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Corona-Pandemie: Viele sehen eine Spaltung der Gesellschaft. Stimmt das wirklich?

Corona-Pandemie

Viele sehen eine Spaltung der Gesellschaft. Stimmt das wirklich?

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    Vor dem Thüringer Landtag prostierten Impfgegner und Impfgegnerinnen gegen die Corona-Politik.
    Vor dem Thüringer Landtag prostierten Impfgegner und Impfgegnerinnen gegen die Corona-Politik. Foto: Martin Schutt, dpa

    Stehen sich in Zeiten der Corona-Epidemie in Deutschland zwei große Gruppen unversöhnlich gegenüber? Steuern wir auf eine Dauerpolarisierung wie in den USA zu? Hört man Wolfgang Kubicki zu, sieht es ganz so aus: Der stellvertretende FDP-Chef warnte zuletzt vor einer tiefen gesellschaftlichen Spaltung. „Jeder kämpft nur noch für sich“, lautete seine düstere Diagnose, die durchaus geteilt wird. Seit über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert wird, sehen viele Politiker eine sich dramatisch verschärfende Spaltung heraufziehen.

    Allerdings gibt es auch Zweifel daran, ob diese Analyse richtig ist. Tatsächlich lassen die Daten des Meinungsforschungsinstituts Forsa einen anderen Schluss zu. Forsa-Chef Manfred Güllner nennt die Theorie von der gespaltenen Gesellschaft eine "Mär", die von einigen Politikern, Wissenschaftlern und Medien benutzt werde, um eine immer bedrohlicher werdende Lage in Deutschland zu beschreiben. Güllner verweist auf die aktuellen Zahlen, die sein Institut am Mittwoch präsentiert hat, und setzt sie in Zusammenhang mit den Werten, die seit Beginn der Pandemie regelmäßig ermittelt wurden.

    Güllner: "Lautstark artikulierende Minorität der Impfverweigerer"

    Seine Bilanz: Während des "gesamten Verlaufs der Corona-Pandemie gab es einen großen Zusammenhalt der übergroßen Mehrheit" der Menschen, die hinter strengen Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus stünden. Zu beobachten sei, dass viele aus dieser Mehrheit sich zunehmend über die "kleine, sich allerdings lautstark artikulierende Minorität der Impfverweigerer" ärgern würden.

    Forsa-Chef Manfred Güllner.
    Forsa-Chef Manfred Güllner. Foto: Britta Pedersen, dpa (Archivbild)

    Auch Güllner sieht eine wachsende, ja besorgniserregende Kluft zwischen denjenigen, die grundsätzlich für Einschränkungen sind und kompromisslosen Gegner von Maskenpflicht, 3G, 2G oder gar einer Impfpflicht. Eine Spaltung sei dies aber angesichts der konstant klaren Mehrheitsverhältnisse nicht.

    Die Forsa-Zahlen dokumentieren, wie tief die Gegensätze sind. So meinen laut der Erhebung 74 Prozent der Anhänger der demokratischen Parteien - zu denen Forsa SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP, nicht aber die AfD zählt -, dass die von der wohl bald regierenden Ampel-Koalition beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung der vierten Welle nicht ausreichen, sondern härtere Regelungen nötig seien. Unter den Anhängern der AfD, die nach Forsa-Analysen den Kern der Impfgegner stellen, sind 35 Prozent dieser Ansicht.

    Noch deutlicher sind die Werte beim Thema flächendeckende 2G-Regelung. In dieser Frage ist das Verhältnis 86 zu 28 Prozent. Geht es um eine allgemeine Impfpflicht, hat sich das Bild nach der Forsa-Erhebung angesichts der dramatisch steigenden Infektionszahlen in den letzten Tagen gewandelt: Danach sind inzwischen 75 Prozent der Anhänger von SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP für diese einschneidende Maßnahme, die die Politik noch vor wenigen Monaten fast unisono ausgeschlossen hat.. Unter den AfD-Anhängern sind es deutlich weniger, aber immerhin noch 28 Prozent.

    Gewaltforscher fürchtet, Impfpflicht würde zu neuen gesellschaftlichen Verwerfungen führen

    Forsa beobachtet seit Jahren in seinem "Institutionen-Vertrauens-Ranking", dass die Distanz zwischen der großen Mehrheit der Deutschen, die staatliche Institutionen und demokratischen Parteien grundsätzlich für essenziell für unser politisches System halten, und Anhängern und Anhängerinnen von extremistischem, meist rechtsradikalem Gedankengut nicht neu ist. Auch lange vor Corona sei das bekannt gewesen, aber meist verdrängt worden.

    Eine These, die auch der renommierte Sozialpsychologe Andreas Zick von der Universität Bielefeld teilt: Es werde immer deutlicher, dass es Minderheiten gebe, die sich von der Demokratie distanzieren und kompromisslos ihre Einstellungen durchsetzen wollten. "Dies sind Menschen, die kein Interesse haben an einem Zusammenhalt, an einem Konsens, an einem Weg, Lösungen zu finden", sagte er dem Fernsehsender Phoenix. Der Gewaltforscher fürchtet, dass eine Impfpflicht zu neuen gesellschaftlichen Verwerfungen führen würde, da sie Impfgegner weiter radikalisieren würde. Darauf wiederum, so fürchtet Zick, würde die Mehrheit der Gesellschaft ihrerseits zunehmend mit Verhärtung reagieren. Der Konsens, dass man Minderheiten zuhören, ihren Protest dulden müsse, drohe sich aufzulösen.

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