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„Dieser Sommer war für viele ein Aha-Erlebnis“

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„Dieser Sommer war für viele ein Aha-Erlebnis“

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    CDU-Ministerin Julia Klöckner: „Keiner von uns weiß heute, wie das nächste Jahr klimatisch aussieht.“ „Wir wissen, dass sich das Klima wandelt, aber nicht genau, wie sich das Wetter in einzelnen Regionen ändern wird.“„Das Tierwohl-Siegel soll besondere Qualität auszeichnen und Anreiz schaffen, freiwillig mehr für bessere Tierhaltung zu tun.“
    CDU-Ministerin Julia Klöckner: „Keiner von uns weiß heute, wie das nächste Jahr klimatisch aussieht.“ „Wir wissen, dass sich das Klima wandelt, aber nicht genau, wie sich das Wetter in einzelnen Regionen ändern wird.“„Das Tierwohl-Siegel soll besondere Qualität auszeichnen und Anreiz schaffen, freiwillig mehr für bessere Tierhaltung zu tun.“ Foto: Thomas Koehler, Photothek/Imago

    Nach gewaltigen Einbußen bei der Getreideernte durch die Dürre unterstützen Bund und Länder die Landwirte mit 340 Millionen Euro. Aber die Ernte ist noch nicht zu Ende. Sind weitere Hilfsprogramme geplant?

    Julia Klöckner: Wir werden natürlich den weiteren Verlauf der Ernte genau beobachten, vor allem bei Zuckerrüben und Kartoffeln. Zahlen und Fakten sind wichtig, wir machen keine Zusagen nach Gefühl. Und auch den Wald haben wir im Blick, dort wirkt sich Trockenheit aber erst über einen langen Zeitraum aus. Nothilfe aber bekommen eben nur Betriebe, die in ihrer Existenz gefährdet sind.

    Nach welchen Kriterien wird denn entschieden, ob ein Betrieb wirklich in seiner Existenz gefährdet ist?

    Klöckner: Das müssen die Länder festlegen und sich dabei den Einzelfall genau ansehen. Denn es geht um Steuergelder, da macht man keine Gießkannenpolitik. Zunächst muss der Betrieb nachweisen, dass er wegen der Dürre deutlich weniger geerntet, es zu einer deutlichen Verringerung der Betriebserträge geführt hat, dann prüfen die Länder, ob die Familie sich mit eigenen Mitteln helfen kann oder der Einsatz von Steuermitteln zu verantworten ist. Konkret: Es geht darum, was zumutbare Rückgriffe aufs Vermögen sind, ohne dass der Landwirt etwa Teile des Betriebs verkaufen müsste. Wenn ein Landwirt dagegen noch mehrere Mietwohnungen besitzt oder wenn die Landwirtschaft nur Nebeneinkunft ist, dann sind keine Nothilfen angebracht.

    Extreme Wetterereignisse werden durch den Klimawandel zunehmen, warnen Experten. Ernteausfälle könnten also von der Ausnahme zur Regel werden. Soll dann immer der Staat einspringen?

    Klöckner: Nein, die Landwirte werden in Zukunft auch selbst mehr Vorsorge treffen müssen. Eine Möglichkeit wären Versicherungen, aber bisher zögern die Anbieter noch, Versicherungen gegen Dürre oder Hochwasser anzubieten, weil die Risiken schwer kalkulierbar sind. Die Bundesregierung hat sich daneben für die Einführung der steuerlichen Tarifglättung entschieden, bei der Landwirte Gewinne und Verluste über drei aufeinanderfolgende Jahre bei der Steuer glätten und so die Progression der Einkommensteuer abmildern können.

    Müssen sich die Bauern auch in ihrem Wirtschaften stärker auf die wachsenden Klimarisiken einstellen?

    Klöckner: Es gibt Jahre, da folgen auf extreme Kälte Trockenheit, Hagel und extreme Hitze. Klar, wir können über Beregnungssysteme nachdenken. Aber es kann eben sein, dass es in manchen Jahren viel zu viel Regen gibt. Wir können über dürreresistente Saatgut-Züchtungen sprechen, aber auch da gilt: Wir wissen, dass sich das Klima wandelt, aber eben nicht genau, wie sich das Wetter in einzelnen Regionen ändern wird. Eine stärkere Diversifizierung würde helfen, das Risiko besser zu verteilen. Es wird also um ein ganzes Bündel von Maßnahmen gehen. Landwirte werden sich auch besser vernetzen müssen, etwa mit Futtermittelbörsen, wo der eine Betrieb, der noch genügend Heu hat, dem anderen aushilft.

    Welche Rolle spielt da das Landwirtschaftsministerium?

    Klöckner: Wir erarbeiten derzeit zusammen mit den Landwirten und Forschern eine neue Ackerbaustrategie, da geht es um diese langfristigen Ziele, darum, wie die Landwirtschaft in Zukunft noch nachhaltiger werden kann. Es geht darum, den Boden fruchtbarer zu machen oder zu halten, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren und zu präzisieren. Der Schutz des Wassers spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Digitalisierung.

    Gibt es so etwas wie eine Lehre aus diesem Dürresommer?

    Klöckner: Die Lehre ist ganz einfach und trotzdem ist sie jetzt für viele Verbraucher ein Aha-Erlebnis: Die Landwirtschaft ist vom Wetter abhängig und unsere Nahrungsmittel sind nicht selbstverständlich, auch wenn die Regale immer voll und Lebensmittel im Schnitt recht günstig sind. Cola gibt es zu jeder Jahreszeit. Doch wenn die Kuh durch die Hitze gestresst ist, gibt sie weniger Milch.

    In der Diskussion um Staatshilfen wurde auch viel Kritik an der Landwirtschaft laut, dass etwa Massentierhaltung und der intensive Pflanzenanbau zum Klimawandel auch beitragen…

    Klöckner: Da wurde vieles in einen Topf geworfen, da wurden Landwirte gegeneinander ausgespielt. Wenn so mancher den Bauern vorwirft, sie seien die Schuldigen an der Situation und würden nun vom Staat auch noch dafür belohnt, ist das nicht anständig. Die Landwirtschaft ist nur zu sieben Prozent am Ausstoß von Klimagasen beteiligt. Es ist schlicht Unfug zu behaupten, dass es keinen Klimawandel geben würde, wenn alle Betriebe andere Kulturen anbauen oder weniger Dünger einsetzen würden. Bei der Hilfe für die Landwirte geht es ja auch um die Interessen der ganzen Bevölkerung. Darum, dass sich ganze Landstriche nicht verändern, dass es weiter regionale Produkte gibt. Wenn die Höfe zumachen, essen wir ja nicht weniger, aber das wird dann importiert. Und wir wissen oft nicht, unter welchen Bedingungen diese Lebensmittel produziert werden. Der ökologische Fußabdruck wird dadurch nicht besser.

    Auch in Deutschland steht die Tierhaltung in der Kritik, es wird über ein Tierwohl-Label diskutiert. Wann kommt das?

    Klöckner: Wir haben dazu einen Gesetzentwurf erarbeitet. Im kommenden Sommer könnte das Tierwohl-Kennzeichen eingeführt werden. Das Kennzeichen wird dreistufig sein, je höher die Stufe, desto höher die Anforderung an das Tierwohl. Wir beginnen im Bereich Schwein und wollen das Kennzeichen Schritt für Schritt auf weitere Nutztierarten ausweiten. Wir planen ein freiwilliges, staatliches Kennzeichen mit strengen, verbindlichen Kriterien, die überprüfbar sind. Damit wären wir gemeinsam mit den Dänen Vorreiter in der EU.

    Warum soll das Tierwohl-Kennzeichen freiwillig sein und nicht verpflichtend für alle Betriebe?

    Klöckner: Weil es um ein Kennzeichen geht, das nicht den gesetzlichen Mindeststandard auszeichnet, sondern das ein Mehr an Tierwohl besonders kennzeichnen soll. Das Bio-Siegel ist auch freiwillig. Nur wer biologisch anbaut, kann das Label nutzen. So ist das dann auch beim Tierwohl-Kennzeichen; nur der, der mehr fürs Tierwohl tut, kann damit werben. Wenn Sie sich lediglich an die gesetzlichen Standards halten, also an der roten Ampel halten, gibt es ja auch keine besondere Belobigung. Ein Label oder ein Prüfzeichen soll gerade eine besondere Qualität auszeichnen und den Anreiz schaffen, freiwillig mehr für eine bessere Tierhaltung zu tun. Wenn der Verbraucher dann mehr für den Tierschutz tun möchte, dann kann er diese Produkte bevorzugt kaufen und den Mehraufwand beim Tierwohl durch einen höheren Preis honorieren.

    Wird sich mit Blick auf den Klimawandel auch unser Ernährungsverhalten ändern müssen?

    Klöckner: Ich sehe mich weder als Erziehungsberechtigte der Verbraucher noch als Geschmacks-Nanny der Nation. Und Verbotsdiskussionen bringen uns sicher nicht weiter. Jeder muss selbst entscheiden, wie er sich ernährt, ob er vegan oder vegetarisch lebt, ob er Fleisch isst und wie viel davon. Aber die gesunde, ausgewogene und nachhaltige Wahl muss zu einer leichteren Wahl werden. Besseres Verständnis bei der Kennzeichnung und Transparenz, Verbraucherschulungen und -informationen spielen eine große Rolle.

    Lassen Sie uns noch über ein ganz anderes Thema sprechen, das Sie seit langem kritisch begleiten: In deutschen Schwimmbädern kam es im Sommer wieder zum Streit um den sogenannten Burkini, gleichzeitig wird beklagt, dass viele Mädchen aus Einwandererfamilien nicht schwimmen können, weil die Eltern sie gar nicht am Schwimm- unterricht teilnehmen lassen.

    Klöckner: Welches Frauenbild steckt denn dahinter? Die anständige Frau hat ihren Körper zu bedecken, weil der Frauenkörper anstößig ist und Männer sich angeblich nicht im Griff hätten. Das hat weder etwas mit Gleichberechtigung noch mit Aufklärung zu tun. Wenn die Ehre einer ganzen Familie von der Sexualität der Schwester oder Tochter abhängt, dann gibt es nur eine Person, die den Preis dafür zahlt: das Mädchen oder die Frau. Wenn ein Mädchen nicht oder nur im Burkini am Schwimmunterricht teilnehmen darf, dann hat das mit unserem Verständnis von Gleichberechtigung nichts zu tun. Hier muss der Staat klar sagen, welche Standards nicht verhandelbar bei uns sind. Und dass es darauf keinen religiösen oder kulturellen Rabatt geben kann.

    Ihre Kabinettskollegin, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey von der SPD, hat neulich argumentiert, es sei besser, dass muslimische Mädchen im Burkini am Schwimmunterricht teilnehmen als gar nicht…

    Klöckner: Erst einmal sollten wir alle, vor allem wir Politiker und die zuständigen Behörden, den Lehrern den Rücken stärken. Die Lehrer müssen klar wissen, dass der Staat hinter ihnen steht. Nicht patriarchalische Väter definieren, was das Schulgesetz verlangt, sondern der Staat. Die Schulpflicht, auch der Schwimmunterricht, gilt für alle. Und Mädchen sollten wenigstens in der Schule den Freiraum haben, gleichberechtigt und nicht stigmatisiert sich zu bewegen.

    Sind Sie für ein Burkini-Verbot?

    Klöckner: In der Schule ja. Darum bin ich auch dagegen, dass schon kleine Mädchen in der Schule Kopftuch tragen; das bedeutet ja, dass schon Sechsjährige sexualisiert werden und ihnen beigebracht wird, dass sie sich aufgrund ihres Geschlechtes dem Mann unterordnen müssen. Wir leben im Jahr 2018, in Deutschland. An der Rolle der Frau wird sich zeigen, ob Integration gelingen wird.

    Widersprächen Burkini- und Kopftuch-Verbote nicht der Religionsfreiheit?

    Klöckner: Wir sind davon überzeugt, Mädchen und Jungs sind gleichberechtigt, dann gilt das nicht nur auf dem Papier, dann muss das auch in der Praxis der Fall sein. Warum sollen Mädchen sich komplett bedecken, das ist ein krudes Geschlechterbild, was Kinder nicht in unseren Schulen vermittelt bekommen sollen. Das müssen wir auch patriarchalisch geprägten Elternhäusern unmissverständlich klar machen. Keine Toleranz gegenüber intoleranten Frauenbildern, kein Verhandeln darüber, sonst bekommt der fundamentalistische Vater recht – ausbaden müssen das die Mädchen und Frauen.

    Interview: Bernhard Junginger

    Zur Person Julia Klöckner ist seit März Bundeslandwirtschaftsministerin. Zuvor war die CDU-Vizevorsitzende Oppositionsführerin im rheinland- pfälzischen Landtag. Die 45-Jährige studierte Politikwissenschaft, katholische Theologie und Pädagogik, arbeitete als Religionslehrerin und Journalistin für Weinmagazine. Klöckner wuchs auf einem Weingut in Guldental auf und war 1995 deutsche Weinkönigin.

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