Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Die Kanzlerfrage: Der Sieger heißt Gabriel - oder etwa nicht?

Die Kanzlerfrage

Der Sieger heißt Gabriel - oder etwa nicht?

    • |
    SPD-Chef Sigmar Gabriel (Mitte) hat Frank-Walter Steinmeier (rechts) als Kandidaten für das höchste Amt im Staat durchgesetzt. Martin Schulz (links) könnte Außenminister werden.
    SPD-Chef Sigmar Gabriel (Mitte) hat Frank-Walter Steinmeier (rechts) als Kandidaten für das höchste Amt im Staat durchgesetzt. Martin Schulz (links) könnte Außenminister werden. Foto: Hendrik Rauch, imago

    Sigmar Gabriel ist unberechenbar. Die Frage ist nur, ob das nun eine Stärke ist oder eine Schwäche. In der SPD hadern sie oft mit ihrem Chef und dessen Hang zum Alleingang. Auch Ende Oktober verdrehen viele Genossen die Augen. Gabriel hat es wieder getan.

    Ohne sich um mögliche Mehrheiten zu scheren, ohne sich mit irgendjemandem abzusprechen, schlägt er Frank-Walter Steinmeier als nächsten Bundespräsidenten vor. Und wieder wird getuschelt, nicht nur in der SPD. Was hat ihn denn jetzt wieder geritten?

    Ohne die Stimmen von CDU und CSU hat Frank-Walter Steinmeier keine Chance

    Alle wissen: Ohne die Stimmen von CDU und CSU hat Steinmeier praktisch keine Chance. Und die Union wird sich ja wohl kaum einen Kandidaten von den Genossen diktieren lassen. Oder etwa doch? Gabriel riskiert in diesen Stunden viel – womöglich sogar seine eigene politische Zukunft. Seit gestern ist klar: Er hat gewonnen. Zumindest dieses Mal.

    Mit seinem Coup überrascht der 57-Jährige nicht nur die Kanzlerin, sondern auch seine eigenen Leute. Plötzlich hat der Mann, den viele für zu impulsiv und zu wankelmütig halten, Oberwasser. Nutzt er jetzt die Gunst der Stunde, um auch in der Kanzlerkandidaten-Frage Tatsachen zu schaffen?

    Es gibt kaum einen Zweifel daran, dass der Vizekanzler gerne zum Kanzler aufsteigen würde. Und noch weniger Zweifel gibt es daran, dass er sich dieses Amt auch zutraut. Dummerweise sind nicht alle in der SPD so begeistert von dieser Idee.

    Gabriel hat ein Problem: Anders als Frank-Walter Steinmeier ist er in der Bevölkerung ziemlich unbeliebt. Die entscheidende Frage lautet also: Soll man wirklich einen Kandidaten ins Rennen schicken, den die Wähler nicht mögen?

    Ein Mann hat diese Frage bereits beantwortet – ohne gefragt worden zu sein. Er heißt Frank Stauss und ist einer der wichtigsten Strategen der Sozialdemokraten. Als Wahlkampfmanager stand er schon Gerhard Schröder zur Seite. Und im Frühjahr war es nicht zuletzt seine Strategie, die der SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz zum Sieg gegen Julia Klöckner verhalf – und die galt bis dahin immerhin als Zukunft der CDU.

    Ist Sigmar Gabriel der Grund für den Abgang des Kanzlermachers?

    Dieser Frank Stauss erklärt also in der vergangenen Woche, dass er für den Bundestagswahlkampf der SPD im kommenden Jahr nicht zur Verfügung steht. Offiziell hat seine Agentur keine Kapazitäten frei. Aber das glaubt natürlich kein Mensch. Der Grund für den Abgang des erfolgreichen Kanzlermachers hat einen Namen: Sigmar Gabriel.

    Rückblende: Auf seiner Internetseite äußert sich Stauss Mitte Oktober zum US-Wahlkampf. Über Hillary Clinton schreibt er: „Auch wenn man meint, an der Reihe zu sein, auch wenn man es sich tatsächlich verdient hat, selbst wenn es objektiv ungerecht wäre, zurückstecken zu müssen – die Zeiten sind zu ernst, um nicht einzusehen, dass eine falsche Kandidatur zur falschen Zeit verheerende Folgen haben kann.“ Es sind Sätze mit einem doppelten Boden. Hat Stauss etwa über Clinton geschrieben, aber (auch) Gabriel gemeint?

    Dass der Wahlkampfexperte mit der „Aus-dem-Bauch-heraus-Politik“ des SPD-Chefs nicht viel anfangen kann, ist bekannt. Im Interview mit unserer Zeitung sagte er einmal – ohne Namen zu nennen: „Wer standhaft bleibt, wird am Ende dem vorgezogen, der sein Fähnchen in den Wind hängt.“ Letzteres werfen Kritiker Gabriel immer wieder vor. Bei seiner Wiederwahl zum Parteichef im vergangenen Jahr bekommt er lausige 74 Prozent der Stimmen.

    Doch Gabriel hat auch viele Anhänger, und die finden es gut, dass dieser Mann keinen Konflikt scheut, rechten Dumpfbacken auch mal den Stinkefinger zeigt, ab und zu einen Spruch für den Stammtisch raushaut oder live auf Sendung Journalisten angiftet.

    „Sigmar Gabriel ist ein demokratischer Populist, und das ist auch gut so“, sagt einer, ohne den der SPD-Chef wohl nie so weit gekommen wäre. Altkanzler Gerhard Schröder hat ihn einst in Niedersachsen gefördert und steht auch heute noch hinter ihm. Gestern stellte er ein Buch über seinen Zögling vor und bezeichnete Gabriel als den richtigen Mann gegen die Erfolge von Rechtspopulisten.

    Reicht das? Immerhin gibt es jemanden in den eigenen Reihen, der dem Chef noch einen Strich durch die Rechnung machen könnte.

    Als Präsident des Europäischen Parlaments hat sich Martin Schulz außenpolitisches Profil erworben. Und so dauert es nicht lange, bis sein Name fällt, als es gestern um mögliche Nachfolger für Frank-Walter Steinmeier im Auswärtigen Amt geht.

    Schulz gilt in der SPD schon lange als Ersatzparteichef. Er ist in letzter Zeit öfter in Talkshows zu sehen. Vielleicht, um sein Image als vermeintlicher Brüsseler Bürokrat abzuschütteln? Sollte das sein Plan sein, scheint er aufzugehen. Viele Genossen halten den eloquenten Schulz längst für den besseren Kanzlerkandidaten.

    Die Union fürchtet, Martin Schulz kann Außenminister werden

    Und auch die Konkurrenz fürchtet den Mann aus Brüssel offenbar mehr als den aus Goslar. In der Union bricht jedenfalls angesichts der Vorstellung, Schulz könnte im Februar Außenminister werden, eine gewisse Unruhe aus. Schließlich ist dieses Amt das perfekte Sprungbrett für eine Kanzlerkandidatur.

    Der Europapolitiker selbst hält sich bislang zurück, wenn es um eigene Ambitionen geht. Er gilt als Vertrauter Gabriels und wird ihm kaum in den Rücken fallen. Erst am Wochenende sagt Schulz in einem Interview: „Ganz sicher wäre Gabriel ein guter Kandidat und Kanzler.“

    Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Im Oktober fragten die Meinungsforscher von Forsa, wen die Deutschen lieber als Kanzler hätten. Gabriel kam auf desaströse 18 Prozent, Schulz immerhin auf 29 Prozent.

    Denkbar ist auch, dass Gabriel und Schulz als Team ins Wahljahr gehen. So oder so wird der SPD-Vorsitzende seinen Triumph in der Präsidentenfrage nicht lange genießen können. Ja, dieses Mal hat er gewonnen und die zögernde Kanzlerin düpiert. Aber schon bald wird sich der Obergenosse entscheiden müssen: Will er das Beste für sich selbst? Das Beste für seine Partei?

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden