Der Staat wird die Einhaltung der 15-Kilometer-Regel zur Eindämmung des Coronavirus nicht mittels Handyüberwachung kontrollieren. Einer entsprechenden Forderung des Präsidenten des Bayerischen Gemeindebundes erteilte der bayerische Landesinnenminister Joachim Herrmann (CSU) eine klare Absage: „Diesen Vorschlag werden wir nicht weiterverfolgen“, sagte ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage unserer Redaktion.
Es gebe nicht nur rechtliche Bedenken, gerade mit Blick auf den Datenschutz, sagte der Sprecher. Bewegungsprofile aus Handydaten seien auch zur Überwachung der 15-Kilometer-Regel ungeeignet, weil es ja eine Reihe triftiger Gründe gebe, die das Verlassen des Radius‘ erlauben. Zum Beispiel der Weg zum Arbeitsplatz oder zum Einkaufen. Das Innenministerium betonte zugleich, es werde „konsequente Polizeikontrollen, beispielsweise an beliebten Ausflugsorten und Wandererparkplätzen“ geben. Auch die Einhaltung der Maskenpflicht und der nächtlichen Ausgangssperre werde weiter überwacht.
15-Kilometer-Regel: Präsident des Gemeindetages wollte Handy-Profile auslesen lassen
Der Präsident des Gemeindetages, Uwe Brandl, hatte sich angesichts des Ansturms auf verschneite Berghänge und zugefrorene Seen seine Gedanken gemacht. Denn bisher entfalten die Einschränkungen der persönlichen Freiheit nicht die gewünschte Wirkung. Die Infektionszahlen bleiben hoch. „Wir könnten heute Bewegungsprofile aus den Handys auslesen und auf diese Weise sehr treffsicher feststellen, wo sich die Menschen aufhalten“, sagte Brandl dem Bayerischen Rundfunk. „Wir müssen uns halt jetzt entscheiden, was wichtiger ist: Der Gesundheitsschutz oder der Datenschutz.“
Die 15-Kilometer-Regel gilt in Wohnorten mit mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche. Die Menschen dort dürfen sich dann nur im Umkreis von 15 Kilometern bewegen, es sei denn, sie haben triftige Gründe dafür, die Zone zu verlassen. Dazu zählen zum Beispiel der Weg zur Arbeit, ein Termin beim Arzt, der Besuch bei Kindern oder die Pflege von Alten und Kranken.
Corona-Regeln: Datenschutzbeauftragter empört über Vorstoß der Handy-Überwachung
Neben der Absage durch den bayerischen Innenminister hagelte es auch Kritik von der Bundesebene für Brandls Vorstoß. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hält überhaupt nichts von der Idee. „Eine Funkzellenabfrage zeigt noch nicht einmal verlässlich, in welcher Straße eine Person war“, sagte Kelber unserer Redaktion. Für eine wirkliche Kontrolle der Bewegungsprofile der Bürger müsse die Corona-App völlig neu programmiert werden. Dann aber, ist sich Kelber sicher, würde das Misstrauen dagegen zu groß. „Wo das hinführt, sieht man in Frankreich, da gab’s nur zwei Millionen Nutzer der App und sie ist gescheitert“, erklärte der SPD-Politiker.
CDU-Mann Norbert Röttgen, Kandidat für den Parteivorsitz, stellte ebenfalls auf den Aspekt der Akzeptanz ab. „Ich halte es für verfehlt, Datenschutz und Gesundheitsschutz in einen Gegensatz zu stellen“, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion. Datenschutz sei ein Element des Vertrauens der Bürger in die staatlichen Maßnahmen. „Das Vertrauen und die Einsicht der Bürger ist das wichtigste Kapital in der Bekämpfung der Pandemie“, sagte der CDU-Politiker. Natürlich müsse es Kontrollen geben. „Aber wenn gut gemeinte Kontrollen Vertrauen schmälern, ist nichts für die Gesundheit gewonnen.“
Ablehnung auch bei der FDP. Fraktionsvize Stephan Thomae erklärte auf Anfrage, so würde „jeder Handybesitzer in Deutschland unabhängig von einem konkreten Verdacht unter Überwachung gestellt“. Schon technisch würde die Regelung wohl gar nicht funktionieren, denn mit einer Handynummer sei ja keine Wohnanschrift fest verbunden. „Wer die Regel umgehen will, lässt das Handy einfach zuhause liegen, zumal die ganze 15-Kilometer-Regel ohnehin fragwürdig ist“, erklärte der Abgeordnete. Mit solchen Vorschlägen werde darüber hinaus die Akzeptanz der Corona-Warnapp ausgehöhlt.
Grünen-Politiker von Notz: Tracking der 15-Kilometer-Regel über Corona-App nicht möglich
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz kritisierte süffisant, verschiedene konservative Politiker würden derzeit offenbar darum wetteifern, „wem es am besten gelingt, das eigene technische Unverständnis bezüglich der grundlegenden Architektur der Corona-Warnapp einem möglichst großen Adressatenkreis zu offenbaren“. Ein Tracking zur Kontrolle des 15-Kilometer-Radius in Hotspots sei über die App gar nicht möglich. „Derart unausgereifte Gedankenspiele zeigen, dass bis heute leider noch nicht jeder Sinn und Zweck der App verstanden hat“, sagte von Notz unserer Redaktion. Gefährlich seien derartige Überlegungen insofern, „als dass sie die dringend notwendige Akzeptanz der App völlig ohne Not gefährdeten.
„Angesichts der Tatsache, dass wir möglichst viele Menschen für die Nutzung der App gewinnen müssen, damit diese als effektives Instrument zur Eindämmung der weiteren Verbreitung von Covid19 wirken kann, muss die Politik gemeinsam um Vertrauen werben“, erklärte der Grünen-Politiker. „Die jetzigen Aussagen sind das genaue Gegenteil: Sie haben das Potential, das von der Bundesregierung mühsam aufgebaute Vertrauen in die App massiv zu beschädigen.“
Deutschland gehört zu den Ländern mit dem strengsten Datenschutz
Deutschland gehört zu den Ländern mit dem strengsten Datenschutz weltweit. Er ist eine historische Lehre aus den Bespitzelungsstaaten der Nazis und der SED. Ungeachtet davon, reichen tagtäglich Millionen Deutsche persönliche Nutzerdaten an internationale Internetkonzerne wie Google und Facebook weiter, wenn sie ihr Handy in der Tasche haben oder eine Whatsapp-Nachricht schreiben. Einige asiatische Länder wie Südkorea und Taiwan haben die Pandemie besser in den Griff bekommen. Dort nutzen die Behörden die Bewegungsdaten der Bevölkerung, um das Virus einzudämmen.
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