Sie hatte diesen Schritt kürzlich in einer ARD-Sendung angekündigt, nun macht Kanzlerin Angela Merkel offenbar Ernst: Laut einem Bericht der Bild-Zeitung will die CDU-Politikerin dem Bund und damit de facto sich selbst mehr Zuständigkeiten im Kampf gegen die Corona-Pandemie verschaffen. Merkel wolle dazu das Infektionsschutzgesetz ändern, meldete das Blatt. Hinter diesem Vorstoß stehen allerdings noch einige Fragezeichen.
Infektionsschutzgesetz: Stimmen die Ministerpräsidenten ihrer Entmachtung zu?
Eine Gesetzesänderung müsste zuerst im Bundestag vorgenommen werden. CDU und CSU bräuchten dafür die Stimmen des Koalitionspartners SPD. Und die blieben am Donnerstag zunächst aus. Anschließend müsste dem derzeitigen Stand nach auch der Bundesrat zustimmen. Ob die Länder sich allerdings einen Eingriff durch den Bund in ihre Kompetenzen gefallen lassen werden, ist fraglich. Die Opposition im Bundestag zeigte sich gespalten.
Die Linksfraktion im Bundestag sprach sich gegen eine mögliche Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes aus. "Bevor der Bund das Infektionsschutzgesetz ändert, muss er erstmal die bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen", sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch unserer Redaktion. "Nicht Gesetzesänderungen beenden die Pandemie, sondern Impfdosen leisten den entscheidenden Beitrag", erklärte er.
Die Linke zu Corona: "Die Bundesregierung ist Teil des Problems nicht der Lösung"
Der Linken-Fraktionsvorsitzende warf der Bundesregierung vor, "vielfach Teil des Problems und nicht der Lösung" zu sein. So seien die Hausaufgaben in der Pandemiebekämpfung nicht gemacht worden. Auch müsse der Bundestag für mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit endlich umfassend beteiligt werden, bekräftigte Bartsch. " Angela Merkel hat sich bisher bewusst dagegen entschieden und einseitig auf die Ministerpräsidentenkonferenz gesetzt. Das war sichtbar ein Fehler", kritisierte der Fraktionschef und ergänzte, die Regierung solle sich vor allem um das Impftempo kümmern, anstatt weitere Schnellschüsse abzugeben.
Die Grünen zeigten sich hingegen offen. „Der Bund hat unbestritten die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Infektionsschutzes. Wir fordern schon seit langem, dass der Bundestag die Maßnahmen beschließt“, sagte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt unserer Redaktion. Die Regierung müsse endlich Führungskraft zeigen und einen wirksamen, aktualisierten Stufenplan vorlegen, „damit Bundestag und Bundesrat die notwendigen Änderungen im Infektionsschutzgesetz schnellstmöglich beschließen können und darin vor allem auch das Ziehen der Notbremse verbindlich verankern“. Die Ministerpräsidentenkonferenz habe es nicht vermocht, ein verpflichtendes Vorgehen zu verabreden. Nun müsse auf Bundesebene gehandelt werden. „Wir sind jederzeit bereit, auch kurzfristig im Bundestag zusammenzukommen, um notwendige Beschlüsse zu fassen“, bot Göring-Eckardt an.
Thomae: FDP fordert seit Monaten Einbezug des Parlaments bei Corona-Politik
FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae verwies darauf, dass Merkels Vorhaben gesetzgeberisch durchaus richtig sei, denn nach Artikel 74 (Absatz 1, Nummer 19) des Grundgesetzes liege die Gesetzgebung für Seuchenbekämpfung und Infektionsschutz beim Bund. „Der Bund müsste diese Gesetzgebungskompetenz nur ausüben und könnte jederzeit die Voraussetzungen und Rechtsfolgen präziser formulieren, statt wie bislang die Verantwortung für die Corona-Bekämpfung auf Bundesregierung und Länderregierungen abzuwälzen“, erklärte der Jurist.
Die FDP-Fraktion fordere seit Monaten, dass die Pandemiebekämpfung aus den Ministerpräsidentenkonferenzen zurück ins Parlament geholt werden müsse. Merkel schwebe jedoch offenbar vor, den Bundestag mit der Koalitionsmehrheit das abnicken zu lassen, „was sie bei den Ministerpräsidenten der Länder nicht durchsetzen kann, nämlich einen pauschalen und flächendeckenden Lockdown in ganz Deutschland“, kritisierte Thomae. Damit mache es sich die Kanzlerin zu einfach.
Merkel hatte in der ARD mehr Engagement der Länder bei der Pandemiebekämpfung gefordert. Die Kanzlerin ist für einen harten Lockdown, die Lockerungsschritte einiger Bundesländer gehen ihr viel zu weit. Ein Regierungssprecher hatte bereits am Wochenende erklärt, es werde überlegt, "ob und wie der Bund einheitliche Vorgaben machen soll, falls das Vorgehen der Länder nicht ausreicht". Merkel wird ihre Überlegungen vermutlich bei dem am Montag geplanten Treffen mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder erläutern und dann an die Öffentlichkeit gehen.
Beschließt die Union am Sonntag Laschets Brückenlockdown?
Zu einer Vorentscheidung kommt es indes bereits am Sonntag. In Berlin trifft sich dann der Fraktionsvorstand von CDU und CSU zu einer Klausurtagung. Zu den Teilnehmern werden auch CDU-Chef Armin Laschet und der CSU-Vorsitzende Markus Söder gehören. Laschet hat mit seinem Vorstoß für einen zwei- bis dreiwöchigen "Brückenlockdown" gerade für Aufregung gesorgt. Rückendeckung bekam er von Söder. Der bayerische Ministerpräsident hat außerdem mehrfach erkennen lassen, dass im Corona-Kampf seiner Ansicht nach der Föderalismus an seine Grenzen gestoßen ist – Söder dürfte also nichts gegen mehr Bundeskompetenzen haben.
Aus der Unionsfraktion im Bundestag kam derweil der Vorschlag, dem Bund die Möglichkeit zu geben, durch Rechtsverordnungen einheitliche Corona-Maßnahmen für ganz Deutschland anzuweisen. Einen entsprechenden Vorschlag unterbreiteten die Abgeordneten Norbert Röttgen, Johann Wadephul und Yvonne Magwas anderen, aber nicht allen Mitgliedern der Unionsfraktion. Ein gemeinsames Vorgehen sei zuletzt nicht mehr möglich gewesen, bedauern die drei Parlamentarier. "Dadurch wurde die Schwäche des Infektionsschutzgesetzes sichtbar, die darin besteht, dass dieses Gesetz nur die Landesregierungen zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt, mit denen die Ziele des Gesetzes erfüllt werden sollen, nicht aber die Bundesregierung."
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