Die Lockerung des Arbeitszeitgesetzes für Menschen in systemrelevanten Berufen in der Coronavirus-Krise durch eine Verordnung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) stößt auf scharfe Kritik von Gewerkschaften und der Linken. "Änderungen am Arbeitszeitgesetz sind nicht mit der Corona-Pandemie zu rechtfertigen", sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann unserer Redaktion.
"Bereits heute arbeiten viele Menschen am Limit, sei es in der Pflege, im Gesundheitswesen, im Lebensmitteleinzelhandel, den Rettungsdiensten, bei den öffentlichen Verkehrsmitteln oder der Polizei", betonte er. "Ihre Gesundheit gilt es zu schützen, gerade in Zeiten, in denen sie einen so wichtigen Job für die Gesellschaft machen", forderte der DGB-Vorsitzende.
Corona-Krise: In Ausnahmefälle 60-Stunden-Woche und noch mehr
Laut der Verordnung sind ab Karfreitag (10.April 2020) für einen befristeten Zeitraum bis 30.Juni 2020 Ausnahmen von den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes zugelassen. Dabei geht es um längere Höchstarbeitszeiten, gelockerte Mindestruhezeiten sowie Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen für bestimmte Berufe die in der Coronavirus-Krise als systemrelevant gelten. Die werktägliche Arbeitszeit der kann auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden, die wöchentliche Arbeitszeit in dringlichen Ausnahmen 60 Stunden überschreiten.
Millionen arbeiten in "systemrelevanten Berufen"
Zu den betroffenen Berufen gehören der Verordnung zufolge Gesundheits- und Pflegebereich inklusive der Apotheken, Handel und Logistik für Waren des täglichen Bedarfs, Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehren, Landwirtschaft, Verpackungsbranche, Müllabfuhr, Geldtransporte, Energie- und Wasserversorger sowie die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit von Datennetzen und Rechnersystemen. In diesen Bereichen arbeiten insgesamt mehrere Millionen Bundesbürger. Heils Verordnung ergänzt zahlreiche ähnliche bereits erlassene Verordnungen der Bundesländer.
Linken-Fraktionsvize: "Das grenzt an fahrlässige Körperverletzung"
Die stellvertretende Fraktionschefin der Linken Susanne Ferschl kritisierte den SPD-Arbeitsminister scharf: "Der Inhalt dieser Verordnung grenzt an fahrlässige Körperverletzung", sagte sie der Zeitung. "Es ist inakzeptabel, dass die Arbeitszeit von Beschäftigten, die täglich für uns ihre Gesundheit riskieren und schon an der Überlastungsgrenze arbeiten, jetzt auch noch verlängert werden soll", betonte sie. Sie empfehle den Beschäftigten keine Änderungen des Arbeitsvertrages zu unterschreiben und sich bei angeordneten Verlängerungen der Arbeitszeit an die Gewerkschaften zu wenden.
"Büchse der Pandora geöffnet"
Scharf kritisierte die Linken-Abgeordnete fehlende Dokumentationspflichten zum Nachteil der Arbeitnehmer: "Hier versucht ein SPD-Arbeitsminister die Schutzfunktion des Arbeitszeitgesetzes außer Kraft zu setzen, sorgt aber nach wie vor nicht dafür, dass die Arbeitszeiten zwingend erfasst werden", betonte sie. "Damit wird die Büchse der Pandora für eine generelle Ausweitung der Arbeitszeit geöffnet." Sie forderte dauerhafte qualitative und monetäre Aufwertung der Arbeit in den jetzt als Systemrelevant eingestuften Berufen. Ferschl bezweifelte zugleich die Rechtsgültigkeit der Verordnung in tarifgebundenen Beschäftigungsverhältnissen, Arbeitszeiten durch die Arbeitgeber einseitig zu verändern.
DGB-Chef Hoffman warnt vor Missbrauch
Auch DGB-Chef Hoffmann mahnte, die Mitbestimmungsrechte der Betriebs- und Personalräte zu wahren. "Dort, wo es tarifvertragliche Regelungen gibt, gelten sie auch weiter", betonte er. "Ich appelliere an die Arbeitgeber, den Rechtsrahmen nicht zu missbrauchen", sagte Hoffmann. "Bevor Arbeitszeiten verlängert oder Ruhezeiten verkürzt werden, sollten andere personalwirtschaftliche Maßnahmen ergriffen oder Neueinstellungen vorgenommen werden", betonte der Gewerkschaftschef. "Die Gesundheit der Beschäftigten hat oberste Priorität", fügte er hinzu. "Außerdem muss die Arbeitszeit erfasst werden, damit auch ein Ausgleich für die geleistete Mehrarbeit gesichert werden kann", forderte der DGB-Vorsitzende.
Hier finden Sie die Informationen des Bundesarbeitsministeriums zur Verordnung.
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