Die österreichische "neue Normalität" spielt sich vor allem im Baumarkt ab: Lange vor Öffnung der Türen warteten die Kunden am Dienstagmorgen mit Mund-Nasenschutz ausgestattet und ausreichend Abstand in Schlangen auf Einlass. Denn obwohl die Ausgangsbeschränkungen mindestens bis 28. April bestehen, verkaufen seit Dienstag kleine Geschäfte und Baumärkte Rindenmulch, Baumaterial oder Frühlingsblumen. "Viele wollen den Garten oder Balkon herrichten oder die Wohnung renovieren", erklärt ÖVP-Innenminister Karl Nehammer den Andrang.
Zur Sicherheit darf nur ein Kunde pro 20 Quadratmeter Ladenfläche eintreten. Um die Zahl zu begrenzen, werden die Einkaufswagen abgezählt. Wer keinen Wagen bekommt, darf nicht in den Baumarkt. Auch vor Autowaschstraßen bilden sich lange Fahrzeugschlangen.
Apotheken verkaufen FFP-2-Masken für bis zu 20 Euro
In kleinen Geschäften dagegen blieb es oft ruhig. Modeboutiquen lockten mit Preissenkungen. Besitzerinnen öffneten trotz des eiskalten Wiener Windes die Ladentür weit, um Kunden anzulocken. Doch nur vor Eisenwarenhandlungen und Handarbeitsgeschäften warteten Kunden auf dem Bürgersteig. Und vor Apotheken. Denn sie haben inzwischen die begehrten FFP-2-Masken im Angebot, die in Österreich lange Mangelware waren. Wenn auch zu stolzen Preisen von zwischen zehn und zwanzig Euro das Stück – vor der Krise kostete das Heimwerkermaterial unter 50 Cent Einkaufspreis. "Die Masken schützen Sie", ruft ein Apotheker aus dem Hintergrund. So können die Bürger angeblich unbesorgt öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Die Bahnen ÖBB verzeichneten am Dienstag nach tagelanger Flaute ein Plus von 25 Prozent. Für alle Fahrgäste gilt Nasen-und Mundschutz-Pflicht.
Kurz: Infektionszahlen haben sich gut genug für Lockerungen entwickelt
Bundeskanzler Sebastian Kurz gab in seiner Pressekonferenz die Losung aus: "So viel Freiheit wie möglich und so viele Einschränkungen wie notwendig." Die Infektionszahlen hätten sich gut genug für Lockerungen entwickelt. "Doch sollten sich die Zahlen in die falsche Richtung entwickeln, werden wir die Notbremse ziehen." Tatsächlich verdoppelt sich die Zahl der Infizierten in Österreich derzeit nur noch alle 39 Tage, sehr viel langsamer als in Bayern und Deutschland. Österreichs Corona-Politik war in den vergangenen Wochen oft Vorbild für die Nachbarn.
Auch die Zahl der Anrufe bei der Corona-Hotline ist drastisch gesunken, was als Anzeichen für die geringeren Sorgen der Bevölkerung gewertet wird. Die Kapazitäten der Intensivstationen und Krankenhausbetten reichen aus. Auch die Beschaffung von Tests und Schutzkleidung ist nach Worten des Grünen-Gesundheitsministers Rudi Anschober "kein Riesenproblem" mehr. Die guten Nachrichten können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Österreich weiter restriktiv vorgeht und einen Schwerpunkt auf Erleichterungen für die Wirtschaft setzt. "Wir legen die Priorität auf die Öffnung der Geschäfte", so Kurz. "Die Schulen öffnen wir zu einem späteren Zeitpunkt." Und weiter: "Gerade bei Kindern ist Abstand halten und das Tragen von Masken nicht so einfach wie bei Erwachsenen. Deshalb bleiben wir bis Mitte Mai beim Distance Learning." Für die Unterstützung des Heimunterrichts stellt das Bildungsministerium zusätzliches Geld bereit.
Schränken die Maßnahmen in der Corona-Krise die Grundrechte ein?
Auch in Österreich wird immer wieder Kritik an Grundrechtseinschränkungen laut. Zuletzt forderten Verwaltungsrichter, dass Bürger Rechtsmittel einlegen können sollten. Kurz lässt sich davon nicht beirren: "Das Wichtigste ist, dass wir schnell gehandelt haben und dass es funktioniert hat," sagte er. "Ob es auf Punkt und Beistrich der Verfassung entspricht, wird der Verfassungsgerichtshof entscheiden, wenn die Maßnahmen schon nicht mehr in Kraft sind."
Spätestens dann wird auch darüber gestritten, ob es gerecht ist, Einkaufszentren von der ersten Öffnungswelle auszuschließen und Friseuren die Öffnung ihrer Salons erst ab 2. Mai zu erlauben. Die Betroffenen bezweifeln das. Restaurants bleiben vorerst geschlossen, dürfen aber außer Haus verkaufen. Um die Bevölkerung bei Laune zu halten, öffnen Tennisplätze und andere Outdoor-Sportstätten. Der Grüne Vizekanzler und Sportminister Werner Kogler berät mit dem Fußballbund über Geisterspiele und betont, dass auch für Sportvereine Entschädigungsfonds gelten.
Verbraucherschutzverein bereitet Sammelklage gegen Tiroler Behörden vor
Die Ötztaler Tourismusmetropolen Sölden, St. Anton und das Paznauntal bleiben noch unter Voll-Quarantäne. Von Ischgl als Corona-Hotspot war das Virus über Skitouristen in alle Welt exportiert worden. Inzwischen prüft der Verbraucherschutzverein VSV eine Sammelklage. Er geht davon aus, dass die Tiroler Behörden zu spät gewarnt haben, um die wirtschaftlich lukrative Skisaison nicht abbrechen zu müssen. 4500 Skitouristen – mehr als 70 Prozent aus Deutschland – haben sich gemeldet. Am Dienstag reichte der Verband die ersten 54 privaten Klagen bei der Innsbrucker Staatsanwaltschaft ein, um Musterprozesse vorzubereiten.
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