Feuer leuchten durch dunkle Rauchschwaden, dazwischen scheinen die Silhouetten einzelner Menschen oder kleiner Gruppen auf. Es sind die schaurigen Bilder einer humanitären Katastrophe: Täglich sterben tausende Inder an Corona, weit über 300.000 stecken sich binnen 24 Stunden an. Die Gesamtzahl der Infizierten dürfte demnächst die 20-Millionen-Grenze überschreiten. Allerdings wird befürchtet, dass diese Zahlen noch gar nicht das ganze Ausmaß der Krise abbilden, da in Indien gerade auf dem Land und unter den ärmeren Schichten der Bevölkerung viel weniger getestet wird als etwa in Deutschland. Die Dunkelziffer dürfte also noch weit höher liegen – auch was die Todeszahlen betrifft.
Die Vorsitzende des Vereins Bridge of Humanity, Maria-Theresia Schneider, hat fast zwei Wochen auf Nachrichten aus dem Land gewartet, das wie kein anderes auf der Welt von der Pandemie betroffen ist. Jetzt verfügt sie über aktuelle Informationen zu den dramatischen Auswirkungen der Infektionswelle. Der Verein (www.bridgeofhumanity.org/indien) unterstützt mit Spenden aus Deutschland eine speziell für Kinder aus ärmsten Verhältnissen geschaffene Schule im südindischen Bundesstaat Karnataka und finanziert Mädchen und Jungen den Besuch dort. Partner ist die indische Hilfsorganisation Arunodaya Poirada. Ein schwerer Schlag für das Projekt sei es gewesen, dass im August der Direktor der Schule an Corona gestorben ist, sagt Schneider, die in Ulm wohnt. Mit großer Sorge blickt der ehrenamtlich geführte Verein nicht nur auf die Gefahren durch die indische Virusmutante B.1.617, sondern auch auf die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie.
Das Gesundheitssystem in Indien kann dem massiven Corona-Ausbruch nicht standhalten
Das Gesundheitssystem kollabiert, und zwar auch in den großen Städten. Es fehlt an Sauerstoff,Medizinern und Pflegern in den Kliniken. Die Regierung hofft auf die in den letzten Tagen massiv anrollende Hilfe aus dem Ausland und setzt auf eine gewaltige Impfkampagne, die in diesen Tagen einsetzen soll. Deutschland will beispielsweise eine ganze Sauerstoffproduktionsanlage nach Indien transportieren.
Schon jetzt sind die Registrierungswebseiten für die Impfung dem Ansturm kaum noch gewachsen, viele Server brechen zusammen, wie indische Medien berichten. An Impfstoff mangelt es angesichts der riesigen Zahl von 1,3 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern – auch wenn Indien zu den weltweit größten Herstellern von Impfstoffen gehört. Bislang haben erst knapp zehn Prozent der Menschen mindestens eine Impfdosis erhalten.
Doch die heftige zweite Welle ist keineswegs nur mit der geringen Impfrate zu erklären. Die Bilder von dicht gedrängten Menschenmassen bei religiösen Festen gingen um die Welt. Viele Menschen sind ohne Masken unterwegs, andere tragen den Schutz lässig unter der Nase. Lange schien es, als würde Indien recht gut durch die Pandemie kommen. Das befeuerte den lebensgefährlichen Leichtsinn. Erst jetzt dreht sich die Stimmung in der Bevölkerung, werden die Warnungen vor Covid 19 ernster genommen.
Viele Inder sind zu arm, um sich vor dem Coronavirus zu schützen
Doch vielen Indern fehlt es nicht nur an Informationen, sondern auch an Geld, um sich vor dem Virus zu schützen. Si wie in dem Dorf Papinayakanahalliie, in dem die Schule steht, die von Bridge of Humanity unterstützt wird. „Die Menschen des Dorfes wohnen in einfachen Wellblech-Behausungen zu mehreren auf engem Raum. Ansteckungen sind hier vorprogrammiert, Abstandhalten ist oft nicht umsetzbar. Wenn ihnen Geld zur Verfügung steht, kaufen sich die Menschen sicherlich keine Masken und Desinfektionsmittel damit, sondern das Nötige, vor allem eben derzeit Essen und Dinge des alltäglichen Bedarfs“, sagt Maria-Theresia Schneider, die immer wieder nach Indien reist, um die Projekte des Vereins vor Ort zu begleiten.
Durch den von der indischen Regierung beschlossenen 14-tägigen Lockdown seien gerade die Ärmsten in vielen Fällen von sofortiger Arbeitslosigkeit bedroht. „Das bedeutet dort konkret, dass der tägliche Verdienst für kleine Obst- und Gemüseverkäufer oder Tagelöhnern oft schlagartig wegfällt. Ganze Familien haben kein Einkommen mehr und somit schlichtweg nichts zu essen.“ Die weiteren längerfristig wirksamen Auswirkungen der Pandemie seien noch gar nicht absehbar. Schon jetzt beobachte Maria-Theresia Schneider, dass wieder mehr Mädchen verheiratet werden und mehr Kinder hart arbeiten müssen. „Viele Familien aus den ärmeren Bevölkerungsschichten sehen dies als einzigen Ausweg an, um das Überleben ihrer Familien zu sichern.“ (mit dpa)
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