München Wer sich ein Bild von der Medienwirklichkeit des Jahres 2011 machen will, kann auf den Münchener Medientagen natürlich die vielen Podiumsdiskussionen verfolgen.
Gelegentlich genügt es aber, den Blick einfach übers Auditorium schweifen zu lassen: Kaum ein Zuhörer, der nicht mal eben seine E-Mails auf dem Blackberry abruft, mit dem iPad auf Facebook stöbert oder über das Smartphone Kurzbotschaften absetzt.
Die große Show der mobilen Medien ist, wie einiges, nicht wirklich neu auf der größten Branchenschau Europas. Sie scheint aber von Jahr zu Jahr dominanter. Vor allem für altehrwürdige Zeitungshäuser stellt der Wandel zum Digitalen eine Herausforderung dar. Sie setzen längst nicht mehr alleine auf das gedruckte Blatt, sondern öffnen sich für neue Kanäle und Zielgruppen.
Andreas Scherer, Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger und Vorsitzender der Geschäftsführung der Augsburger Allgemeinen, sieht die Zeitung für das neue Zeitalter gut gerüstet. „Ein altes Medium war die Zeitung ja noch nie“, sagt er, „schließlich war und ist die Neuigkeit ihr Geschäft, und zwar täglich. Wir haben noch nie Papier verkauft, sondern immer schon Inhalte.“
Obwohl es immer noch sehr viele Menschen gibt, die das Lesegefühl der gedruckten Zeitung überaus schätzen, so gehen die Print-Reichweiten zurück, besonders in Ballungsräumen. Die Verleger versuchen, den Auflagenschwund mit innovativen Produkten abzufedern. Große Hoffnungen ruhen dabei auf eben jenen mobilen Endgeräten wie dem angesagten iPad von Apple.
Das ist aber kein Patentrezept. Wer die Anstrengung unternimmt, etwa eine Nachrichten-App in Apples Online-Shop zu platzieren, hat noch lange keine Garantie, dass sie von den Konsumenten auch angenommen wird. In der jungen App-Welt bezahlen die Kunden nur ungern. Große Medienkonzerne wie Axel Springer schaffen es zwar inzwischen, Tausende Apps an den Mann zu bringen – allerdings nicht unbedingt mit journalistischen Inhalten. Der Burda-Verlag mache 40 Prozent des Umsatzes mit digitalen Angeboten, berichtet Vorstandsmitglied Philipp Welte. Was er nicht sagt: Burda verdient vor allem mit Online-Partnerbörsen oder Urlaubs-Webseiten. Noch suchen die Verleger also nach Geschäftsmodellen, mit denen sie Journalismus auch auf den neuen Kanälen gut verkaufen können. „Das Online- und Mobil-Geschäft ist für uns vorerst noch nicht das, was es sein sollte und sein könnte. Da ist zunächst viel kreative Phantasie gefragt“, so Bayerns Verleger-Chef Scherer.
Nach dem Motto „Kein Trend ohne Gegentrend“ spüren aber auch die Printmedien einen Aufwind – manche zumindest. Burda-Manager Welte sagt, das Nachrichtenmagazin Focus verzeichne im vierten Quartal in Folge Zuwächse im Kiosk-Absatz. Welte: „Die Menschen kaufen Printmedien wegen der journalistischen Qualität, auch im digitalen Zeitalter“. Und selbst neue Titel können funktionieren, wie das Magazin Neon beweist. Es erreicht 1,1 Millionen Menschen in der als besonders schwierig geltenden Zielgruppe der 20- bis 35-Jährigen. Chefredakteur Michael Ebert: „Natürlich lesen die jungen Leute Zeitungen und Zeitschriften, wenn man ihnen ein ernsthaftes Angebot macht, das glaubwürdig ist.“
Andere sehen die Zukunft der gedruckten Zeitung weniger optimistisch. Peter Hogenkamp zum Beispiel, Leiter Digitale Medien der NZZ Gruppe (Neue Zürcher Zeitung). Die Diskussion, ob der Klassiker noch fünf, fünfzig oder 500 Jahre lebt, hält er für müßig. Fakt sei: „Wir brauchen ein Ersatzprodukt. Wir sehen doch, dass sich das Mediennutzungsverhalten radikal ändert.“ Oft stünden sich die Medienhäuser selbst im Wege, wenn es darum gehe, sich neu zu erfinden. Nicht alle gelernten Print-Journalisten sind auf das Internet gut zu sprechen. „Als Digitaler ist man schon noch das Schmuddelkind.“
Verleger bemängeln unzureichenden Urheberschutz
Als wären die Herausforderungen nicht mächtig genug, sieht sich die Branche auch von der Politik teilweise im Stich gelassen. Die Verleger bemängeln nach Aussage Scherers einen völlig unzureichenden Urheberschutz im Online- und Mobil-Bereich. Scherer: „Das Internet darf nicht länger ein rechtsfreier Raum bleiben, in dem die Piraterie fröhliche Urständ feiert.“
Die Forderung der Verleger nach einem Leistungsschutzrecht besteht seit Jahren, passiert ist bislang wenig, räumt Bayerns Medienminister Marcel Huber ein. „Ich verstehe Ihre Ungeduld“, sagt er an die Adresse der Unternehmer. „Das muss schneller gehen.“ Konkret wird der Staatsminister nicht, eher grundsätzlich: Bei all dem Wandel gibt es demnach doch eine Konstante: das Bedürfnis der Gesellschaft nach Information, nach Tiefgang, nach Orientierung.
Und schließlich bemüht Huber das Wort vom Qualitätsjournalismus, der selbst in der Medienwirklichkeit des Jahres 2011 „einen Wert und einen Preis“ hat. Damit könnten alle gut leben.