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Debatte: Also doch: Sigmar Gabriel will die Vorratsdatenspeicherung

Debatte

Also doch: Sigmar Gabriel will die Vorratsdatenspeicherung

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    SPD-Chef Sigmar Gabriel will die Vorratsdatenspeicherung.
    SPD-Chef Sigmar Gabriel will die Vorratsdatenspeicherung. Foto: Carsten Rehder, dpa (Archiv)

    Wenn es sein muss, fackelt Sigmar Gabriel nicht lange. Der SPD-Chef, bekannt für seine etwas sprunghafte Art, war erst für die Vermögenssteuer und dann dagegen, er hat den Abbau der kalten Progression lange torpediert, um ihn später umso vehementer zu fordern – und auch von einem deutschen Alleingang bei der Vorratsdatenspeicherung, für den er jetzt wirbt, wollte der Vizekanzler vor zwei Monaten noch nichts wissen. Wie Horst Seehofer, sein Alter Ego von der CSU, steht Gabriel daher im Ruf, seine Positionen ähnlich häufig zu wechseln wie Angela Merkel ihre bunten Blazer. Man könnte allerdings auch sagen: Er lernt dazu.

    Das gilt vor allem für seinen jüngsten Vorstoß. Während weite Teile der Sozialdemokratie das Speichern von Telefon-, Mail- und Internetverbindungen noch als überzogene Maßnahme eines datenhungrigen Überwachungsstaates ablehnen, der jeden Bürger unter eine Art Generalverdacht stellt, zieht Gabriel die politischen Konsequenzen aus den Anschlägen von Paris und Kopenhagen. Die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich hat die Attentate auf die Zeitschrift Charlie Hebdo und einen koscheren Supermarkt zwar nicht verhindern können, den Behörden anschließend aber wertvolle Hinweise geliefert. Binnen kürzester Zeit wussten die Ermittler, mit wem die Brüder Cherif und Said Kouachi wann Kontakt hatten. In Deutschland dagegen dürfen solche Daten seit dem Jahr 2010 nicht mehr gespeichert werden. Entsprechend schwer wäre es im Falle eines Falles, die Kommunikationswege von Dschihadisten aufzudecken oder ihren Hinterleuten auf die Spur zu kommen.

    Ist das Verständnis von Datenschutz in der Welt von Google, Facebook und Amazon noch auf der Höhe der Zeit?

    In seinem Bemühen, die SPD wieder fester in der Mitte zu verankern, kommt Gabriel der Union nun weit entgegen. Direkt nach den Anschlägen von Paris hatte Justizminister Heiko Maas noch bestritten, dass für den Kampf gegen den Terrorismus auch schärfere Gesetze nötig sein könnten. Nun muss er in Gabriels Auftrag mit Innenminister Thomas de Maizière nach einem Weg suchen, wie Verbindungsdaten in Deutschland für befristete Zeit gesichert werden können, ohne es dabei mit dem Protokollieren und Speichern zu übertreiben.

    Die Terrorgefahr hat in den vergangenen Jahren eher zu- als abgenommen – da kann die Politik schlecht im Status quo verharren und darauf hoffen, dass Terroristen auch in Zukunft einen Bogen um die Bundesrepublik machen oder Anschlagspläne rechtzeitig aufgedeckt werden. Sie muss auch ein paar alte, vermeintlich unverrückbare Gewissheiten hinterfragen. Zum Beispiel die, ob ihr Verständnis von Datenschutz in der Welt von Google, Facebook und Amazon noch auf der Höhe der Zeit ist.

    Vor fünf Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung gestoppt

    Ja, das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung vor fünf Jahren gestoppt – aber nicht, weil ein solches Instrument prinzipiell gegen Grundrechte verstößt oder sich nicht mit unserer liberalen Rechtskultur verträgt, sondern weil die Daten damals nicht gut genug vor unerlaubten Zugriffen geschützt waren und das von der letzten Großen Koalition verabschiedete Gesetz noch eine Reihe weiterer schwerer Konstruktionsmängel aufwies. In ihrem Urteil haben die Karlsruher Richter ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Verbindungsdaten „für eine effektive Strafverfolgung von besonderer Bedeutung sind“. Das heißt: Wenn die Speicherfristen kurz und präzise umrissen sind, wenn die Daten nur auf Beschluss eines Richters herausgegeben werden dürfen und auch nur für Ermittlungen gegen Terroristen oder die organisierte Kriminalität – dann spricht auch in Deutschland nichts gegen die Vorratsdatenspeicherung.

    Auf diesem schmalen Grat zwischen Freiheit und Sicherheit müssen Union und SPD nun eine Lösung finden, die in Karlsruhe nicht wieder scheitert und in der Europäischen Union im Idealfall irgendwann die Standards für eine einheitliche Regelung in allen Mitgliedsstaaten setzt. Die rechtlichen Hürden dafür sind nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem vergangenen Jahr hoch. Unüberwindbar aber sind sie nicht.

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