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Corona-Pandemie: Was hinter dem "Corona-Knast" in Schleswig-Holstein steckt

Corona-Pandemie

Was hinter dem "Corona-Knast" in Schleswig-Holstein steckt

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    Blick aus dem vergitterten Fenster eines Zellenraums in den Innenhof der Jugendarrestanstalt Moltsfelde.
    Blick aus dem vergitterten Fenster eines Zellenraums in den Innenhof der Jugendarrestanstalt Moltsfelde. Foto: Christian Charisius /dpa

    Seit Tagen gibt es im Internet Aufregung um den sogenannten "Corona-Knast", der am Montag auf dem Gelände der Jugendarrestanstalt Moltsfelde in Schleswig-Holstein eröffnet hat. In der vom Kreis Segeberg betriebenen Anlage sollen Quarantäneverweigerer aus dem ganzen Bundesland untergebracht werden. Aber was steckt hinter den Schlagzeilen?

    Quarantänezwang gibt es in Deutschland schon länger als das Corona-Virus

    Zu aller Erst: Zwangs-Quarantäne in Deutschland ist schon älter als Covid-19. Vor der Pandemie stand sie meist im Zusammenhang mit Tuberkulose. Für diese Lungenkrankheit ist der Paragraf 30 des Infektionsschutzgesetzes ursprünglich gedacht. Dieser sieht bei wiederholten Verstößen gegen eine Quarantäneanordnung eine richterlich angeordnete sogenannte "Zwangsabsonderung" vor, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Dabei handelt es sich ausdrücklich nicht um eine Haftstrafe, sondern um einen Zwang zur Einhaltung der Quarantäneanordnung.

    Wer sich nicht an die Quarantäne hält, muss sie vielleicht hinter diesem Zaun in Moltsfelde verbringen.
    Wer sich nicht an die Quarantäne hält, muss sie vielleicht hinter diesem Zaun in Moltsfelde verbringen. Foto: Christian Carisius, dpa

    Die Quarantäne muss dann zum Beispiel in der Fachklinik für Lungen- und Bronchialerkrankungen im oberpfälzischen Parsberg verbracht werden. Dort werden schon seit Jahren tuberkulöse Verweigerer untergebracht. Meist handle es sich bei den Patienten um Menschen mit einer psychischen Erkrankung, erklärt der ärztliche Direktor Peter Pommer: "Fast immer sind das Menschen, die eine Suchtkrankheit haben, oder durch ihre geistige Erkrankung nicht einsichtsfähig sind". Beispielsweise, weil sie unter schizophrenen Wahnvorstellungen leiden. Eine ähnliche Einrichtung für die Corona-Quarantäne wollte auch der Schleswig-Holsteinische Landkreistag schaffen.

    Das Jugendgefängnis in Moltsfelde stand wegen Corona sowieso leer

    Die Arrestanstalt bei Neumünster lag als Quarantänestation nahe, da dort der Vollzug des Jugendarrests momentan ausgesetzt ist und die Anlage leer steht. Nach einem Corona-Ausbruch in den nahen Gefängnissen in Itzehoe und Kiel, wurde die Einrichtung als behelfsmäßige Krankenstation freigehalten. Moltsfelde wurde bisher aber weder als Krankenstation, noch als Quarantäneeinrichtung verwendet. Alle Zellen sind aktuell frei, darunter auch die sechs für Quarantäneverweigerer.

    So sehen die Zellen für Quarantäneverweigerer in Moltsfelde von innen aus.
    So sehen die Zellen für Quarantäneverweigerer in Moltsfelde von innen aus. Foto: Christian Charisius, dpa

    Diese sind in ganz Deutschland ziemlich selten. Die Klinik in Parsberg, war lange die einzige ihrer Art auf dem Bundesgebiet und habe meist zwischen 15 und 20 Zwangsquarantäne-Patienten bei fast 5000 Tuberkuloseerkrankungen pro Jahr gehabt. Wegen der kürzeren Quarantäne bei Corona vermutet Experte Pommer, dass das Phänomen hier noch seltener ist. Damit könnte er Recht haben: Seit Beginn der Pandemie sind in Schleswig-Holstein nur einzelne Fälle bekannt, bei denen Paragraf 30 zur Anwendung gekommen ist. Eine Statistik führt man dort nicht.

    Ralf Stegner ist stellvertretender SPD-Vorsitzender.
    Ralf Stegner ist stellvertretender SPD-Vorsitzender. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

    Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag Ralf Stegner steht hinter der Idee: "Jeder kann frei wählen, ob er die Quarantäne zu Hause machen möchte. Wer das nicht tut, muss damit leben, dass der Staat sie durchsetzt", sagte Stegner auf Anfrage. Das sei insbesondere notwendig wenn eine Gefährdung Dritter vorliegt.

    Nur Wenige wehren sich gegen die Corona-Quarantäne

    Die Schleswig-Holsteiner sind nicht die ersten mit der Idee ein Gefängnis zu nutzen: Seit Mai wurden in Brandenburg laut DPA rund 30 Quarantänebrecher in eine ehemalige Abschiebehaftanstalt in Eisenhüttenstadt eingewiesen. Aktuell ist die Station aber leer. In Sachsen wollte man Zimmer in Psychiatrien für den gleichen Zweck nutzen, aber in letzter Minute nahm Ministerpräsident Michael Kretschmer die Entscheidung zurück. Der Erlass habe "bei vielen Menschen falsche Sorgen geweckt", schrieb er auf Twitter. Auch in Bayern behält man sich vor, Quarantäneverweigerer einzusperren. Dafür wolle man allerdings kein Gefängnis einsetzen, betont ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Neben dem Freiheitsentzug müsse auch die gesundheitliche Versorgung der Betroffenen gesichert sein. Daher habe "die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einem Teil eines Krankenhauses zu erfolgen".

    Ähnlich wie die Klinik in Parsberg also. Auch dort hat man einen Trakt für Corona-Patienten reserviert. Bis dieser zum Einsatz kommt, wird es allerdings noch dauern: "Eine Corona-Infektion wäre für unsere Tuberkulosepatienten lebensgefährlich", warnt ärztlicher Direktor Pommer. Er will die Eignung des Gefängnisses nicht einschätzen. Dazu wisse er zu wenig: "Aber wir schaffen es auch ohne ein Gefängnis ganz gut, die Leute hierzubehalten".

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