Seit Montag gelten strengere Regeln in Bayern. "Wir müssen den Lockdown, den wir jetzt haben, verlängern und an einige Stellen auch noch vertiefen", sagte Ministerpräsident Markus Söder. Doch es regt sich Widerstand. Vor allem die 15-Kilometer-Regel steht in der Kritik.
Das könnte am Zwang liegen. Eine Studie der Universität Konstanz zeigt: Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist höher, wenn die Corona-Regeln auf freiwilliger Basis gelten.
Bei Corona-Warn-App und Impfung würde sich Widerstand gegen eine Pflicht regen
Die Verhaltensökonomin und Psychologin Dr. Katrin Schmelz hat dazu knapp 5000 Deutsche befragt. Die Teilnehmer gaben an, inwieweit sie einverstanden sind, ihre Kontakte und Reisen einzuschränken, eine Maske zu tragen, die Corona-Warn-App zu nutzen und sich impfen zu lassen.
„Ich finde in der Studie eine hohe freiwillige Bereitschaft bei 50 bis 70 Prozent der Befragten“, sagt Katrin Schmelz gegenüber unserer Redaktion. „Die durchschnittliche Akzeptanz ist unter Verpflichtungen geringer oder gleich, je nach Maßnahme.“
Vor allem bei der Corona-Warn-App, der Impfung und Kontaktreduzierung würden die Menschen in Deutschland eine Verpflichtung nicht akzeptieren. Zwischen 35 und 40 Prozent der Befragten lehnen erzwungene Maßnahmen hier ab.
Höher ist die Toleranz bei Reisebeschränkungen und Maskenpflicht. Die Zahl derer, die bei diesen Maßnahmen eine Pflicht akzeptieren, ist etwa ebenso hoch wie die Zahl jener, die sie ablehnen. „Dass sich die Wirkung von Verpflichtung und Kontrolle auf die Motivation so über die Maßnahmen unterscheidet, hat mich sehr überrascht“, sagt Schmelz.
Weil viele Deutsche freiwillig Maske tragen und der Widerstand gegen Zwang gering ausfällt, hält Schmelz eine Pflicht - wie sie in Deutschland gilt - für sinvoll. Ähnlich sieht es bei den Reisebeschränkungen aus. Bei der Corona-Warn-App und der Impfung unterstützen die Ergebnisse dagegen ein freiwilliges Modell. Eine Impfpflicht für Pflegekräfte, wie sie Markus Söder am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin ins Spiel gebracht hat, dürfte dagegen auf Widerstand stoßen.
Durchgeführt wurde die Studie am Ende des ersten Lockdowns, etwa Anfang Mai. Und ein zweites Mal im November. Die Ergebnisse wichen dabei kaum voneinander ab. Erfragt wurde jedoch nur das Einverständnis der Menschen.
Nicht untersucht wurde dagegen, ob die Teilnehmer sich tatsächlich an die Regeln halten. Sprich: Es ist trotzdem naheliegend, dass Menschen sich eher an verpflichtende Regeln halten, weil ihnen in diesem Fall Strafen drohen. „Wenn die Politik verpflichtende Maßnahmen erlässt, muss sie Widerstand aushalten. Zum Beispiel kann das heißen, dass die Leute dann eher auf die Straße gehen und gegen die Maßnahmen demonstrieren“, sagt Katrin Schmelz.
Ostdeutsche akzeptieren verpflichtende Regeln eher als Westdeutsche
Ob Menschen verpflichtende Regeln akzeptieren, hängt von mehreren Faktoren ab. Großen Einfluss hat das Vertrauen in die Regierung. Je geringer das Vertrauen, desto eher regt sich Widerstand gegen erzwungene Maßnahmen.
Außerdem hat Katrin Schmelz in ihrer Studie einen Unterschied zwischen Ost- und West-Deutschland ausgemacht. Menschen, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, akzeptieren verpflichtende Regeln eher als ihre westdeutschen Altersgenossen. "Einen Unterschied sehe ich hauptsächlich bei Maßnahmen, die Parallelen zur DDR-Erfahrung haben“, sagt Schmelz. „Das ist zum Beispiel bei Impfungen der Fall. Ich komme selbst aus der DDR und wir hatten damals eine Impfpflicht.“
Auch bei der Corona-Warn-App und den Reisebeschränkungen zeigen die Ostdeutschen eine höhere Toleranz für staatliche Kontrolle. „Ostdeutsche waren damals gewöhnt, Kontrolle und Verpflichtung zu akzeptieren. Beim Tragen der Maske dagegen sehe ich keinen Ost-West-Unterschied.“ Bei der jüngeren Generation verschwinden die Unterschiede.
„Wie wäre ich geworden, wenn ich hundert Meter weiter im Westen geboren worden wäre?“
Die Vermutung des Ost-West-Unterschieds war der Anlass für Katrin Schmelz, diese Studie durchzuführen. „Ich bin selbst an der ostdeutschen Grenze aufgewachsen. Unser Nachbarort war im Westen. Das war Sperrgebiet“, sagt sie. „Wir konnten den Westen sehen. Aber da war der Zaun, da waren Minenfelder, da waren hungrige Hunde. Das war immer irgendwie bedrohlich.“ Das Gefühl von Überwachung und Bedrohung sei an der Grenze allgegenwärtig gewesen, sagt sie.
„Ich habe mich als Kind immer schon gefragt: Wie wäre ich geworden, wenn ich hundert Meter weiter im Westen geboren wäre?“ Deshalb hatte Schmelz schon in ihrer Dissertation vor gut zehn Jahren geforscht, wie Menschen mit Erfahrungen in unterschiedlichen Regierungssystemen – in West- und Ostdeutschland – auf Kontrolle reagieren. „Und als jetzt die Corona-Maßnahmen kamen, war das für mich eine ganz offensichtliche Frage: Gibt es bei der Reaktion auf diese Maßnahmen auch einen Ost-West-Unterschied?“
Die Erkenntnisse der Studie seien im Zusammenspiel mit anderen Aspekten zu beurteilen, schreibt Schmelz in ihrem Aufsatz. Dabei sei es wichtig zu evaluieren, inwieweit eine Zwangsmaßnahme tatsächlich durchsetzbar ist. "Bei der Maskenpflicht ist die Durchsetzung relativ einfach. Man sieht sofort, ob Menschen sich daran halten oder nicht. Bei einer App ist das schon schwieriger."
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