konto des Wohnungsbaus auf der grünen Wiese. Da müssen wir ansetzen. Da müssen wir sagen: Bitte nutzt die Möglichkeiten, die es innerorts durch Leerstände gibt. Bitte macht die Parzellen kleiner, baut anständige Häuser mit Dachgeschoß, das man auch mal vermieten kann, und keine Bungalows, die Fläche fressen. Im Gewerbebereich lässt sich mit Parkgaragen etwas machen. Und im Straßenbau kann man auch flächensparender zu Werke gehen. Dazu braucht es Beratung und ein Leerstandsmanagement in den Gemeinden. Was ich aber nicht will, ist eine Vollbremsung von heute auf morgen, weil das zu gesellschaftlichen Brüchen führt. Und noch etwas: Die fünf Hektar pro Tag sind für mich eine willkürlich gegriffene Zahl. Man hätte genauso gut sieben oder neun Hektar festlegen können.
Hartmann: Moment mal. Da muss ich jetzt mal eingreifen. Erstens: Die fünf Hektar pro Tag für Bayern errechnen sich aus der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Ich gestehe zu, dass die Freien Wähler nicht Mitglied der Bundesregierung sind. Aber Ihr Koalitionspartner, die CSU, hat das in Berlin mitgetragen. Und Sie haben sich in Bayern im Koalitionsvertrag auch dazu bekannt. Zweitens: Sie haben vom Bevölkerungswachstum gesprochen. Selbstverständlich braucht man, wo Kinder geboren werden und Menschen zuziehen, zusätzlichen Wohnraum. Aber da tut sich in Bayern eine Schere auf: Von 2004 bis 2017 ist die Bevölkerung um 4,4 Prozent, die Siedlungs- und Verkehrsfläche aber um zwölf Prozent gewachsen. Und drittens: Wir haben an Ihr Haus eine Anfrage gestellt und zur Antwort bekommen, dass im Jahr 2017 bayernweit insgesamt 1370 Hektar als reine Wohnbaufläche verbraucht wurden. Das entspricht einem durchschnittlichen täglichen Flächenverbrauch von 3,8 Hektar. Wir sind da also nur bei einem Drittel und nicht bei zwei Dritteln nur fürs Wohnen.
Aiwanger: Der größte Anteil ist Wohnen. Ein Teil Wohnfläche ist auch noch in Mischgebieten versteckt, neben Gewerbe. Es ist auch nicht jedes Jahr genau gleich.
Hartmann: Das sind Zahlen aus Ihrem Haus.
Aiwanger: Von den Siedlungsflächen macht das Wohnen 37 Prozent aus, dazu kommen noch Mischgebiete und die verkehrliche Erschließung der Wohngebiete. Mehr als die Hälfte des Flächenverbrauchs geht also mit Sicherheit auf das Konto Wohnbau. Aber es kommt noch etwas anderes dazu: Der steigende Flächenverbrauch ist auch Ausdruck eines steigenden Wohlstands. Die Zahl der Quadratmeter Wohnfläche pro Einwohner ist in den letzten 40 Jahren von 37 auf 47 Quadratmeter gewachsen. Warum? Weil früher eine Drei-Generationen-Familie unter einem Dach gewohnt hat und vielerorts heute im selben Haus ein Single wohnt. Jetzt kann ich sagen: Okay, liebe Leute, ihr müsst wieder näher zusammenrücken. Aber dann werden viele sagen: Das geht doch dich nix an, wie viel Wohnraum ich hab. Umgekehrt werden wir also auch sagen, dass Verbote zulasten des Wohlstands gehen würden. Und ich wette: Wenn wir die Fünf-Hektar-Grenze gesetzlich festzurren, dann würden die Mieten und Immobilienpreise sofort wieder um zehn oder 20 Prozent steigen. Wohnen würde teurer werden.
Hartmann: Aber Herr Aiwanger, wir waren uns über das Ziel doch schon einig. Jetzt reden Sie wieder grad so, als ob man das Ziel gar nicht erreichen könnte. Hier ein Problem, da ein Problem. Der Punkt ist doch, wenn wir so weitermachen wie vor zehn Jahren, kommen wir nicht weiter.
Aiwanger: Ich mache aber nicht so weiter wie vor zehn Jahren.
Die Argumente sind jetzt klar. Der Wirtschaftsminister setzt, wenn auch mit neuem Konzept, weiter auf das Prinzip Freiwilligkeit, die Grünen wollen verbindliche Richtgrößen. Aber auch Sie, Herr Hartmann, werden sagen müssen, wie Sie das mit dem Wohnen regeln wollen. Wird es, wenn grüne Politik Realität wird, das Haus im Grünen noch geben?
Hartmann: Das wird es selbstverständlich trotzdem noch geben.
Aiwanger: Aber wahrscheinlich nur noch für Millionäre.
Hartmann: Okay, lassen Sie uns doch mal über die Situation am Wohnungsmarkt reden. Wo haben wir denn den größten Mangel an Wohnflächen? In den Ballungsgebieten! Da gibt es eine gute Auswertung vom Institut der deutschen Wirtschaft. Die haben 2017 ausgerechnet, dass die Wohnraumversorgung bei großen Einheiten – also fünf Zimmer plus – auf dem Land jetzt schon gegeben ist. Da haben wir bis auf zwei Landkreise eine gute Abdeckung, wenn nicht gar eine Überversorgung. Das wurde gerade eben von Minister Aiwanger angesprochen: die ältere Frau, die alleine im Haus lebt. Großer Wohnraum also ist in der Regel verfügbar. Aber wir haben einen gewaltigen Mangel an Geschosswohnungsbau in den Städten und übrigens auch im ländlichen Raum. Dort fehlen kleine, barrierefreie Wohnungen. Der Geschosswohnungsbau ist jedenfalls nicht der gewaltige Flächentreiber. Ein Beispiel: Auf einen Hektar kann ich zehn Einfamilienhäuser bauen oder wahrscheinlich 30 Reihenhäuser. In München aber werden auf einem Hektar im Schnitt 130 Wohneinheiten gebaut. So, und jetzt rechnen wir weiter: Bei 2,5 Hektar pro Tag für den Wohnungsbau könnten wir pro Jahr in Bayern gut 120.000 Wohneinheiten bauen. Zum Vergleich: Tatsächlich gebaut wurden 2018 in Bayern nur mehr als 70.000 Wohneinheiten. Es muss also in der Hauptsache um Geschosswohnungsbau gehen.
Aiwanger: Aber es ist doch unübersehbar, dass es sich auf den Punkt zuspitzt, dass das Gesellschaftsmodell, das wir die letzten Jahrzehnte hatten – also heiraten, Familie gründen, sich ein Häuschen bauen mit Garten –, dass es dieses Modell für den Normalverdiener künftig nicht mehr geben wird. Für den heißt es dann: Geh du bitte in den Mietwohnungsblock im Ortsinneren und draußen das Häuschen mit Garten im Grünen, das kann sich nur noch die Akademikerfamilie leisten – ohne Kinder, wenn beide Gutverdiener sind. So wird Wohnen teurer und zum Luxusgut. Und Grundstücke und Immobilien werden noch mehr zum Spekulationsobjekt.
Hartmann: Das kann sich doch jetzt schon keine Familie mehr leisten. Man muss doch die Realitäten anerkennen.
Aiwanger: Das ist die Realität.
Hartmann: Ich weiß ja nicht, wie im Ministerium bezahlt wird. Aber auch ein Akademiker, der nix geerbt hat, wird sich für 1,2 Millionen kein Haus im Grünen leisten können.
Aiwanger: Doch, die kaufen sich für 600.000 Euro eine Eigentumswohnung in der Stadt. Die kaufen sich für eine Million Euro das Häuschen, verschulden sich aber für über 30 Jahre.
Hartmann: Das sind wenige Einzelfälle. Die meisten schaffen das nicht – vor allem nicht, wenn die Zinsen mal wieder steigen.
Eigentlich machen Sie beide uns Journalisten hier überflüssig, bei Ihnen braucht es gar keinen mehr, der Fragen stellt. Trotzdem: Haben Sie, Herr Aiwanger, einen weiter gehenden Plan? Werden Sie überprüfen, ob das, was Sie machen, zum Ziel führt? Eine Garantie, dass Ihr Plan funktioniert, haben ja auch Sie nicht.
Aiwanger: Nein, die hab ich nicht. Die hab ich aber auch nicht mit einer gesetzlichen Vorgabe, weil Gemeinden dagegen klagen werden. Dann ist das vielleicht ein verfassungswidriger Eingriff in die kommunale Planungshoheit und dann schlägt das Pendel völlig zurück. Ich denke, wir sollten den Gemeinden kein weiteres Gesetzeskorsett überstülpen, sondern sie auffordern, da mal ranzugehen und ihnen konkret helfen – mit klaren Zielvorgaben, mit Unterstützung beim Leerstandsmanagement und mit Best-Practice-Beispielen. Wenn das dann trotzdem über zwei bis drei Jahre völlig ins Leere läuft, dann wird es ohnehin zu strengeren Vorgaben kommen müssen. Aber ich glaube, diesen Anpassungsprozess müssen wir jetzt auch zulassen. Ich bin überzeugt, dass das der bessere Weg ist, als wenn ich jetzt ein Gesetz auf den Tisch knalle und den Bürgermeistern sage: Friss oder stirb!
Hartmann: Da bin ich jetzt aber schon erstaunt! Ich bin ja bei Ihnen, dass wir Leerstandsmanager brauchen bei den Kommunen. Ich frag mich halt nur, warum jetzt gerade bei den Haushaltsberatungen unser Antrag, dass jeder Landkreis eine Stelle hierfür finanziert bekommt, abgelehnt worden ist. Das hätten wir doch machen können, da wären wir schon einen Schritt weiter. Das wurde abgelehnt unter Federführung ihrer Fraktion.
Wir könnten überall mehr Geld brauchen. Für alles zugleich ist nicht genug da.
Wir haben bisher über den Wohnungsbau gesprochen. Als die Grünen und ihre Verbündeten das Volksbegehren durchsetzen wollten, haben sie vor allem das Gewerbe, also große Logistikzentren, Industrie oder Baumärkte angeprangert, die das Landschaftsbild beeinträchtigen. Rein von der Fläche her spielt das aber eher keine so große Rolle.
Aiwanger: Richtig. Das betrifft in erster Linie das Landschaftsbild, nicht so sehr den Flächenverbrauch insgesamt.
Hartmann: Trotzdem gibt es auch da Beispiele, wie man es besser oder schlechter machen kann. Bei der Firma Hilti im Landkreis Landsberg etwa ist es gelungen, am bestehenden Standort zu erweitern, obwohl oder vielleicht gerade weil der Platz dort beengt war. Ein extremes Gegenbeispiel ist die Gemeinde Graben im Landkreis Augsburg mit ihren großen Logistiklagern. Da war vermeintlich Platz genug, also hat man gar nicht nach platzsparenden Lösungen gesucht. Und dann habe ich noch ein Beispiel aus Landsberg. Dort war die Firma Delo, Weltmarktführer bei Industrieklebstoffen, von einer Frau geführt, für uns Grüne fast ein Vorzeigeunternehmen. Die Stadt hatte eine Optionsfläche vorgehalten für 75 Euro pro Quadratmeter, damit die Firma sich erweitern kann. Als es so weit war, hat die Firma gesagt, in der Nähe auf der grünen Wiese gibt es das Grundstück fünf Euro günstiger. Ja, was macht da jetzt ein Stadtrat? Entweder er geht runter mit dem Preis, dann hat er jeden Handwerker aus Landsberg, der zuvor die 75 Euro bezahlt hat, übers Ohr gehauen und wenn er nicht nachgibt, ist die Firma weg. Damals waren sich bei uns im Stadtrat alle einig. CSU, Grüne, SPD, Freie Wähler – alle haben gesagt: Wir lassen uns nicht erpressen. Diesen Wettkampf der Kommunen, dieses Wettrüsten der Gewerbegebiete kann man nicht mit Freiwilligkeit durchbrechen. Das muss der Gesetzgeber machen.
Aiwanger: Die Firma ist weggegangen?
Hartmann: Ja, innerhalb des Landkreises, nur eine Autobahnausfahrt weiter.
Aiwanger: Aber wenn ich, was Sie vorschlagen, in ganz Bayern mache, dann geht die Firma nach Österreich.
Hartmann: Die Firma wäre in Landsberg geblieben, die Fläche war ja vorhanden und die qualifizierten Mitarbeiter auch.
Aiwanger: Aber wenn nur fünf Prozent der Betriebe weggehen, wären wir fertig wirtschaftlich. Ich plädiere deshalb dafür, die Schraube nicht zu überdrehen. Vielleicht wird man, wenn wirklich nichts besser wird, in einigen Jahren mit gesetzlichen Vorgaben arbeiten müssen. Vielleicht erleben wir aber auch eine Wirtschaftskrise, in der wir betteln und den Baugrund verschenken müssen, damit Firmen sich ansiedeln. Wir sollten unseren Wohlstand nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Herr Hartmann, das erste Volksbegehren ist gescheitert. Wird es ein neues geben?
Hartmann: Es gab juristische Einwände, die sich aber heilen lassen. Wenn der Flächenverbrauch weiter nach oben geht, dann ist für uns ganz klar, dass wir Anfang kommenden Jahres ein neues Volksbegehren starten.
Herr Aiwanger, sind Sie darauf vorbereitet?
Aiwanger: Ich lasse das auf mich zukommen. Ich springe nicht aus Angst vor einem Volksbegehren aus dem Fenster. Und ich freue mich auf eine breite gesellschaftliche Debatte.