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Kommentar: Die Corona-Krise baut Krisenkanzlerin Merkel eine ideale Abschiedsrampe

Kommentar

Die Corona-Krise baut Krisenkanzlerin Merkel eine ideale Abschiedsrampe

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    Merkel glaubt, ihre Deutschen halt zu kennen.
    Merkel glaubt, ihre Deutschen halt zu kennen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Ministerpräsidenten der Länder zum Rapport einbestellt. Anders kann man ihr Treffen mit den Landesregierungschefs an diesem Mittwoch in Berlin nicht beschreiben. Diese mächtigen Männer (und zwei Frauen) kommen nämlich auf ausdrücklichen Wunsch der Kanzlerin in die Hauptstadt, man plant ein „physisches Präsenzformat“, zum ersten Mal seit sieben Monaten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass quer durch die Republik Menschen Abstand halten und Reisen absagen sollen, um dem Virus ernsthaft Einhalt zu gebieten – die obersten politischen Virenbekämpfer sollen aber eng zusammen kommen, um den Ernst der Lage zu unterstreichen. Immerhin raunte Merkels Kanzleramtschef vom „historischen“ Charakter des Treffens.

    Angela Merkel ist wieder ins Zentrum der Corona-Krise gerückt

    Die Kanzlerin ist damit unübersehbar wieder ins Zentrum der Corona-Krise gerückt. Das war schon einmal am Anfang der Pandemie so, als Merkel – für sie völlig ungewohnt – gar eine Live-Ansprache hielt, in der sie vor der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg warnte. Doch in den entspannteren Sommermonaten, als es immer mehr Entspannung zu verkünden galt, ließ sie den Ministerpräsidenten den Vortritt, die sich um diese Rolle balgten – und sich umgekehrt ganz gerne hinter der Kanzlerin verstecken, wenn es nicht so Schönes zu verkünden gilt.

    Eine zweite „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede ist von Merkel nicht zu erwarten. Eher wird sie so nüchtern argumentieren, wie sie es in fast allen Krisen getan hat – etwa als sie zuletzt öffentlich vorrechnete, wie lange sich Corona-Infektionen verdoppeln, bis man bei über 19.000 pro Tag lande.

    Sie ist dafür im Ausland gefeiert worden, wo man den Eindruck gewinnen kann, dass Regierungschefs nicht einmal bis zwei zählen können oder wollen. Doch verraten solche Vorrechnereien einiges über das Volks-Verständnis dieser Kanzlerin, die immer auch Krisenkanzlerin war. Im kleinen Kreis spricht sie über die Deutschen bisweilen durchaus streng – zudem mit dem ab und an staunenden Blick einer Ostdeutschen, die sich ein neues Deutschland erschließen musste. Da ist zu spüren, dass Merkel etwa nicht versteht, wenn deutsche Austauschstudenten sie bei einem Auftritt in Indien erst mal fragen, ob daheim ihre Rente sicher sei. Da traut sie den Deutschen allzu viel Offenheit für tiefe Umbrüche kaum zu – und echte Einsicht erst dann, wenn die Krise wie bei Corona sehr greifbar ist. Also neigt sie auch schon mal dazu, ihre Bürger ein wenig wie Kinder zu sehen, die man vor Lockerungsorgien warnen müsse.

    Kanzlerin Angela Merkel ist zu dem Schluss gekommen: keine Experimente

    Merkel glaubt, ihre Deutschen halt zu kennen. Die Kanzlerin hat wie die Wissenschaftlerin, die sie ist, ihre Versuchsanordnung beobachtet und ist zu dem Schluss gekommen, was ihr als deutsche Regierungschefin am besten hilft. Etwa: keine Experimente. Ohne echte Krise fühlte die Kanzlerin kein ausreichend starkes Mandat, um wirklich was zu ändern. Die Eurokrise, die Flüchtlingskrise führten zu Umbrüchen – die Merkel jeweils nicht forciert hatte, die sie als Krisenausfluss trotz vieler Widerstände aber als alternativlos darstellen konnte. Gilt das auch für Corona, in der ihr Unterstützung abhandenzukommen droht, weil viele die Krise nicht mehr so sehen – und Merkel also lauter werben müsste?

    Als eine der wenigen aktuell handelnden Personen will Merkel nichts mehr werden. Selbst wenn es zynisch klingt: Die Corona-Krise hat der Krisenkanzlerin die ideale Abschiedsrampe gebaut. Visionen und Reformen werden wir in ihrem letzten Regierungsjahr von ihr nicht mehr erleben. Aber das erwartet auch niemand mehr. Das muss ihr Nachfolger (eine Frau steht ja nicht zur Wahl) angehen.

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