Han Yubo ist 15 Jahre alt und weiß bereits, was das Leben für sie bringen wird. „Wenn ich einmal heirate, werden mein Mann und ich uns nicht nur um uns selbst und unser eigenes Kind kümmern müssen, sondern auch um unsere Eltern“, sagt die Pekinger Schülerin. „Zwei Gehälter für sieben Münder – ich kann nur hoffen, dass wir erfolgreich sein und genügend Geld verdienen werden.“
Han Yubos Sorge, einmal die Versorgungspflicht für drei Generationen tragen zu müssen, ist in China so weit verbreitet, dass sie einen eigenen Namen hat: 4-2-1-Problem – das steht für zwei Omas und zwei Opas sowie Eltern und Kind. Seit Kurzem wissen die Jugendlichen hier, dass ihre Befürchtungen noch viel schneller Realität werden können als bisher angenommen. Mit der größten Volkszählung aller Zeiten hat Chinas Regierung ihr Volk einem demografischen Realitätscheck unterzogen und festgestellt, dass die Bevölkerungsstruktur weitaus kritischer ist als bisher angenommen. Die Chinesen werden immer mehr und altern dabei im Rekordtempo. Und Millionen junger Männer werden wohl nie eine Frau finden.
1339724352 Chinesen leben offiziell in der Volksrepublik, so das Ergebnis der im vergangenen Herbst durchgeführten Bevölkerungsbefragung. Das sind fast sechs Prozent mehr als beim letzten Zensus im Jahr 2000. Im Jahrzehnt davor war die Bevölkerung allerdings noch doppelt so schnell gewachsen. Dafür hat sich die Veralterung stark beschleunigt: Der Anteil der über 60-Jährigen stieg gegenüber dem Jahr 2000 um drei Prozentpunkte auf 13,3 Prozent. Gleichzeitig fiel der Anteil der unter 16-Jährigen um 6,3 Prozentpunkte auf nur noch 16,6 Prozent. In den Städten und entwickelten Küstenregionen ist der Alterungstrend noch deutlicher. Außerdem weist Chinas Bevölkerung eine unnatürliche Geschlechterverteilung auf: 48,7 Prozent sind Frauen und 51,3 Prozent Männer. In Deutschland ist das Verhältnis umgekehrt.
Schuld an den Trends ist vor allem die rigorose Geburtenkontrolle, die seit drei Jahrzehnten festlegt, dass Stadtbewohner nur ein Kind und Landbewohner höchstens zwei haben dürfen. Für Angehörige ethnischer Minderheiten gelten Sonderregelungen. Aufgrund der traditionellen Bevorzugung von Jungen wurden Mädchen häufig abgetrieben.
Die Ergebnisse der Volkszählung bestärken diejenigen Sozialforscher, die eine Aufhebung der Geburtenkontrolle verlangen. Allerdings hatte die Parteispitze kurz vor der Veröffentlichung der Zensusdaten bekräftigt, die umstrittene Regelung für mindestens zehn Jahre beizubehalten. Damit geht sie eine riskante demografische Wette ein. Die Regierung spekuliert darauf, dass China mit einer geringeren Bevölkerung schneller Wohlstand schaffen und ein Sozialsystem finanzieren kann, das auch die zunehmende Zahl der Alten versorgt. Sollten sich die wirtschaftlichen Wachstumserwartungen aber nicht erfüllen, droht die demografische Lawine den gerade erst geschaffenen Wohlstand aufzufressen.
Eine weitere Erkenntnis der Volkszählung besteht darin, dass die Urbanisierung weitaus schneller voranschreitet als von der Regierung bisher vermutet. Inzwischen lebt jeder zweite Chinese in der Stadt. Vor zehn Jahren war es erst gut ein Drittel. 261 Millionen Menschen gelten als Wanderarbeiter, doppelt so viel wie im Jahr 2000.
Das Ergebnis dürfte Forderungen nach der Abschaffung der formalen Trennung von Stadt- und Landbevölkerung neuen Aufschwung verleihen. Von der Wohnortanmeldung, dem sogenannten Hukou, hängt ab, auf welche Sozialleistungen ein Chinese Anspruch hat, wobei die Stadtbewohner bisher deutlich bevorzugt werden und Anreize haben, die Landflüchtlinge zu diskriminieren.