Wien. An Jörg Haider hat sich gezeigt, wie leicht die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem verwischen. Haider war Stammgast einer vor allem von Homosexuellen besuchten Bar und hat dort in seiner Todesnacht mit einem - den Medien jetzt noch unbekannten - jungen Mann den tödlichen Alkohol getrunken. Den "Führerkult der Herzen", wie die österreichische Zeitung Falter schreibt, beeinträchtigte diese Tatsache bis heute nicht.
Obwohl in Klagenfurt, Wien und erst recht in Rechtsparteikreisen seit Jahren bekannt ist, dass Haider auch in der Homosexuellenszene verkehrte, blieb er in Kärnten der bewunderte und verehrte Landeshauptmann, während sich deutsche Medien über das vermeintliche "Doppelleben" empören.
Sie beachten nicht, dass Haider nicht im Verborgenen lebte. Auch seiner Familie war bekannt, was sich in seinem Umfeld abspielte. Seine Frau sorgte bis zur Trauerfeier dafür, dass "Bisexualität" nicht zum Thema wurde. Sie verklagte sogar den Klagenfurter Staatsanwalt, der Informationen über die letzten Stunden Haiders freigab. Claudia Haider weist jetzt übrigens auch alle Angebote zurück, Nachfolgerin Haiders an der Spitze der Landesregierung zu werden.
Bei Politikern beachten die österreichischen Medien bisher das ungeschriebene Gesetz der Diskretion gegenüber dem Privatleben, auch wenn manche jede Grenze überschreiten, wenn es etwa um die Unschuldsvermutung Verdächtiger geht, die sich nicht wehren können. Hand in Hand damit geht die Absage an die Prüderie.
Homosexualität wird ebenso wenig verurteilt wie uneheliche Kinder, Söhne von Bischöfen oder außereheliche Affären. Man spricht nur nicht laut darüber, es sei denn, die Betroffenen begeben sich selbst in die Fänge des Boulevards wie der schillernde Bauunternehmer Richard "Mörtel" Lugner.
Sexuelle Freizügigkeit galt schon in der Habsburger-Zeit oder in den zwanziger und dreißiger Jahren im Osten Österreichs als bohemienhaft und schick. Die Macht der katholischen Kirche, die ja selbst in etliche Krisen mit homosexuellem Aspekt verwickelt war, setzt nur noch in ländlichen Gegenden moralische Standards. In Städten wie Wien oder Klagenfurt ist dagegen eine lange Tradition des "Lebens und Lebenlassens". Bürgertum und Halbwelt gehen tolerant miteinander um, denn schließlich kommt es immer wieder zu Überschneidungen.
Nach diesen Regeln verläuft auch der Umgang mit Jörg Haider. Noch 2007 warf ihm sein Parteifreund, der Abgeordnete Ewald Stadler, der erst kurz vor der Wahl von der freiheitlichen FPÖ zum BZÖ gewechselt ist, vor, Haider gehöre den Freimaurern an und sei "in Zeitgeistdiscos zu den warmen Brüdern gegangen". Inzwischen stützt Stadler zumindest öffentlich Haiders "Freund" und Nachfolger Stefan Petzner.
Haider hat oft in Discos Mädchen und Jungen umarmt. Er wolle der Jugend zeigen, dass er sie ernst nehme, begründete er das vor Fernsehkameras. "Sexuelle Übergriffe" wähnten manche Medien und stellten die Fotos folgenlos ins Internet.
Ohne Folgen wären auch die Spekulationen über Haiders letzte Stunden geblieben, wenn sein Sprecher Stefan Petzner nicht die Regel der Diskretion missachtet hätte. Er "stilisierte sich als Nebenwitwer", so die deutsche Taz, und breitete tagelang in Interviews weinend aus, was ihm der Freund bedeutet habe. So bekannte er, er habe häufig in Haiders Stadtwohnung übernachtet, weil er allein zu Hause Angst gehabt habe. Mit wechselnden Moderatoren redete er über Homosexualität, ohne das Wort auszusprechen.
Angesichts dessen gibt es Vorschläge, nicht Petzner, sondern Haiders Schwester Ursula Haubner solle neue BZÖ-Chefin werden. Als Fraktionschef im Nationalrat fiel Petzner gestern schon mal durch; gewählt wurde Josef Bucher.