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Thüringen: Die Schande von Erfurt: Kemmerichs bitterer Erfolg

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Die Schande von Erfurt: Kemmerichs bitterer Erfolg

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    Umstrittener Handschlag: Björn Höcke (rechts) gratuliert Thomas Kemmerich.
    Umstrittener Handschlag: Björn Höcke (rechts) gratuliert Thomas Kemmerich. Foto: Martin Schutt, dpa

    Dammbruch. Das ist das Wort der Stunde, wenn es um den neuen Ministerpräsidenten Thüringens geht. Thomas Kemmerich von der FDP löst seinen Vorgänger Bodo Ramelow von der Linken ab. Der Coup von Erfurt gelang mit den Stimmen der CDU und denen der AfD. Die Rechtsausleger werden in Thüringen von Björn Höcke geführt, dem Chef des radikalen Flügels der Partei. Laut einem Gerichtsurteil darf er als Faschist bezeichnet werden.

    Kemmerichs bitterer Erfolg sendet Schockwellen durch ganz Deutschland. In Thüringen ist das passiert, was wegen der deutschen Geschichte nie wieder passieren sollte. Nicht einmal von der eigenen Partei bekam der 54-Jährige die volle Rückendeckung. FDP-Chef Christian Lindner wälzte die gesamte Verantwortung auf die Landes-FDP ab. Sie war bei den Landtagswahlen im Oktober nur hauchdünn in den Landtag eingezogen, hievte sich mit 73 Wählerstimmen über die 5-Prozent-Hürde.

    Die FDP stellt völlig überraschend den Thüringer Ministerpräsidenten

    Die schwächste Fraktion stellt nun völlig überraschend den Ministerpräsidenten. „Die FDP verhandelt und kooperiert mit der AfD nicht“, versuchte ein sichtlich angefasster Lindner zu erklären, was nicht sein darf. Seine kurzes Statement schloss er mit dem Verweis auf Neuwahlen. Dabei hatten die Liberalen Stunden zuvor das erste Mal seit Beginn der 50er Jahre eine Staatskanzlei erobert. Nach dreieinhalb Minuten zog sich der FDP-Chef zurück, ohne Nachfragen zu beantworten. Für Lindner ist das außergewöhnlich. Genauso hielt es CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. „Das Beste für Thüringen wären Neuwahlen“, sagte er und verschwand.

    Susanne Hennig-Wellsow hat dem neuen Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich soeben einen Blumenstrauß vor die Füße geworfen und wendet sich ab.
    Susanne Hennig-Wellsow hat dem neuen Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich soeben einen Blumenstrauß vor die Füße geworfen und wendet sich ab. Foto: Martin Schutt, dpa

    Außergewöhnlich war nicht nur die fehlende Weitschweifigkeit der Spitzen, sondern auch die kurze Regierungserklärung Kemmerichs. Sie dauerte kaum fünf Minuten und statt eine politischen Vision auszubreiten, wurde der schwer um Souveränität ringende Ministerpräsident aus dem Saal als Heuchler beschimpft. „Es geht um Thüringen. Die Arbeit beginnt jetzt“, sagte Kemmerich trotzig und blickte streng auf sein Pult. Die anschließende Aussprache wurde vertagt. Die Mehrheit dafür kam wieder mit den Stimmen von CDU und AfD zustande. Wohin Kemmerich mit dem Land im Herzen Deutschlands will, scheint er selbst nicht zu wissen. Fakt ist, dass er kein Gesetz ohne Unterstützung von AfD oder Linkspartei durch den Landtag bringen kann. Auf Letztere kann er nicht setzen. Vor seiner Antrittsrede hatte ihm die Landesvorsitzende der Thüringer Linken, Susanne Hennig-Wellsow, nicht etwa gratuliert, sondern den obligatorischen Blumenstrauß vor die Füße geschmissen. Auch das ist außergewöhnlich in einem deutschen Parlament.

    Bodo Ramelow hatte seit 2014 amtiert

    Kemmerich hat der Partei ihren einzigen Ministerpräsidenten entrissen. Bodo Ramelow hatte in Thüringen seit 2014 amtiert. Doch wegen der Schwäche seiner Koalitionspartner SPD und Grüne reichte es nach den Landtagswahlen im Oktober nicht für die Fortsetzung des Bündnisses. Weil die Thüringer CDU um Landeschef Mike Mohring auch auf Druck aus Berlin nicht mit den Linken zusammenarbeiten will – und mit der AfD schon gar nicht – schien aber keine andere Regierung möglich. Die CDU muss nun verkaufen, wie sie einerseits klare Kante gegen die AfD zeigen will und andererseits mit ihr Ramelow gestürzt hat. Kemmerich warf erst im dritten Wahlgang seinen Hut in den Ring. Ramelow hatte sich vorher nicht durchsetzen können. Dennoch galt sein Sieg als sicher. Nach der Auszählung der Stimmen verließ er mit hängenden Schultern den Saal.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Was im Thüringer Landtag vor sich ging, ist eine Schande

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