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Covid-19: Warum die Zahlen zur Corona-Krise ihre Tücken haben

Covid-19

Warum die Zahlen zur Corona-Krise ihre Tücken haben

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    Eine Mitarbeiterin am Institut für Virologie der Technischen Universität München bereitet Proben mit Covid-19-Verdacht in einem Labor für die weitere Analyse vor.
    Eine Mitarbeiterin am Institut für Virologie der Technischen Universität München bereitet Proben mit Covid-19-Verdacht in einem Labor für die weitere Analyse vor. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Es ist inzwischen ein gewohntes Bild. Lothar Wieler spricht in die Kameras, vor sich einen Stapel mit Zetteln. Die Stirn in leichte Falten gelegt. Mit ruhiger, aber bestimmter Stimme gibt der Chef des Robert Koch-Instituts (RKI) die neuesten Fakten und Erkenntnisse rund um das Coronavirus bekannt. Jeden Tag informiert der Mediziner die Öffentlichkeit, präsentiert das, worauf Öffentlichkeit und Politik gebannt blicken: die neusten Zahlen der Infektionen. Wie schnell verbreitet sich das Virus? An dieser Frage hängt das ganze Land. Ausgangsbeschränkungen quer durch die Republik, Geschäftsschließungen, massive wirtschaftliche Verluste, aber auch eine mentale Herausforderung für große Teile der Gesellschaft.

    Und so referiert Wieler auch am Donnerstag wieder: 36.500 mit dem Virus Infizierte gibt es Stand 26. März in Deutschland – 5000 mehr als noch am Vortag. Die der Toten klettert um 50 auf 198. Dies ist der bis dahin stärkste Anstieg innerhalb eines Tages. Als geheilt gelten 3547 Menschen. Die Zahlen sind also weiter beunruhigend – aber sind sie auch korrekt? Denn wer zur gleichen Zeit auf die Homepage der amerikanischen John Hopkins-Universität klickt, der erhält ganz andere Inforationen. 39.502 bestätigte Fälle für

    Die Gesundheitsämter melden die Corona-Zahlen

    "Zahlen sind scheinbar objektiv und man glaubt ihnen eher", erläutert André Scherag vom Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwissenschaften der Universität Jena. "Sie suggerieren eine Sicherheit. Das ist ja das, was man im Moment gerne hätte." Doch die derzeit verfügbaren Zahlen haben so ihre Tücken. Das föderale System der Bundesrepublik bringt es mit sich, dass in den Bundesländern unterschiedliche Behörden die Daten erfassen, bündeln und zu unterschiedlichen Zeiten veröffentlichen. So sind die ersten in der Regel die örtlichen Gesundheitsämter. Sie übermitteln ihre Daten an die Landesgesundheitsämter. Je nachdem, wer hier wann mit den Zahlen an die Öffentlichkeit geht, können die Daten von außen betrachtet schon dann nicht mehr übereinstimmen.

    Das RKI sammelt die Zahlen aus den Ländern – und hinkt somit schon automatisch mit der Veröffentlichung hinterher. Das wurde etwa am Wochenende deutlich, als manche schon einen abflachenden Verlauf der Neuinfektionen bejubelten. Das RKI verwies aber auf den Zeitverzug: "Am aktuellen Wochenende wurden nicht aus allen Ämtern Daten übermittelt, sodass der hier berichtete Anstieg der Fallzahlen nicht dem tatsächlichen Anstieg der Fallzahlen entspricht. Die Daten werden am Montag nachübermittelt und ab Dienstag auch in dieser Statistik verfügbar sein." Hinzu kommt: Je stärker die Gesundheitsbehörden belastet sind, umso größer wird der zeitliche Verzug der Meldungen sein. Das RKI bildet mit seinen Zahlen also stets einen Stand aus der Vergangenheit ab: Wer sich krank fühlt, hat sich im Schnitt vor einer Woche angesteckt, er braucht mehrere Tage, ehe sein Testergebnis vorliegt, und dann vergeht erneut Zeit, bis die Gesundheitsämter seinen Fall melden.

    Woher kommen die Corona-Zahlen der Hopkins-Universität?

    Die John Hopkins-Universität wiederum gibt als Quelle ihrer deutschen Zahlen die niederländische Nachrichtenagentur BNO News in Tilburg an, die sich auf Zahlen der Berliner Morgenpost bezieht. Marie-Louise Timcke, die das Interaktiv-Team der Funke Mediengruppe leitet, zu der die Morgenpost gehört, hat zwar keinen Kontakt zur Uni – aber durchaus schon bemerkt: "Immer wenn wir manuell neue Zahlen eintragen, haben die irgendwann die gleichen." Auch die Morgenpost nutzt laut Timcke die Zahlen der Landesgesundheitsämter.

    Forscher Scherag warnt aber ohnehin vor Ländervergleichen – und davor, die Zahlen als absolute: Während in Deutschland inzwischen eher breit auf Sars-CoV-2 getestet werde, werde in Italien aufgrund des akuten Drucks nur sehr selektiv getestet, oder es mangele an Testdurchführungen wie in den USA. Seit dem 9. März wurden in Deutschland 410.000 Tests gemacht, in Großbritannien im gleichen Zeitraum nur 100.000. Die logische Konsequenz: Je weniger getestet wird, umso weniger bestätigte Fälle wird es geben. Deutschland steht also auch deshalb an der Spitze der Corona-Statistik, weil seine Laborsysteme gut ausgebaut sind. Und doch sind die Zahlen – egal aus welcher Quelle sie stammen – hilfreich: Für das eigene Land unter konstanten Bedingungen lasse sich die Entwicklung aber dennoch relativ gut ablesen, so Scherag. "In der Regel kann man Trends innerhalb einer Region gut erkennen." Hinzu komme allerdings eine hohe Dunkelziffer von Infizierten, die auf Basis einer aktuellen chinesischen Studie auf das Zehnfache der vorliegenden Zahlen geschätzt werden müsse. Wer keine schweren Symptome zeigt, lässt sich auch nicht testen und taucht folglich auch in keiner Statistik auf.

    Es kommt auf die Veränderungen der Corona-Zahlen an

    Doch abgesehen von den zeitlichen Abständen und der Dunkelziffer stecken die Tücken im Detail: Nehmen wir ein Praxisbeispiel von vor ein paar Tagen, als zwei Corona-Patienten starben. Eine Quelle berichtete da von zwei Toten im Krankenhaus im oberfränkischen Selb – korrekt. Eine andere Quelle berichtete von je einem Toten aus den Landkreisen Wunsiedel im Fichtelgebirge und Tirschenreuth in der Oberpfalz – was ebenfalls korrekt war. Wer nicht aufpasst beziehungsweise nachfragt, kommt am Ende auf vier Todesfälle. Oder gegebenenfalls auch nur auf drei – denn Selb ist die Große Kreisstadt im Landkreis

    Kann man also all die Zahlen, die derzeit im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus kursieren, gar nicht für bare Münze nehmen? "Das ist keine Atomphysik, die wir hier haben", sagt Scherag. Keine Quelle liefere hundertprozentig genaue Daten. Aber die deutschen Behörden und die John Hopkins-Universität haben hochkonsistente Daten. "Das hilft uns zu erkennen, ob die Dynamik sich ändert, und Maßnahmen zu planen", so der Professor. "Und man kann der Bevölkerung aufzeigen, welchen Effekt die aktuellen Maßnahmen haben. Wir alle hoffen, die jetzige Entwicklung ähnlich wie in Südkorea auszubremsen."

    Über alle Entwicklungen rund um das Coronavirus informieren wir Sie in unserem Live-Blog.

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