Es ist ein Mittwoch, den die meisten Deutschen so schnell nicht vergessen werden. Eine Woche ist es noch bis zum Heiligen Abend, normalerweise herrscht hektisches Gewusel in den Fußgängerzonen der Republik. Diesmal bleibt es gespenstisch still. Es ist Tag eins eines Lockdowns, der doch eigentlich vermieden werden sollte. Abgesehen von Lebensmittelläden und anderen Geschäften für den täglichen Bedarf ist der Einzelhandel nun vorerst bis zum 10. Januar geschlossen, auch Schulen und Kitas bleiben weitgehend zu. Nachts gilt eine Ausgangssperre.
Es ist der härteste Durchgriff, den Bund und Länder gemeinsam in diesen Krisenzeiten beschlossen haben. Wie ernst die Lage ist, verdeutlichten einmal wieder die Zahlen: Fast 1000 Tote an einem Tag. Über 27.000 Neuinfektionen. Immer klarer wird: Es liegen sehr schwierige Monate vor Deutschland.
Vor den Apotheken bildeten sich zeitweise Schlangen, weil Senioren die von der Regierung finanzierten FFP2-Masken abholen wollten. Statt Selbstisolation also doch wieder Kontakte. „Wir standen vor der Frage, vor Weihnachten nichts zu tun oder dies zu tun“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Situation zwingt sie zum Pragmatismus und zu Kompromissen. Der vorgesehene Rest der Masken soll im Januar allerdings aus Sicherheitsgründen auch anderweitig verteilt werden. Dann könnten die FFP2-Masken per Post verschickt werden.
Ministerpräsident Hans: Gesundheitssystem steht wegen Coroa vor der Überlastung
Auch andernorts bleibt die Situation angespannt: Zum ersten Mal musste Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) am Mittwoch eingestehen, dass das Gesundheitssystem in seiner Region „ernsthaft kurz vor der Überlastung“ stehe. Krankenhäuser hätten „die Grenzen ihrer Belastbarkeit“ erreicht, beim Pflegepersonal gebe es bereits „erhebliche Engpässe“, sagte er. „Wenn wir verhindern wollen, dass zu viele Menschen sterben, wenn wir verhindern wollen, dass unsere Ärztinnen und Ärzte, unsere Pflegekräfte vor der Entscheidung stehen, wen sie noch behandeln können, dann müssen wir jetzt handeln.“
Noch schlechter sind die Nachrichten aus der Oberlausitz: Das Bergland-Klinikum im sächsischen Zittau musste offenbar bereits zum Mittel der Triage greifen – das bedeutet, dass Mediziner bei knappen Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen. Der Ärztliche Direktor Mathias Mengel sagte dem Nachrichtenportal t-online: „Wir waren in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht.“ Es werde versucht, die Patienten, für die es keine Versorgung gibt, in eine andere Klinik zu verlegen, sagte Mengel. „Aber wir sind im Epizentrum, manche Häuser nehmen gar nicht mehr auf.“ Die Entscheidung könne auch bedeuten, dass es für einen nicht verlegungsfähigen Patienten dann keine entsprechende Hilfe mehr gebe. Die Klinik bestätigt oder dementiert die Schilderungen des Arztes nicht ausdrücklich. Stattdessen betont sie: Die Lage ist kritisch.
Kanzlerin Angela Merkel hofft auf Herdenimmunität durch Corona-Impfung
Immer ungeduldiger wird daher das Warten auf den Impfstoff. Die Bundesregierung setzt auf eine europäische Zulassung des ersten Impfstoffes kurz vor Weihnachten, noch vor dem Jahreswechsel könnten Impfungen starten. Bei sechs Herstellern seien Impfstoffe gebucht worden – vorbehaltlich der Zulassung. Ziel sei, so Bundeskanzlerin Merkel in einer Befragung durch das Parlament, die „Herdenimmunität“, wofür laut Experten 65 bis 70 Prozent der Bevölkerung geimpft werden müssten – eines Tages auch weltweit. Doch der Weg dorthin ist weit, auch, weil man offenbar mit einer großen Zahl an Impfskeptikern rechnet. Falls mehr als 40, 50 oder 60 Prozent der Menschen sich nicht impfen lassen wollten, „dann werden wir noch sehr lange eine Maske tragen müssen“, sagte die Kanzlerin. Merkel bekräftigte trotzdem erneut: „Wir wollen keine Impfpflicht einführen.“
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bekräftigte, dass die Impfzentren und Impfstrukturen nun einsatzbereit seien. In einem ersten Schritt könnten nach der Zulassung „um die 400.000 Dosen ausgeliefert werden“. Pro Person werden zwei Dosen benötigt. Anfang kommenden Jahres werden weitere drei Millionen Dosen ausgeliefert. Geimpfte sollen die Möglichkeit bekommen, Wirkungen und Nebenwirkungen per App zu melden.
Laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und Robert-Koch-Institut gibt es bei den neuen Impfungen nur die etwa auch bei Grippe-Impfungen möglichen kurzfristigen Nebenwirkungen: vorübergehende Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schmerzen an der Injektionsstelle, leichtes Fieber, Muskelschmerzen. Langzeiterfahrungen gibt es zwar nicht, aber auf spätere schwerere Nebenwirkungen deutet laut PEI auch nach intensiven Überlegungen und auf Basis von Studien nichts hin.
EU will, dass überall gleichzeitig gegen Corona geimpft wird
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen schlug derweil einen gemeinsamen Beginn der Impfungen gegen das Coronavirus in der gesamten Europäischen Union vor. „Lasst uns so bald wie möglich gemeinsam mit dem Impfen anfangen, zusammen, als 27, mit einem Start am selben Tag“, sagte sie im Europaparlament. „Lasst uns zusammen und geeint mit der Ausrottung dieses furchtbaren Virus beginnen.“ Von der Leyen betonte, die EU-Kommission habe das weltweit breiteste Sortiment künftiger Impfstoffe zusammengestellt und insgesamt mehr als genug Impfstoffe für alle Europäer eingekauft. (mit dpa)
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