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Covid-19: Haben die Schweizer Behörden in der Corona-Krise versagt?

Covid-19

Haben die Schweizer Behörden in der Corona-Krise versagt?

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    Das Schweizer Militär ist – wie auf unserem Bild in Basel – im Einsatz, um das eidgenössische Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren.
    Das Schweizer Militär ist – wie auf unserem Bild in Basel – im Einsatz, um das eidgenössische Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren. Foto: Georgios Kefalas, dpa

    Die ersten drastischen Maßnahmen gegen die Corona-Krise ordnete die Schweizer Regierung bereits Ende Februar 2020 an – also als die Welt noch nicht aus den Fugen geraten war. Vorige Woche Montag rief Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga die "außerordentliche Lage" aus und das Land in der Mitte Europas machte fast komplett dicht: Die Regierung schloss Geschäfte, mottete Skistationen ein, verriegelte Grenzen und beorderte bis zu 8000 Soldaten in den Kampf gegen die Ausbreitung der gefährlichen Atemwegserkrankung Covid-19. Militär soll das immer stärker unter Druck geratene Gesundheitssystem, das zu den teuersten der Welt zählt, stabilisieren. "Eine Mobilmachung dieser Größenordnung gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr", betonte Verteidigungsministerin Viola Amherd.

    Die Notstandsregeln brachten in der Schweiz noch keine Entspannung

    Allerdings können die Schweizer mit ihren Notstandsregeln den Vormarsch des Corona-Erregers bisher nicht stoppen. Im Gegenteil: Die Eidgenossenschaft mit 8,5 Millionen Einwohnern schoss auf der Ländertabelle der bestätigten Covid-19-Fällen auf einen Spitzenplatz. Am Donnerstagfrüh meldete das Bundesamt für Gesundheit 10714 laborbestätigte Erkrankte. Pro Kopf der Bevölkerung rangiert Helvetien damit in etwa auf dem Niveau Italiens, des Landes mit der schlimmsten Corona-Krise. Mehr als 161 Infizierte sind in der Schweiz bereits gestorben. Und die Situation wird sich nach Befürchtungen von Krankenhäusern noch verschärfen: So warnt das Luzerner Kantonsspital am Mittwoch, dass "die Zahl der Fälle, welche hospitalisiert werden müssen, in den nächsten Tagen und Wochen stark ansteigen wird". Das Gesundheitssystem ist jedoch nicht dafür gerüstet.

    Schon zu Beginn des Notstandes wurden in Kantonen wie Waadt und Wallis diejenigen Menschen, die nicht zu Risikogruppen gehören, von Corona-Tests ausgeschlossen. Der Grund: zu wenige Testkits.

    Die Spitäler haben in der Corona-Krise Besuchsverbote erlassen

    Seit Mitte März laufen das Luzerner Kantonsspital und andere Krankenhäuser im Notfallbetrieb, verbieten Besuche und ändern die Strukturen, "um die Corona-Patientenströme möglichst vom restlichen Betrieb zu separieren". In vielen Kliniken herrscht lebensgefährlicher Mangel an Beatmungsgeräten, Schutzkleidung und Intensivplätzen. Angesichts der Knappheit improvisieren die ansonsten so regeltreuen Schweizer mehr und mehr. "Wir nehmen die Intensivstation im Neubau einen Monat früher als geplant in Betrieb", sagte der Chef des Kantonsspitals Graubünden in Chur, Arnold Bachmann, der Zeitung Südostschweiz.

    Durch den gleichzeitigen Betrieb der neuen und der alten Intensivstation will das Spital die Zahl der Plätze verdoppeln. Nur: Die Maßnahme greift erst am 6. April. Und: Ob das Kantonsspital die nötigen Fachkräfte für die zweite Intensivstation findet, ist ungewiss. Andere Krankenhäuser suchen ebenfalls händeringend nach neuen Mitarbeitern, um die Patienten zu versorgen.

    Die Frage nach den Verantwortlichen für die Probleme wird lauter

    Angesichts der eskalierenden Krise werden nun die kritischen Stimmen laut: Immer mehr Bürger und Medien wie die Neue Zürcher Zeitung fragen: Wer trägt für all das die Verantwortung? Der Epidemiologe Marcel Salathé aus Lausanne wirft Behörden und Politik Versagen vor. Er und andere Fachleute hätten schon im Januar vor einer rasanten Corona-Ausbreitung gewarnt, doch es sei zu langsam reagiert worden. "In den Augen vieler waren wir einfach nur Alarmisten", sagt er. Durch das Zögern habe die Schweiz wertvolle Zeit verloren.

    Doch die Versäumnisse haben laut Schweizer Radio und Fernsehen schon viel früher begonnen. Bei den Recherchen stieß dasSRF auf ein Gutachten des früheren Chefs des Bundesamtes für Gesundheit, Thomas Zeltner, das die Regierung im Januar 2019 "völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit" veröffentlicht hatte. Im Jahr 1995 hätte die Eidgenossenschaft begonnen, "sich für den Fall einer Pandemie zu rüsten". Gemäß einem nationalen Plan sei es die Aufgabe der kantonalen Ämter gewesen, für genügend Kapazitäten in den Spitälern zu sorgen. Auch der Mehrbedarf an "Medikamenten und Medizinprodukten" hätte einkalkuliert werden sollen. Die ernüchternde Bilanz des SRF-Berichts: "Geschehen ist seither jedoch praktisch nichts."

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