Der Tisch im „Capella“ steht bereit, die beiden Stühle auch. Ein Mann mit weißen Handschuhen betritt den großen Saal des Singapurer Fünf-Sterne-Hotels, er legt neben dem Blumengesteck zwei Stifte zurecht. Und schließlich setzen Donald Trump und Kim Jong Un ihre Unterschriften unter zwei Seiten Papier.
Die Situation ist feierlich, pompös geradezu. Ganz wie der US-Präsident das gerne hat – und Nordkoreas Machthaber offenbar auch. So wie die beiden nebeneinandersitzen, strahlen sie eine ziemliche Zufriedenheit aus. Trump und Kim, so viel scheint klar, schreiben mit diesem Gipfeltreffen Geschichte – und das lassen sie die Welt spüren.
Nach vielen Jahrzehnten erbitterter Feindschaft treffen an diesem 12. Juni erstmals ein amtierender US-Präsident und der aktuelle Chef von Nordkoreas kommunistischer Herrscherfamilie aufeinander. Und neben jeder Menge Freundlichkeiten und Schulterklopfen reicht es nach fünf Stunden auf der Insel Sentosa tatsächlich auch zur Unterzeichnung eines gemeinsamen Dokuments.
Es ist der Tag der staatsmännischen Gesten, der großen Bilder, der Symbolik. Pünktlich um neun Uhr Ortszeit gehen Trump und Kim Jong Un gemessenen Schrittes aufeinander zu, ernst, aber mit einem Lächeln, hinter ihnen zwölf Staatsfahnen – je sechs US-amerikanische und nordkoreanische. Zwölf Sekunden lang schütteln sie sich die Hand. Vier Mal fasst der Präsident dem Diktator leicht an den Oberarm, zwei Mal klopft er ihm auf den Rücken.
Trump wirkt vor den Kameras deutlich lockerer, Kim steht etwas steif daneben. Kein Wunder, der US-Präsident ist seit 40 Jahren auch im Mediengeschäft und hat eine zweite Karriere als TV-Star vorzuweisen. Sein Gegenüber muss sich im Allgemeinen nicht mit Medien herumschlagen. Kim ist sichtlich bemüht, seine Rolle zu wahren. Ab und zu scheitert er – vor allem, wenn ihm die schwüle Hitze zusetzt. Schon nach wenigen Schritten in den offenen Säulengängen des „Capella“-Hotels gerät er ins Schwitzen, wird kurzatmig.
Hinter verschlossenen Türen aber scheint der Diktator dem US-Präsidenten mächtig geschmeichelt zu haben. Trump jedenfalls lobt ihn hinterher über den grünen Klee. „Sehr, sehr gut, exzellente Beziehung“, heißt es nach der ersten Gesprächsrunde. Es sei bemerkenswert, wie gut Kim sein Land regiere – und das, obwohl er schon in so jungen Jahren die Macht übernehmen musste. Kim sei „unglaublich talentiert“, eine „bemerkenswerte Persönlichkeit“, ein „ganz besonderer junger Mann“.
So etwas sagt Trump über Leute, die er zwar nicht für schwach hält, die ihm aber auch nicht widersprechen und seine Fähigkeiten nicht infrage stellen. Kim wahrt gegenüber Trump die asiatische Höflichkeit. Seine Limousine fährt genau sieben Minuten vor der des US-Präsidenten am Gipfelort vor – so, wie es sich für den Jüngeren gegenüber dem Älteren gehört.
Beim ersten Handschlag begrüßt er „Mr. President“ auf Englisch – weil es guter Stil ist, bei der Begrüßung des Älteren dessen Sprache zu sprechen. Man spürt: Der mutmaßlich 34-jährige Kim ist entschlossen, das Treffen mit Trump, der morgen 72 wird, zu einem Erfolg werden zu lassen.
Für Nordkorea war das Treffen mit Donald Trump fast ein Ritterschlag
Für den Diktator wiederum geht ein Traum in Erfüllung, den schon sein Vater hegte: Er begegnet dem mächtigsten Mann der Welt auf Augenhöhe und wird damit auf der Weltbühne ernst genommen. Für einen aus Nordkorea ist das fast ein Ritterschlag. Die Medien des Landes haben auf Anweisung Kims bereits am Dienstag umfangreich über die Reise ihres „geliebten, respektierten Führers“ berichtet.
Die Arbeiterzeitung brachte auf der Titelseite eine lange Reihe von Farbbildern, die ihn in der glitzernden Wirtschaftsmetropole Singapur zeigen, mit Wolkenkratzern im Hintergrund. Es scheint fast, als ob Kims Atomprogramm nur das Mittel gewesen sei, um an diesen Punkt in seinem Leben zu kommen.
Auch Trump kostet den Moment aus – im Saal des Hotels, neben ihm der Diktator, vor ihm die Erklärung, die beide unterzeichnen. „Aus Gegnern können Freunde werden“, sagt er. Und wendet sich dabei an nicht weniger als „an die Welt“. Kim wird nicht weniger pathetisch. „Wir haben beschlossen, die Vergangenheit hinter uns zu lassen. Die Welt wird einen großen Wandel erleben“, betont er.
Das sind die Schlüsselmomente im Korea-Konflikt
Korea-Krieg Auf der koreanischen Halbinsel bricht im Juni 1950 ein Krieg aus: Nordkoreanische Truppen überqueren die Grenze zum prowestlichen Süden. Bis zu vier Millionen Menschen kommen um.
China unterstützt während des Konflikts den Norden, die USA den Süden. Trotz Waffenstillstandsabkommen wird kein Frieden geschlossen. Formal befinden sie sich weiter im Kriegszustand.
Angriffe aus dem Norden Nordkorea stellt den Waffenstillstand wiederholt auf die Probe. 1968 soll ein von Pjöngjang entsandtes Kommando den Präsidenten Hee ermorden. 90 Südkoreaner sterben.
Weitere Schlüsselmomente: 1976 töten nordkoreanische Soldaten zwei US-Soldaten an der Grenze. 1983 attackiert Nordkorea ein Mausoleum, das der südkoreanische Präsident Hwan besucht.
Direkte Konfrontation 1999 liefern sich zwei Schiffe ein Seegefecht - rund 50 Nordkoreaner sterben. 2010 wird ein Kriegsschiff von einem nordkoreanischen U-Boot zerstört, 46 Seeleute werden getötet.
2010 schießt Nordkorea 170 Raketen auf die Insel Yeonpyeong - es ist der erste Angriff auf ein von Zivilisten bewohntes Gebiet seit dem Krieg. Zwei Soldaten und zwei Zivilisten sterben.
Nordkoreas nukleare Ambitionen 2006 gibt Nordkorea seinen ersten Atomtest bekannt. Der UN-Sicherheitsrat beschließt erstmals Sanktionen und weitet die Strafmaßnahmen aus.
2017 testet Nordkorea mehrfach Raketen. Machthaber Kim Jong Un liefert sich einen verbalen Schlagabtausch mit US-Präsident Trump und erklärt sein Land zur Atommacht.
Versuche der Annäherung Trotz der Spannungen suchen Nord- und Südkorea immer wieder das Gespräch. 2000 und 2007 beruft Nordkoreas damaliger Staatschef Kim Jong Il zwei Gipfeltreffen ein.
Olympisches Tauwetter Bei der Eröffnungsfeier der Winterspiele in Pyeongchang am 9. Februar ziehen Sportler aus Süd- und Nordkorea gemeinsam ins Stadion ein.
Kim Jong Un lädt den südkoreanischen Präsidenten zu einem Treffen in Pjöngjang ein. Im März vereinbaren beide Seiten ein Gipfeltreffen, ein Gipfel zwischen Kim und Trump soll folgen.
Historisches Gipfeltreffen Am 27. April treffen sich Kim und Moon im Grenzort Panmunjom in der demilitarisierten Zone. Beide reichen sich lange die Hände, gehen symbolisch den Schritt über die Grenze.
Die beiden Staatsoberhäupter kündigen bis Jahresende an, dass eine "dauerhafte und stabile" Friedensregelung gefunden werden solle.
Die Halbinsel soll zudem atomwaffenfrei werden. Kim und Moon unterschreiben auch einen weiteren historischen Satz: "Es wird keinen Krieg mehr auf der koreanischen Halbinsel geben."
Das Treffen auf Sentosa gleicht in seinem Verlauf mehr und mehr der Inszenierung zweier Propagandisten, die sich darüber einig sind, einen Erfolg produzieren zu müssen: Auf den historischen Handschlag folgen das Kennenlernen zu zweit in der Bibliothek (gestoppt auf 38 Minuten), eine gemeinsame Stunde beim Mittagessen, der Gang durch den tropischen Garten des Hotels.
Das Fiasko um den G7-Gipfel in Kanada scheint in Singapur wieder vergessen – im Vordergrund steht Trump, der Mann, der das Unmögliche möglich macht. „Ich weiß genau, wie man zu einem Deal kommt, und ich habe es hier genauso gemacht“, brüstet er sich. Kim, der eiskalte Diktator, dem der Westen Morde in der eigenen Familie vorwirft und der Zehntausende in Arbeitslagern schindet, ist plötzlich salonfähig.
War es gar nicht das erste Treffen der beiden Staatsführer?
Minuten später tritt Trump vor die Presse – ohne Kim, dafür ziemlich aufgedreht. Das Treffen sei „ehrlich, direkt und produktiv“ gewesen. Er habe 25 Stunden lang nicht geschlafen und stattdessen ohne Pause verhandelt. Diese Aussage nährt ein Gerücht, das sich schon seit dem Vortag hält: Dass dies gar nicht das erste Treffen der beiden Staatsführer gewesen sei, Kim und Trump hätten sich bereits am Montag heimlich abgesprochen.
Das würde zumindest die Existenz eines unterschriftsreifen Dokuments erklären. Tatsächlich sind genug schwarze, gepanzerte Limousinen durch Singapur gerollt, um so ein Arrangement zumindest möglich erscheinen zu lassen.
Andererseits ist die gemeinsame Erklärung beider Länder auch unklar genug, um rasch auf Basis vorhandener Absprachen formuliert worden zu sein – etwa, was die atomare Abrüstung der koreanischen Halbinsel betrifft, dem Kernpunkt des Gipfels. Die Vereinbarung sieht „baldmöglichst“ Gespräche vor, um die Ergebnisse „zügig“ umzusetzen. Doch es gibt keine konkrete Festlegung, keinerlei Fahrplan. Über Nachfragen geht Trump in der Pressekonferenz hinweg.
„Der Prozess beginnt jetzt sehr schnell“, erklärt er. „Da steckt sehr viel guter Wille von beiden Seiten drin.“ Die Übereinkunft werde zu „weitreichenden Ergebnissen“ führen. Vor allem aber ist Trump mit sich selbst zufrieden. „Wir haben einen sehr intensiven halben Tag miteinander verbracht und fantastische Ergebnisse erzielt.“ Seine Leistung gehe weit über das hinaus, was andere Präsidenten vor ihm mit Nordkorea erreicht hätten. „Es ist besser gelaufen, als irgendjemand hätte erwarten können. Spitzenklasse.“
Nordkorea hatte schon zuvor beteuert, sein Atomprogramm aufzugeben
Experten sehen das anders. Nordkorea erkläre sich zwar zur „vollständigen Denuklearisierung“ bereit, sagt Ben Forney vom Asan Institute for Policy Studies in Seoul. „Doch es fehlen überprüfbare Kriterien dafür.“ Die Erklärung bringe keine der beiden Seiten verlässlich auf den Weg der Deeskalation. Ohnehin ist es nicht das erste Stück Papier, in dem das Land beteuert, sein Atomprogramm aufzugeben.
Kims Großvater und Vater haben ähnliche Vereinbarungen unterschrieben – und stets gebrochen. Deshalb wollten Trumps Vorgänger George Bush und Barack Obama den Nordkoreanern keine Zugeständnisse machen, ohne dass diese konkret in Vorleistung gehen. Hier sieht Politikwissenschaftler Forney ein großes Defizit des Gipfels: Trump hat von Kim nicht mehr als ein Versprechen bekommen.
Im Gegenzug habe sich der US-Präsident leichtfertig bereit erklärt, die gemeinsamen Militärmanöver mit dem Verbündeten Südkorea zu beenden – schon lange ein Dorn im Auge der Nordkoreaner. Die Manöver seien ohnehin nur „Kriegsspiele“, die viel zu viel Geld kosteten, meint Trump.
Noch während des Gipfels melden sich die Nachbarländer mit Zustimmung in verschiedenen Tonlagen. Japan begrüßt die Erklärung, bezeichnet sie aber allenfalls als „einen guten Anfang“. China lobt beide Seiten dafür, genau die Übereinkunft gefunden zu haben, die Peking sich gewünscht habe. Tatsächlich schmelzen die Handelsbeschränkungen bereits: China deutet an, jetzt, wo es einen Friedensprozess gebe, könne es ja wieder die Grenzen öffnen. Südkoreas Regierung zeigte sich stolz, dass die Dialogpolitik des eigenen Präsidenten Moon Jae In nun Erfolg zeigt.
Bisher lief die Koordination zwischen den USA und Nordkorea als eine Art Geheimdiplomatie, unterbrochen von Überraschungsbesuchen von Sicherheitsberatern in den jeweiligen Hauptstädten. Ab jetzt können Unterhändler beider Seiten mit dem Mandat ihrer Regierungschefs regulär verhandeln, um am Ende zu einem detaillierteren Dokument zu gelangen.
Trump kündigt an, dass sein Sicherheitsberater John Bolton und Außenminister Mike Pompeo die Gespräche fortsetzen sollen. In Sachen Nordkorea will der US-Präsident wohl erst wieder in Erscheinung treten, wenn es große Bilder gibt. Trump hat jedenfalls angekündigt, Kim „zu einem angemessenen Zeitpunkt“ ins Weiße Haus einzuladen. (mit dpa)
Unser Korrespondent Finn Mayer-Kuckuk hat das Ergebnis des Gipfels kommentiert: Deal von Trump und Kim ist für Millionen Menschen schlecht.
Hier können Sie den Live-Blog zum Treffen nachlesen:
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