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Diskussion um Impfpflicht: Tödliche Masern: Die Geschichte von Angelina (9)

Diskussion um Impfpflicht

Tödliche Masern: Die Geschichte von Angelina (9)

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    Seit vier Jahren liegt Angelina aus Kleinostheim im Wachkoma.
    Seit vier Jahren liegt Angelina aus Kleinostheim im Wachkoma. Foto: www.main.tv/ www.primavera24.de

    Angelina hat die Augen nur halb geöffnet. Sie liegt in ihrem Bett. Sie starrt ins Leere. Hin und wieder bewegt sie ihre Arme, ihre Beine. Doch diese Bewegungen wirken unkontrolliert. Wie bei einem Kleinkind umgeben Gitterstäbe die Matratze, auf die das Mädchen gebettet ist. Doch Angelina ist kein Kleinkind mehr. Sie ist neun. Und sie ist unheilbar krank. „Angelina wird sterben“, sagt ihre Mutter Gina R. Die Diagnose lautet Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) – eine lebensbedrohliche Hirnentzündung. Eine Spätfolge der Masern.

    Spätkomplikation der Masern: Hirnentzündung

    Diese Hirnentzündung ist laut Robert-Koch-Institut „eine sehr seltene Spätkomplikation“, die etwa sechs bis acht Jahre nach der Masern-Infektion auftritt. Bei 100000 Masernerkrankungen kommt es durchschnittlich zu vier bis elf Fällen. Kinder unter fünf Jahren sind häufiger betroffen, bei ihnen wird die Zahl der Erkrankungen auf 20 bis 60 SSPE-Fälle pro 100000 Masernerkrankungen geschätzt.

    Angelina ist so ein Fall. Als bei ihr die Masern ausbrachen, war sie erst sieben Monate alt – zu jung für eine Impfung, die für Säuglinge ab etwa neun Monaten empfohlen wird. Wo sie sich mit den Viren infizierte, ist völlig unklar. Vielleicht im Bus. Vielleicht in der Bahn. „Wir waren damals viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs“, erinnert sich Gina R. aus dem unterfränkischen Kleinostheim heute.

    Dass ihr Kind sich mit Masern infiziert hatte, haben sie und ihr Mann Dominik zunächst nicht einmal gemerkt. Das erzählt Gina R. am Telefon. Der Säugling zeigte nur mäßige Symptome, hatte Fieber und fühlte sich sichtlich unwohl.

    Masern sind tückisch

    Das ist nicht ungewöhnlich. Denn Masern sind tückisch. Bevor der Hautausschlag sich ausbreitet, leiden die Patienten oft erst ein paar Tage lang nur an Husten und starkem Fieber. Ohne zu erkennen, woran sie eigentlich erkrankt sind, verteilen viele Patienten in dieser Zeit die Viren ahnungslos an ihre Mitmenschen. Nach ein paar Tagen sinkt das Fieber zunächst wieder ein bisschen. Ein zweiter Fieberschub bringt dann in der Regel den großfleckigen Ausschlag mit sich, der sich von den Ohren aus über das Gesicht und schließlich in Form von roten Pusteln über den ganzen Körper verteilt.

    In fünf bis zehn Prozent der Fälle kommt dazu eine Mittelohrentzündung. Jeder zehnte Patient entwickelt eine Lungenentzündung. Mit Medikamenten lässt sich die Krankheit – wie alle Viruserkrankungen – nicht stoppen. Die Ärzte können nur die Symptome lindern.

    Bei Angelina ging die ursprüngliche Erkrankung relativ glimpflich vorüber. Zunächst. Doch die Kinderkrankheit hinterließ weitaus schlimmere Folgen. Kinderkrankheit – auf diesen Begriff reagiert Gina R. ungehalten. Kinderkrankheit klingt harmlos, so wie Kindergeburtstag oder Kinderportion. „Masern sind aber kein bisschen harmlos“, sagt Gina. „Sie sind sehr gefährlich, eine hochansteckende Krankheit, das wissen viele gar nicht. Wenn man in einem Raum ist mit einem Masern-Kranken, der muss nur einmal niesen oder husten, dann werden alle krank, die mit im Raum sind.“

    Das sind die Masern

    Die Masern sollten in Deutschland eigentlich bis zum Jahr 2015 ausgerottet sein. Das Gegenteil ist der Fall. Was Sie über die Krankheit wissen müssen:

    Masern werden durch ein Virus ausgelöst und sind hochansteckend.

    Der Masern-Erreger wird über die Luft (aerogen) und bei direktem körperlichem Kontakt verbreitet.

    Symptome der Krankheit sind Fieber, Husten, Schnupfen, und ein Masern-typischer Ausschlag.

    Mögliche Komplikationen bei Masern sind Lungenentzündung oder Gehirnentzündung (Meningitis).

    Mit steigendem Alter steigt das Risiko für Komplikationen.

    Bei Erwachsenen sind Komplikationen häufiger als bei Kindern, und der Krankheitsverlauf ist schwerer.

    Masern gehören zu den meldepflichtigen Krankheiten.

    Wer einmal an Masern erkrankt ist, wird in seinem gesamten Leben nicht noch einmal daran erkranken. Das Immunsystem bildet Antikörper gegen das Virus und speichert diese im Körper.

    Ohne Impfung breitet sich das Virus schnell aus

    Ist man nicht geimpft, breitet sich das Virus schnell aus. So wie gerade in Berlin. 652 Masern-Erkrankungen waren dort bis gestern gemeldet. Die Zahl steigt derzeit täglich. Auch ein Todesopfer ist schon zu beklagen: Ein einjähriger Bub starb. Das Kind hatte noch an einer anderen Krankheit gelitten. Die Obduktion ergab laut der

    Diese neue Masern-Welle in der Hauptstadt hat eine deutschlandweite Debatte um das Thema Impf-Pflicht ausgelöst. Als einer der ersten preschte vergangenes Wochenende der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn vor. „Wenn wir es nicht schaffen, mit verstärkter Aufklärung und Beratung die Impfraten bald zu steigern, sollten wir über eine Impfpflicht in Kindergärten und Schulen nachdenken“, sagte er. Auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kritisierte die „irrationale Angstmacherei mancher Impfgegner“ als verantwortungslos. Denn manche halten die Aufrufe zur Impfung gegen Masern für eine Kampagne der Pharma-Industrie und vermuten hinter den Ratschlägen von Ärzten und anderen Gesundheitsexperten eine große Verschwörung. Immer wieder weisen sie auch auf die Nebenwirkungen hin, die nach einer Impfung auftreten können.

    Und sie haben recht: Auch Nebenwirkungen kann es geben. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Impfschäden liegt aber nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bei unter einem Prozent. Das Risiko, sich ungeimpft anzustecken, wenn man mit einem Masern-Patienten in Kontakt kommt, liegt dagegen bei fast hundert Prozent.

    Bundesgesundheitsminister Gröhe plant unterdessen ein Präventionsgesetz

    Wären 95 Prozent der Bevölkerung geimpft, könnten die Masern bis zum Jahr 2020 weltweit ausgerottet werden, rechnet die Weltgesundheitsorganisation WHO vor. In Deutschland existiert kein einheitliches umfassendes System zur Erhebung von Impfdaten. Allerdings wird bei der Einschulung von Kindern nach dem Impfstatus gefragt. Im Jahr 2011 waren in der Bundesrepublik demnach 92,1 Prozent der Erstklässler, wie empfohlen, doppelt gegen Masern geimpft. Weil früher nur einmalig gegen die Viruserkrankung geimpft wurde, empfiehlt die Ständige Impfkommission seit ein paar Jahren, dass auch alle Erwachsenen, die nach 1970 geboren wurden, ihren

    Bundesgesundheitsminister Gröhe plant unterdessen ein Präventionsgesetz, das festschreibt, dass bei der Aufnahme in die Kita ein Nachweis über eine ärztliche Impfberatung vorgelegt werden muss. Außerdem soll bei Gesundheitsuntersuchungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen künftig der Impfstatus überprüft werden und eine Impfberatung erfolgen. „Wir müssen die Eltern davon überzeugen, wie gefährlich diese Krankheit ist. Wenn all diese Maßnahmen nicht helfen, kann eine Impfpflicht kein Tabu sein“, erklärt auch Gröhe.

    Im Lauf der Woche mischten sich auch immer mehr Ärzteverbände und Vertreter von Krankenkassen in die Diskussion ein. Der Berufsverband der Kinderärzte ruft wegen der Ansteckungsgefahr dazu auf, Säuglinge in Berlin bis zum Abebben der Masern-Welle zuhause zu betreuen. Um den Gesundheitsschutz für Flüchtlinge zu verbessern, soll bis zum Sommer eine zentrale Impfstelle beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales eingerichtet werden. Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, sagt: „Die eigenen Kinder nicht gegen Masern impfen zu lassen, ist verantwortungslos.“ Warum Mediziner zur Masern-Impfung raten

    Krankenkassen drängen ihre Versicherten zur Impfung gegen Masern

    Und auch die Krankenkassen drängen ihre Versicherten zur Impfung. Der Chef des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, sagt, wenn es um das Leben von Kindern gehe, sollte man auch einmal aufhören zu diskutieren und sich an das halten, was Medizin und Wissenschaft lehrten. Eine Krankheit, die schwerwiegende Schäden zufügen und als Spätfolge eine Hirnentzündung verursachen könne, dürfe nicht bagatellisiert werden. Der Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Christoph Straub, fügt hinzu: „Menschen mit unklarem oder unzureichendem Impfstatus sollten schleunigst für eine Auffrischung sorgen.“

    Angelinas Eltern Gina und Dominik haben ihre beiden anderen Kinder, eine siebenjährige Tochter und einen dreijährigen Sohn, im Säuglingsalter gegen die Masern impfen lassen. „Das stand für uns nie zur Debatte“, sagt Gina – auch schon, bevor ihr ältestes Kind so schwer krank wurde. Denn nach ihrer Masern-Erkrankung war Angelina gesund, bis sie fünf Jahre alt war. Dann, im Februar 2011, kamen die Symptome. Das Kind stolperte immer häufiger. Es fiel vom Fahrrad. Es wiederholte Sätze immer und immer wieder. „Wo ist Papa?“, fragte Angelina, und wenn sie darauf eine Antwort bekam, sagte sie wieder: „Wo ist Papa?“

    „Da dachten wir uns noch nichts Schlimmes dabei, Kinder sind ja manchmal so“, erinnert sich Mama Gina. Doch die Auffälligkeiten häuften sich. Dann konnte Angelina plötzlich nicht mehr sitzen, nicht mehr aufstehen, nicht mehr sprechen. Und die Eltern packten sie ins Auto und brachten sie in eine Klinik. Jetzt ruft auch die WHO zur Impfung gegen Masern auf

    Die Ärzte checkten das Kind auf alle möglichen Erkrankungen durch. Vier Wochen dauerte es, bis die Diagnose feststand. Nach sechs Wochen lag das Mädchen im Wachkoma. Vier Jahre ist das jetzt her. „Wer auch immer sie damals mit den Masern angesteckt hat“, sagt Mutter Gina, „wenn er geimpft gewesen wäre, wäre das nicht passiert.“ Doch es kam anders. Und Angelina wird sterben.

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