„Kommunikationsdesaster“ nannte es vergangene Woche der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Die Opposition sprach von einem „Totalversagen“ und von einem „Kontrollverlust“, und in der Tat fällt es selbst akribischen Beobachtern des Corona-Managements der Bundesregierung aus ÖVP und Grünen schwer, hinter dem Agieren der Regierung in Wien noch so etwas wie einen Plan zu erkennen.
Die verzweifelten Appelle und Warnungen der Mediziner, wie jene des Salzburger Universitätsprofessors Richard Greil, verhallten ungehört, wochenlang zögerten Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne), Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) wie auch die Landeshauptleute der besonders schlimm betroffenen Länder Oberösterreich und Salzburg, auf die dramatische Corona-Lage zu reagieren. Vielfach sind die Intensivstationen bereits an der Auslastungsgrenze. Am Freitag offenbarte die Regierungsspitze vor der versammelten Presse schließlich ihre innere Unstimmigkeit: Zuerst trat – in Tirol bei einer Katastrophenübung weilend – Kanzler Schallenberg vor die Journalisten und verkündete einen „Lockdown für Ungeimpfte“ ab Montag.
Tirol, Salzburg, Oberösterreich? Große Verwirrung um den Lockdown für Ungeimpfte
Konkret bedeutet das: Wer nicht geimpft oder genesen ist, darf nun nur mehr für die Arbeit, zum Einkaufen, zur Erholung oder in dringenden Fällen den eigenen Wohnbereich verlassen. Schallenberg sprach davon, dass es „keine Solidarität mit Ungeimpften“ mehr geben dürfe, und davon, dass „diejenigen geschützt werden, die sich auch selbst gegen das Virus durch eine Impfung geschützt haben“.
Die Verwirrung war komplett, als kurz darauf in Wien Gesundheitsminister Mückstein zu einer Pressekonferenz bat, in der er verkündete, dass es am Montag in Oberösterreich und Salzburg einen Lockdown für Ungeimpfte geben werde – zur widersprüchlichen Ankündigung des Kanzlers gefragt antwortete Mückstein, man sei regierungsintern „in enger Abstimmung“.
Österreichs Bundespräsident Van der Bellen: "Bitte rasch handeln"
„Hören Sie auf den Rat unserer Expertinnen und Experten!“, meldete sich am Samstag Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer Botschaft mit merklich verzweifeltem Tenor zu Wort. „Nehmen Sie deren Vorschläge ernst!“, schrieb das Staatsoberhaupt, Bund und Länder müssten jetzt „bitte rasch handeln“ und: „Bitte handeln Sie klar und kommunizieren Sie nachvollziehbar!“ Das geschah erst am Sonntagmittag, als Kanzler, Gesundheitsminister und ÖVP-Innenminister Karl Nehammer vor die Journalisten traten und besagten Lockdown für Ungeimpfte – bundesweit – verkündeten. Kontrollieren soll das, trotz Ablehnung der Gewerkschaft, die Polizei.
Dass diese Maßnahmen tatsächlich rasch zu einem Abflauen des massiven Infektionsgeschehens führen werden, bezweifeln zahlreiche Mediziner. Und am Montag wurde klar: Von einer gemeinsamen Linie, was jetzt zu tun sei, sind die Regierungsparteien nach wie vor weit entfernt. Weitere Maßnahmen – auch für Geimpfte – lägen „auf dem Tisch“, sagte Mückstein am Sonntag im ORF-TV, möglich seien auch „nächtliche Ausgangsbeschränkungen für Geimpfte“, kündigte der Gesundheitsminister an – damit aber scheint er sich bei der ÖVP nicht durchsetzen zu können.
Und was wird aus der Skisaison?
Sie halte „überhaupt nichts von den Wortmeldungen des Gesundheitsministers“, schloss sich ÖVP-Tourismusministerin Elisabeth Köstinger am Montag der Linie von Kanzler Schallenberg an, der ebenfalls „dahingestellt“ sieht, ob Mücksteins erweiterte Maßnahmenpläne „wirkungsvoll“ seien.
Ob das gesteigerte Impftempo und der Ungeimpften-Lockdown ausreichen werden, um die bevorstehende Skisaison zu retten, bleibt offen. „Wir rechnen nicht mit behördlichen Schließungen von Gastronomiebetrieben oder Hotellerie, weil durch die gesetzten Maßnahmen Urlaub und Freizeit gut geschützt sind“, lässt ein Sprecher Köstingers auf Nachfrage schriftlich wissen. Der Wintersaison stehe „nichts im Wege“. Und: „Für die Bundesregierung ist wichtig, dass es für geimpfte Menschen auch weiterhin kaum Einschränkungen geben soll.“
Durch den Lockdown für Ungeimpfte steigt in Österreich immerhin die Impfrate: Rund 130.000 Erststiche gab es vergangene Woche.