Kein Land hat schneller geimpft, kein Land mehr Daten über den Kampf gegen Corona gesammelt – nun aber kommen ausgerechnet aus dem bislang so fortschrittlichen Israel beunruhigende Nachrichten über die Verlässlichkeit des Impfstoffes von Biontech. Nach den ersten Ergebnissen einer Studie der renommierten Hebrew University in Jerusalem wirkt er gegen die Delta-Variante des Virus nicht so gut wie erhofft. Eine Neuinfektion verhindert das Vakzin danach nur noch zu 64 Prozent. Im Februar, als Delta noch nicht so weit verbreitet war, hatte das israelische Gesundheitsministerium noch von einer „Erfolgsquote“ von 95,8 Prozent gesprochen. Allerdings schützt die Impfung auch nach der neuen Studie sehr gut vor einer schweren Erkrankung und Krankenhausaufenthalten – nämlich zu 93 Prozent.
Lauterbach: Sieben Prozent der Geimpften können schwer erkranken
Steigt bei einem geringeren Wirkungsgrad des Vakzins die Wahrscheinlichkeit einer vierten Welle? „Wenn sich die Daten bestätigen, ist das Grund zur Sorge“, betonte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gegenüber unserer Redaktion. Allerdings sei nicht die Delta-Variante allein für die geringere Wirksamkeit verantwortlich. „Unter Lockdown-Bedingungen hat der Biontech-Impfstoff die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, um 95 Prozent gesenkt“, so Lauterbach – das habe man in England bereits beobachtet. „Es könnte die Kombination sein – kein Lockdown und Delta-Variante – die dazu führt, dass der Impfstoff die Zahl der Infizierten nur noch um 64 Prozent reduziert.“ Besonders wichtig sei jedoch der Schutz vor kritischen Verläufen. „Was mich an der Studie eher noch beunruhigt hat“, so Lauterbach weiter, „ist die Tatsache, dass sieben Prozent der Geimpften schwer erkranken konnten.“
CSU-Mann Stracke: Wichtig ist jetzt die zweite Impfung
Aus seiner Sicht bestehe gegenwärtig kein Anlass zur Sorge, wohl aber zur erhöhten Aufmerksamkeit, sagt dagegen der CSU-Gesundheitsexperte Stephan Stracke. Angesichts der hohen Neuinfektionsraten mit der Delta-Variante insbesondere von jüngeren Menschen in Großbritannien und Israel warnte er gegenüber unserer Redaktion vor einer neuen Nachlässigkeit beim Impfen: „Es gibt genügend Impfstoff, sodass alle Menschen ein Impfangebot bis zum Ende des Sommers erhalten können.“ Eine vollständige Impfung biete weiterhin einen zuverlässigen Schutz, sagte Stracke – umso wichtiger sei nun die zweite Impfung. Gleichzeitig sei allerdings auch die Eigenverantwortung jedes Einzelnen gefragt. „Insbesondere müssen wir auf Abstand, Hygiene und Maske setzen.“ Gemeinsames Ziel müsse es sein, dass der Unterricht nach den Ferien zuverlässig in der Schule stattfinde. „Vollständig geimpfte Lehrer, Eltern und Großeltern“, so Stracke, „bieten einen Schutzschild für Kinder und Jugendliche.“
Israel gilt wegen seiner erfolgreichen Impfkampagne als Musterknabe im Kampf gegen Corona. Von den rund 9,3 Millionen Einwohnern haben 5,7 Millionen Menschen die erste Impfung erhalten, davon sind 5,2 Millionen vollständig geimpft. Die israelische Regierung hatte deshalb schon vor Wochen praktisch alle Corona-Regeln aufgehoben. Doch auch dort breitet sich das Virus trotz der hohen Impfquote wieder aus. In Innenräumen gilt deshalb seit kurzem wieder eine Maskenpflicht, die bislang aber eher halbherzig befolgt wird. Um die Impfkampagne voranzutreiben, impft der israelische Rettungsdienst ab sofort auch an Schulen.