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Covid-19: Was passiert, wenn die Intensivbetten nicht mehr reichen

Covid-19

Was passiert, wenn die Intensivbetten nicht mehr reichen

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    Ein Intensivbett in der Universitätsmedizin Rostock.
    Ein Intensivbett in der Universitätsmedizin Rostock. Foto: Bernd Wüstneck, dpa

    Noch hoffen die Ärzte an den deutschen Kliniken, dass sie von Zuständen verschont bleiben, wie sie aus Norditalien oder jetzt vom Universitätsklinikum Straßburg und aus Pflegeheimen im Elsass berichtet werden. Am schlimmsten hat die Viruswelle die völlig überforderten Kliniken in der Lombardei getroffen: Über zwei Drittel aller italienischen 7500 Corona-Toten kommen aus der Region, deren Hauptkrisengebiet die Provinz Bergamo ist.

    Die Bilder sterbender Patienten in Lazarettzelten gehen seit Tagen um die Welt. Ärzte berichten verzweifelt, wie sie ähnlich wie in einem Krieg entscheiden müssen, welcher Kranke ans Beatmungsgerät komme und wer mangels Kapazitäten zum Sterben verurteilt ist.

    Es gibt einen Handlungsleitfaden, sollten die Intensivbetten nicht ausreichen

    Auch in Deutschland werden derzeit Regelungen für den extremen Ernstfall getroffen. „Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der Covid-19-Pandemie“, heißt ein elfseitiger Handlungsleitfaden für den Fall, dass auch in deutschen Kliniken die Intensivbetten nicht mehr für alle Corona-Patienten ausreichen sollten. Und die Autoren haben großes Gewicht: Sechs Wissenschafts- und Standesvertretungen in Form von Deutschen Gesellschaften für Intensiv-, Notfall-, Beatmungs- und Palliativmedizin plus die Akademie für Ethik in der Medizin. Damit kommen die „klinisch-ethischen Empfehlungen“ einer Standard-Richtlinie gleich.

    „Nach aktuellem Stand der Erkenntnisse zur Covid-19-Pandemie ist es wahrscheinlich, dass auch in Deutschland in kurzer Zeit und trotz bereits erfolgter Kapazitätserhöhungen nicht mehr ausreichend intensivmedizinische Ressourcen für alle Patienten zur Verfügung stehen, die ihrer bedürften“, schreiben die Mediziner.

    Auch in Normalzeiten gelten klare ethische Regeln in der Intensivmedizin: So wird auf eine Intensivtherapie als „nicht indiziert“ verzichtet, wenn „der Sterbeprozess unaufhaltsam begonnen hat, die Therapie als medizinisch aussichtslos eingeschätzt wird, weil keine Besserung oder Stabilisierung erwartet wird oder ein Überleben an den dauerhaften Aufenthalt auf der Intensivstation gebunden wäre“, heißt es in den Empfehlungen.

    Für die Mediziner bedeute ein solcher Fall enorme emotionale Herausforderungen

    Auch Patientenverfügungen oder andere früh klar geäußerte Willensbekundungen zählen: „Patienten, die eine Intensivtherapie ablehnen, werden nicht intensivmedizinisch behandelt.“

    Wenn jedoch die Behandlungsmöglichkeiten nicht mehr für alle Patienten ausreichten, drohten „enorme emotionale und moralische Herausforderungen für das Behandlungsteam“. Dies erfordere transparente, medizinisch und ethisch gut begründete Kriterien für die dann notwendige Priorisierung.

    Oberstes Kriterium sei die klinische Erfolgsaussicht, ob eine Intensivtherapie begonnen wird. Und dies würde nicht nur für Corona-Patienten gelten, sondern für alle Patienten, die auf die Intensivstation müssen. So etwa auch Unfallopfer mit schweren Verbrennungen oder schwersten Mehrfachverletzungen. „Eine Priorisierung ist aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes nicht vertretbar nur innerhalb der Gruppe der Covid-19-Erkrankten und nicht zulässig allein aufgrund des kalendarischen Alters oder aufgrund sozialer Kriterien“, so die Empfehlung.

    Von Bergamo nach Leipzig: Italienische Corona-Patienten werden auch in Deutschland behandelt.
    Von Bergamo nach Leipzig: Italienische Corona-Patienten werden auch in Deutschland behandelt. Foto: dpa

    Die Entscheidung, wer auf die Intensivstation kommt, soll im Konsens getroffen werden

    In der Praxis muss die Entscheidung an den Kliniken nach dem Mehraugen-Prinzip „von möglichst zwei intensivmedizinisch erfahrenen Ärzten“ sowie „von möglichst einem Vertreter der Pflegenden“ und gegebenenfalls weiterem Fachpersonal erfolgen. „Nach Möglichkeit“, soll dieser Kreis die Entscheidung, wer im Ernstfall auf die Intensivstation kommt, im Konsens treffen und juristisch sachgerecht dokumentieren. Die Kliniken sollen eigene Vorgehensweisen für Streitfälle festlegen, empfiehlt der Leitfaden, der mit Beteiligung von rund 40 Medizinern verfasst wurde.

    Bei der Entscheidung für mangelnde oder schlechtere Erfolgsaussichten spielen demnach nicht nur die Schwere der jeweiligen Krankheit oder Verletzungen eine Rolle, sondern auch schwere Neben- und Vorerkrankungen, etwa Immunschwäche oder eine weit fortgeschrittene Krebserkrankung. Aber auch der Gesamtzustand inklusive der Gebrechlichkeit muss von den Ärzten berücksichtigt werden.

    Im Extremfall müssen solche Entscheidungen vor der Verlegung in eine Klinik getroffen werden

    Bei mangelnden Kapazitäten muss die Prognose eines Betroffenen auch mit den Erfolgsaussichten anderer Patienten verglichen werden, die um die Intensivplätze konkurrieren. Die traurige Alternative für die Verlierer im Kampf um zu wenige Versorgungsmöglichkeiten hieße im Ernstfall in der Medizinersprache „Nachrangige Behandlung“, also, „keine Intensivtherapie“, aber „adäquate Versorgung einschließlich palliativer Maßnahmen.“

    Im Extremfall müssten diese Entscheidungen dem Papier zufolge bereits in Alten- und Pflegeheimen vor einer möglichen Verlegung in eine Klinik getroffen werden. Oder sie sollten in anderen Fällen in der Notaufnahme oder beim Eintreffen des Rettungsdiensts beim Patienten geklärt werden. Im stark vom Coronavirus betroffenen Elsass ist dies bereits Praxis: Dort leisten inzwischen sogar Sanitäter in Rücksprache mit Ärzten eine „schnelle Sterbebegleitung“ mit Medikamenten.

    Über alle Entwicklungen rund um das Coronavirus informieren wir Sie in unserem Live-Blog.

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