Am Ende waren viele von ihnen allein. Die Ehefrau ohne ihren Mann, der Großvater ohne seine Enkel. Sie sind isoliert gestorben, auf einer Intensivstation oder in einem Altenheim irgendwo in Deutschland. Dieses Schicksal teilen mittlerweile fast 80.000 Menschen. So viele Männer und Frauen haben in der Bundesrepublik ihr Leben durch eine Covid-19-Erkrankung verloren, sind an oder mit Corona gestorben, wie es so oft heißt.
Jeden Tag veröffentlicht das Robert-Koch-Institut die Zahl der Corona-Toten, die Statistik gehört längst zum täglichen Grundrauschen der Pandemie. Doch für Angehörige, Freunde, Bekannte sind die Menschen, die in dieser Zeit gestorben sind, nicht nur Zahlen in einer Statistik. Sie haben ein Gesicht, eine Lebensgeschichte.
Bundesweit wird am 18. April der Corona-Toten gedacht
Daran wird an diesem Wochenende an vielen Orten im Land erinnert. In Berlin gedenken Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzlerin Angela Merkel und weitere Politiker in einer offiziellen Veranstaltung der Verstorbenen. Steinmeier hat daneben die Aktion „Lichtfenster“ ausgerufen: Eine Kerze auf dem Fensterbrett soll Symbol für die geteilte Trauer sein. Viele Kirchen planen außerdem Gedenkgottesdienste, auch in der Region.
Für Norbert Fischer sind diese kleinen und großen Gedenkmomente wichtig. Gerade weil das Aufzählen der Corona-Toten alltäglich geworden sei, brauche es ein gemeinsames Erinnern, ein gemeinsames Trauern, sagt der Sozial- und Kulturhistoriker, der an der Universität Hamburg lehrt und Trauerkultur erforscht. „Es gibt eine große Distanz zu den Corona-Toten“, betont Fischer. Weil sie isoliert im Krankenhaus oder Altenheim sterben, ist ein normaler Abschied nicht möglich.
Dazu kommt, dass die Kontaktbeschränkungen ein Trauern in großer Gesellschaft nicht erlauben – ein Umstand, der das Abschiednehmen in Zeiten der Pandemie für alle Angehörigen schwer macht, unabhängig davon, ob jemand an einer Covid-19-Erkrankung gestorben ist oder an etwas anderem.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Aktion "Lichtfenster" initiiert
Trauerforscher Fischer beobachtet das mit Sorge. Er befürchtet einen Rückfall in eine Zeit, in der Tote und der Tod an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Bis in die 80er Jahre hinein, erläutert der Wissenschaftler, sei das Sterben ein Tabuthema gewesen. Erst durch die Hospizbewegung und auch die große öffentliche Anteilnahme für Menschen, die an einer HIV-Erkrankung gestorben sind, sei der Tod enttabuisiert worden.
Nun, da viele Menschen allein sterben und in kleinstem Kreis zu Grabe getragen werden, stellt Fischer eine Gegenbewegung fest – mit schweren Folgen für die Psyche der Hinterbliebenen. „Menschen trauern, weil sie gesellige Wesen sind“, sagt der Experte. „Sie sind mit anderen Menschen verbunden. Wenn jemand stirbt, dann entfällt auch ein Teil von uns.“ Zur Trauer gehöre aber eben auch immer, sich auszutauschen: das Treffen mit Angehörigen oder mit einer Trauergruppe, der gemeinsame Leichenschmaus. All das fehlt aktuell. Ein gemeinsames Gedenken in vielen Städten und Orten im ganzen Land könne all das nicht vollständig ersetzen, betont Fischer – aber das Leiden und Sterben der Corona-Toten ein kleines bisschen sichtbarer machen.
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