Neue Daten zum Corona-Impfstoff der Tübinger Pharmafirma Curevac sorgen für Enttäuschung. Wir erklären die Hintergründe – und sagen, was der Rückschlag für die deutsche Impfkampagne bedeutet.
Wie wirksam ist der Curevac-Impfstoff?
Der Impfstoffkandidat von Curevac schützt nach einer Zwischenanalyse des Unternehmens nur mit einer Wirksamkeit von 47 Prozent gegen eine Corona-Erkrankung jeglichen Schweregrades. Er entspreche damit nicht den vorgegebenen Erfolgskriterien. Von Curevac-Vorstandschef Franz-Werner Haas hieß es in dem Schreiben, die endgültige Wirksamkeit könne sich noch verändern.
In welcher Phase des Zulassungsverfahrens befindet sich der Curevac-Impfstoff?
Bereits seit Dezember – dem Monat, in dem Biontech/Pfizer seine Zulassung erhielt und die deutsche Impfkampagne begann – erprobt Curevac seinen Impfstoff in der letzten Studienphase. Dabei sammelt das Unternehmen Daten über die Wirksamkeit und Nebenwirkungen des Vakzins. Die Ergebnisse dieser sogenannten 2b/3-Phase sind entscheidend für die Zulassung. Ob und wann der Impfstoff mit den aktuellen Werten eine Freigabe von den Zulassungsbehörden bekommen könnte, ist bislang unklar. Noch vor Kurzem war von einer möglichen Zulassung noch in diesem Quartal die Rede.
Warum war der Curevac-Impfstoff ein Hoffnungsträger?
Der Curevac-Impfstoffkandidat der Tübinger Firma basiert auf der sogenannten mRNA-Technologie, genauso wie die Vakzine von Biontech und Moderna. Diese verfügen laut dem Robert-Koch-Institut über eine Wirksamkeit von etwa 95 Prozent. Mit 47 Prozent bleiben die Ergebnisse des Curevac-Impfstoffs deutlich dahinter zurück. Curevac weist in seiner Stellungnahme jedoch auf die "bislang beispiellose Umgebung mit mindestens 13 Varianten" hin, in der die Studie durchgeführt wird.
Was bedeutet der Curevac-Rückschlag für die deutsche Impfkampagne?
Der Rückschlag der Tübinger Biopharmafirma Curevac bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs bringt die Impfkampagne in Deutschland laut Bundesregierung nicht durcheinander. "Eine Auswirkung auf das Tempo unserer Impfkampagne hat diese Mitteilung nicht", sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums am Donnerstag in Berlin. Die Nachrichten über vorläufige Studienergebnisse könne das Ministerium nicht kommentieren. In den aktuellen öffentlichen Prognosen der Bundesregierung zu den Impfstofflieferungen ist Curevac ohnehin nicht aufgeführt. Doch eine Recherche in einem Internet-Archiv zeigt: Noch Anfang Mai erwartete die Bundesregierung 24,5 Millionen Impfdosen der Tübinger Firma – vorbehaltlich der Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA). Datiert ist das entsprechende Dokument auf den 22. März. Mitte Mai war Curevac dann von der entsprechenden Liste verschwunden.
Kann die EU ihre Bestellung bei Curevac stornieren?
Der Rückschlag für den Corona-Impfstoff von Curevac stellt aus Sicht der EU-Kommission keine Bedrohung für das Ziel dar, bis Ende Juli 70 Prozent der erwachsenen EU-Bevölkerung zu immunisieren. "Wir haben von Anfang an auf ein breites Portfolio an Impfstoffen gesetzt", sagte ein Behördensprecher am Donnerstag in Brüssel. Das sei auch gemacht worden, um für den Fall vorbereitet zu sein, dass ein Impfstoff ausfalle. Die Kommission gehe weiter davon aus, dass bis Ende kommenden Monats genügend Impfdosen geliefert werden könnten, um den EU-Staaten die Impfung von 70 Prozent ihrer erwachsenen Bevölkerung zu ermöglichen. Die EU-Kommission hatte 220 Millionen Dosen des Impfstoffs vorbestellt. Es sei nun abzuwarten, ob sich die vorläufigen Ergebnisse bestätigen, hieß es von der Kommission. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hatte im Februar ein schnelles Prüfverfahren für den Impfstoff der Tübinger Firma gestartet. Für den Fall, dass es zu keiner Marktzulassung in der Europäischen Union kommt, gibt es in dem Vertrag der Kommission mit dem Hersteller eine Ausstiegsklausel.
Wie groß war der erhoffte Anteil von Curevac an den Impfstofflieferungen?
Aktuell erwartet die Bundesregierung insgesamt 290 Millionen Impfstoffdosen bis zum Jahresende, die bereits gelieferten eingeschlossen. In der aktuellen Prognose vom 12. Mai heißt es jedoch, dass diese Zahlen unsicher und Änderungen nicht ungewöhnlich seien. Es entfallen 119 Millionen Dosen auf Biontech, mindestens 78 Millionen auf Moderna, 56,3 Millionen auf AstraZeneca und 36,7 Millionen auf Johnson & Johnson. Setzt man die ursprünglich erhofften 24,5 Millionen Curevac-Dosen dazu ins Verhältnis, entsprachen sie gut acht Prozent der mittlerweile erwarteten Menge an Impfdosen für das Jahr 2021.
Was passiert mit dem Steuergeld, das der Bund in Curevac gesteckt hat?
Der Bund hat Curevac und andere Hersteller mit viel Geld unterstützt. Bei dem Tübinger Unternehmen wurde er sogar Miteigentümer und erwarb im Juni 2020 knapp ein Viertel des Unternehmens als Aktienpaket im Wert von 300 Millionen Euro. Nach dem Börsengang stiegen Wertpapiere zunächst deutlich im Wert, ein zunächst gutes Geschäft für den Bund. Nachdem das Unternehmen am Mittwochabend die Nachricht über die geringe Wirksamkeit verbreitet hatte, brach die Aktie jedoch zum Börsenstart am Donnerstagmorgen um etwa die Hälfte ein. Jedoch will der Bund seine Anteile an dem Unternehmen behalten und sie vorerst nicht verkaufen, wie eine Minsteriumssprecherin am Donnerstag sagte. Neben der Beteiligung hat der Bund 252 Millionen Euro Fördergelder an Curevac gezahlt - zurückgezahlt werden müssen diese nicht.
Wie wahrscheinlich ist eine Zulassung jetzt noch?
Ob Curevac noch eine Zulassung für den Impfstoff erhalten kann, ist unklar. Die Weltgesundheitsorganisation und die US-amerikanische Zulassungsbehörde setzen eine Minimal-Wirksamkeit von 50 Prozent voraus. Curavac liegt mit 47 Prozent unter diesem Wert. Jedoch heißt es von dem Unternehmen, dass sich die Wirksamkeit bis zur Beendigung der Zulassungsstudie noch ändern könne. Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hatte im Februar ein schnelles Prüfverfahren für den Impfstoff der Tübinger Firma gestartet. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hatte im April eine deutsche Notfallzulassung gefordert und die Prüfungen als bürokratisch kritisiert. Nach Angaben vom Mai schreibt Curevac aufgrund hoher Forschungskosten für den Corona-Impfstoff rote Zahlen. Damals hatte Curevac die Zulassung noch im Juni erwartet.
Warum wirkt der Curevac-Impfstoff schlechter als andere?
Die niedrige Wirksamkeit des Corona-Impfstoffs von Curevac ergibt sich laut dem Virenexperten Peter Kremsner daraus, dass das Vakzin nicht hoch genug dosiert werden konnte. Das wiederum habe daran gelegen, dass die einzelnen Bestandteile nicht chemisch modifiziert worden seien, sagte der Leiter der Impfstoff-Studie des Tübinger Biotech-Unternehmens dem SWR am Donnerstag. Eigentlich sei dies immer als Vorteil gepriesen worden, wahrscheinlich sei das jetzt der Hauptnachteil: "Das heißt, wir konnten nicht hoch genug dosieren wie das die anderen gemacht haben." Die anderen Impfstoffhersteller hätten 30 und 100 Mikrogramm verabreicht. "Mit der Curevac-Impfung konnten wir nur zwölf Mikrogramm geben. Dann wurde es zu unverträglich, wenn man weiter höher dosiert hat."
Welchen Einfluss hat der Rückschlag auf das Unternehmen Curevac?
Der Rückschlag des Biotech-Unternehmens Curevac bei der Entwicklung seines Corona-Impfstoffs hat nach Darstellung von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer keine Auswirkungen auf den Standort Tübingen. Vorstandschef Franz-Werner Haas habe ihm in einem Telefonat versichert, dass das Unternehmen an geplanten Investitionen festhalte, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag. Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sagte, sie sei sich sicher, dass das Unternehmen den genauen Ursachen der eher schwachen Studienergebnisse auf den Grund gehen werde. "Uns ist bekannt, dass das Unternehmen schon seit Monaten mit Hochdruck an der Entwicklung von Impfstoffen der zweiten Generation arbeitet, da immer neue Varianten auftreten." Curevac wurde 2000 und beschäftigt mehr als 700 Mitarbeitern. (mit dpa)