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Debatte: Ausländerhass bei der Tafel? Was der Fall Essen lehrt

Debatte

Ausländerhass bei der Tafel? Was der Fall Essen lehrt

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    Wer darf rein, wer nicht? Jörg Sartors Entscheidung, vorübergehend keine Berechtigungsausweise für Migranten auszugeben, sorgte bundesweit für Debatten.
    Wer darf rein, wer nicht? Jörg Sartors Entscheidung, vorübergehend keine Berechtigungsausweise für Migranten auszugeben, sorgte bundesweit für Debatten. Foto: Roland Weihrauch, dpa

    Angela Merkel neigt bekanntlich nicht zu überstürzten Urteilen. Im bundesweit aufsehenerregenden Fall der Essener Tafel jedoch hat die Kanzlerin sehr rasch und unmissverständlich öffentlich Position bezogen. Der vorübergehend beschlossene Aufnahmestopp für Ausländer und Flüchtlinge sei "nicht gut", befand Merkel – und befeuerte damit die von Politikern und Sozialverbänden geäußerte Kritik an der Tafel und deren Vorsitzendem Jörg Sartor.

    SPD-Spitzenpolitiker spricht von Ausländerhass

    Nach Gesprächen mit Essener Kommunalpolitikern ist die Kanzlerin inzwischen ein bisschen zurückgerudert. Sie will sich jetzt vor Ort ein "realistisches Bild" von der Lage machen, ließ ihr Sprecher Seibert verlauten. Gut so. Besser wäre gewesen, die Kanzlerin hätte sich erst dieses "realistische Bild" verschafft und dann geurteilt.

    Das gilt insbesondere auch für jene Politiker aus dem rot-rot-grünen Spektrum, die im Beschluss der Essener Tafel umgehend einen exemplarischen Fall von "Ausländerhass" (SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach) und Flüchtlings-Ausgrenzung erkannten oder – wie die SPD-Familienministerin Barley – flugs behaupteten, der Ausschluss von Menschen von der Tafel befördere "Vorurteile" gegen Flüchtlinge.

    Noch viel schriller fiel natürlich der prompt einsetzende Shitstorm in den sogenannten sozialen Netzwerken aus, in denen ein sozial hochengagierter Mann wie Sartor als Rassist und Nazi beschimpft wurde. Die Empörungsmaschine im Internet kommt heutzutage rasch auf Touren und kennt keine Differenzierungen. Umso wichtiger ist, dass sich hochrangige Politiker und Verbandsvertreter mit raschen Urteilen zurückhalten und auch jene Fakten zur Kenntnis nehmen, die nicht in ihr vorgefertigtes Meinungsbild passen.

    Der Andrang ist groß, das verfügbare Angebot begrenzt

    Die Essener Tafel betreut rund 6000 Bedürftige und verteilt, wie die anderen 929 Tafeln im Lande auch, Lebensmittel, die ansonsten vernichtet würden. Der Andrang ist groß, das verfügbare Angebot begrenzt. Drei Viertel der in Essen registrierten Hilfsempfänger sind Ausländer und Flüchtlinge. Der Aufnahmestopp ist erfolgt, weil einheimische Bedürftige – alleinerziehende Mütter, Rentnerinnen – von der ausländischen Klientel in den Warteschlangen teils bedrängt und weggeschubst wurden und zunehmend leer ausgingen. Natürlich sind die Leistungen der Tafel nicht an die Herkunft, sondern an die Bedürftigkeit und deren Nachweis geknüpft. So besehen, mag der formelle Beschluss der Tafel und dessen Umsetzung falsch sein.

    Und wahrscheinlich finden sich in Essen Mittel und Wege, um – wie in anderen Städten auch – die Konfrontation zwischen Bedürftigen zu vermeiden. Aber was hat es mit "Ausländerhass" oder rechtsextremer Gesinnung zu tun, wenn die Verantwortlichen einer wohltätigen Initiative darauf achten, dass auch bedürftige Menschen mit deutschem Pass an verbilligte oder kostenlose Lebensmittel herankommen? Worin sollte die angebliche "Ausgrenzung" von Flüchtlingen und Ausländern bestehen, wenn 75 Prozent (!) der Betreuten aus dieser Gruppe kommen und dieser – gemessen an der Zahl deutscher Hilfsbedürftiger – extrem hohe Anteil ja allenfalls leicht reduziert werden soll. Wie kann eine SPD-Staatssekretärin angesichts dieser Fakten davon reden, es solle in Essen offenbar nur noch "Essen für Deutsche" geben?

    Brennglas eines drohenden soziales Großkonflikts

    Ein Mann wie Sartor – und mit ihm zehntausende andere ehrenamtliche Helfer – leisten großartige Arbeit. Er braucht keine moralischen Belehrungen von Politikern, sondern Hilfe bei der Lösung eines Problems, das sich mit wohlfeil klingenden Formeln nicht wegreden lässt. Er hat es ganz unmittelbar mit Realitäten zu tun, die infolge der Flüchtlingspolitik Merkels auftreten – und von der

    Die eigentliche Brisanz des Essener Falls liegt ja darin, dass hier wie in einem Brennglas der drohende soziale Großkonflikt um die faire und gerechte Verteilung von Ressourcen aufscheint. Die Massenzuwanderung verschärft nicht nur den Konkurrenzkampf um preisgünstige Wohnungen und Jobs, sondern auch um soziale Leistungen. Insofern zeugt Essen an einem anschaulichen Beispiel von dem gesellschaftlichen Konfliktpotenzial, das infolge der ungesteuerten Einwanderung entstanden ist.

    Was ist erst mal in wirtschaftlich schlechteren Zeiten los?

    Der Sozialstaat muss immense Summen aufbringen, um die Flüchtlinge zu versorgen, und bestmöglich zu integrieren – auf viele Jahre hinaus ist mit jährlich mindestens 30 Milliarden Euro zu rechnen. In wirtschaftlich guten Zeiten wie diesen ist das machbar, ohne an anderer Stelle kürzen zu müssen. Stürzt die Konjunktur ab und misslingt – wonach es schon heute aussieht – die rasche Eingliederung möglichst vieler Einwanderer in den Arbeitsmarkt, droht die Überforderung des Sozialstaats mitsamt der damit einhergehenden Verteilungskämpfe.

    Ob sich die Politik dieser Risiken bewusst ist und die Probleme wirklich wahrnimmt? Merkels erste Reaktion auf die Vorgänge in Essen, in der ja auch mangelndes Verständnis für die Befürchtungen der aufnehmenden Bevölkerung durchschimmert, spricht nicht dafür.

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