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Kommentar: Die emotionalen Folgen der Corona-Politik dürfen nicht vergessen werden

Kommentar

Die emotionalen Folgen der Corona-Politik dürfen nicht vergessen werden

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    Die Corona-Krise kann die Psyche belasten. Die dunkle Jahreszeit kommt erschwerend hinzu.
    Die Corona-Krise kann die Psyche belasten. Die dunkle Jahreszeit kommt erschwerend hinzu. Foto: Silvia Marks, dpa (Symbolbild)

    Ahnen Politiker eigentlich, welche seelischen Dramen sich in Kinderzimmern rund um die Frage abspielen, wer denn nun der beste Freund ist? Wie viele bittere Tränen vergossen werden, wenn der eigene Lieblingsfreund einen anderen Spielpartner vorzieht? Offenbar nicht. Zwar haben Bund und Ländern zum Glück davon abgesehen, Kindern zur Eindämmung der Corona-Pandemie nur noch Treffen mit einem einzigen Freund zu erlauben. Das war zunächst tatsächlich so geplant. Doch die dringende Empfehlung auch für Kinder, Kontakte auf Angehörige nur eines weiteren Haushalts zu begrenzen, läuft praktisch aufs Selbe hinaus.

    Bleiben echte Besuche aus, erkaltet auch die wärmste Verbindung

    Wir diskutieren ohnehin viel zu wenig darüber, was die Pandemie-Ausnahmensituation eigentlich für die Kleinsten bedeutet. Eine Kindheit soll möglichst unbeschwert sein. Ist es da noch irgendwie niedlich oder schon eher Anzeichen von Trauma, wenn die Puppe eine selbst gebastelte Papier-Maske erhält? Wenn Kinder vor dem Spiel beraten, ob im Playmobil-Zoo Maskenpflicht gilt? Mit ihren Sorgen, ob die Kinder die Corona-Zeit so einfach wegstecken werden, wie die Krise sie prägen wird, werden Eltern weitgehend allein gelassen.

    Auch an den Erwachsenen geht die Ausnahmesituation ja nicht spurlos vorüber. Keiner kennt das wahre Ausmaß des Leides der Menschen, die einsam sind, vielleicht einen Partner suchen. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Durch die Ansage der Regierung, Kontakte auf Angehörige eines weiteren Haushalts zu reduzieren, werden Beziehungen auf dem Vor-Corona-Stand eingefroren. Aus neuen Nachbarn werden keine Freunde, weil die irgendwann fällige Einladung zum Essen eben ausbleibt. Ein paar kommen hinzu, ein paar gehen irgendwie verloren, so heißt es normalerweise über Freundschaften. Durch Corona gerät die Bilanz in Schieflage.

    Telefonate oder Videogespräche können echte Besuche nicht ersetzen, bleiben sie aus, erkaltet auch die wärmste Verbindung. Gerade über größere Entfernung oder Landesgrenzen. Es kommt kaum mehr etwas an Beziehungen hinzu in einer Zeit, in der Mitmenschen zuerst als mögliche Ansteckungsherde empfunden werden. Zufallsbekanntschaften fallen mangels Gelegenheit weg, so können auch keine engeren Beziehungen entstehen. Aber auch der zwanglose Kaffee mit der neuen Sportkameradin oder das Bier mit dem Stadionkumpel dient ja der Psycho-Hygiene. Was es mit uns macht, wenn die sozialen Beziehungen plötzlich heruntergedimmt werden, ist noch nicht einmal in Ansätzen erforscht. Es scheint die Politik auch wenig zu interessieren.

    Merkels Politik rechnet soziale und emotionale Konsequenzen zu wenig ein

    Es ließe sich trefflich darüber streiten, ob sich diese Kollateralschäden irgendwie verhindern ließen. Vollständig wahrscheinlich nicht. Doch manchmal entsteht der Eindruck, als würden sich Kanzlerin, Länderchefs und Minister über diese Art Corona-Folgen überhaupt keine Gedanken machen, wenn sie neue Maßnahmen beschließen. Gegen die wirtschaftlichen Verheerungen gibt es Staatshilfen. Covid-19 macht uns aber nicht nur materiell ärmer, sondern auch emotional. Niemand sollte den Pandemie-Schmerz vieler Menschen schulterzuckend abtun als Gefühlsduselei. Belastende Erlebnisse oder länger anhaltende bedrohliche Zustände können den Betroffenen auf Jahrzehnte hinaus zu schaffen machen. Verdrängung verschlimmert alles nur.

    Eine Politik, an deren Spitze mit Kanzlerin Angela Merkel eine nüchtern denkende Naturwissenschaftlerin steht, rechnet die sozialen und emotionalen Konsequenzen ihres Handelns viel zu wenig ein. Es ist an der Zeit, nicht mehr nur die Virologen zu Wort kommen zu lassen, sondern auch die Experten für seelische Gesundheit. Doch wer ist eigentlich der Christian Drosten unter den Psychologen? Wer der Lothar Wieler der Psychiatrie? Wer gibt uns wirklich sinnvolle, fundierte Ratschläge, wie wir wertvolle Freundschaften über die Krise retten und unsere Kinder seelisch gesund halten können?

    Spätestens jetzt wo dieser lange, kalte, dunkle Corona-Winter bevorsteht, kann die Politik diese Fragen nicht länger ignorieren. Corona gefährdet unsere Gesundheit, unser Leben und unseren Reichtum. Es ist richtig, entschieden dagegen zu kämpfen. Doch dabei sollten wir stets auch die Gefahren von Einsamkeit, Frust und Depression im Blick haben. Ob wir irgendwann in einer traurigen, freudlosen Zukunft voll Sehnsucht an die Zeit vor Corona zurückblicken oder als Gesellschaft gestärkt aus dieser epochalen Krise hervorgehen, entscheidet sich jetzt.

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