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Corona-Pandemie: Mutter, Tänzer, Krebs-Patientin: Leidtragende der Pandemie erzählen

Corona fordert auch vollkommen gesunde Opfer.
Corona-Pandemie

Mutter, Tänzer, Krebs-Patientin: Leidtragende der Pandemie erzählen

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    R-Wert, Inzidenz, Fallzahlen: Die Corona-Pandemie wird meist im Kontext einer Statistik diskutiert. Das gibt einen Überblick über die Ausmaße der Krise, aber lässt die Schicksale ihrer Opfer häufig auf der Strecke. Ein Opfer der Pandemie ist nicht nur, wer an der Krankheit stirbt, sondern auch wer wegen ihr vereinsamt, wie eine Augsburger Lungenkrebspatientin, die sich allein auf die Chemo-Therapie vorbereiten musste. Ein Opfer von Corona ist nicht nur, wer an dem Virus stirbt, sondern auch, wer bis zur Erschöpfung arbeiten muss, wie alleinerziehende Eltern und Fahrradkuriere. Hier erzählen sechs Leidtragende ihre Geschichte.

    Eine Krebskranke verliert durch Corona ihr soziales Umfeld

    Am 18. Februar erhielt ich die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Gerade dann, als die ersten Corona-Fälle in Deutschland auftraten. „Wenn Sie die Chemo nicht machen, werden Sie 2020 nicht überleben“, sagte der Onkologe. Knallhart. Der Tumor galt zu diesem Zeitpunkt als inoperabel, da er schon zu groß war. Eine Parallelwelt tat sich dadurch auf, in der man von der Panik der immerwährenden Gefahr, an Corona zu erkranken, und dem eigentlichen Kampf gegen Krebs jonglierte. Für mich war Krebs nichts Neues, denn meine Schwester, meine Schwägerin und mein Onkel starben an Krebs.

    Bekannte von mir starben auch an Covid-19. Mein Leben von dort an war geprägt vom Allein-sein, da die physische Unterstützung von Krebssport und Yogagruppen der Krebsgesellschaft nicht mehr stattfinden durfte, und von der täglichen Überwindung, in den Supermarkt zu gehen, wo man dumm angeredet wird, wenn man um Abstand bittet. Normale Dinge wie Umarmungen der engsten Freunde und Familie wurden durch die Kontaktbeschränkungen unterbunden und machten es umso schlimmer und unerträglicher, den Krebs zu vernichten. Zum Glück standen mir meine Tochter und meine zwei Brüder in den tiefsten und schrecklichsten Momenten, so gut es telefonisch und physisch ging, zur Seite. Ich weiß nicht, ob ich es ohne sie geschafft hätte. Durch die Chemos konnte mein Tumor, den wir liebevoll Horst-Hubert nannten, operiert werden. Alles konnte entfernt werden. Ich habe so viel Glück, aber für mich stand von Anfang an fest: Ich will leben! Petra Kraus, 53, Augsburg

    "Wir tragen eine Last der Corona-Krise", findet Fahradkurier Maximilian Rank

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    Ich fahre sehr gerne Fahrrad und bin insgesamt sportlich. Daher entschied ich mich für einen Nebenjob als Fahrradkurier bei Boxbote. Wir beliefern inzwischen nicht nur hungrige Kunden im Homeoffice mit Essen und Getränken, sondern auch Personen, die dringend Medikamente benötigen oder 3D-Brillen vom Staatstheater ausleihen möchten, um ein gewisses Theaterfeeling in die eigenen vier Wände zu bekommen. Manchmal ist die Arbeit anstrengend, zum Beispiel bei Dauerregen oder zuletzt Schneefall und Glatteis. Man kommt nicht sehr schnell voran, das kann manchmal zu etwas längeren Wartezeiten führen. Es freut uns dabei sehr, wenn trotz der Umstände die Kunden verständnisvoll sind und uns vielleicht sogar den einen oder anderen Euro in die Hand drücken.

    Wir Fahrer tragen damit eine Last der Corona-Krise, wir nehmen anderen Menschen aber auch Last ab. Wir erleichtern das Leben unserer Kunden in diesen schweren Zeiten, in denen viele Menschen aus Angst vor Corona das Haus nicht mehr verlassen. Unsere Aufgabe besteht zwar nur darin, das Essen dem Kunden in die Hand zu drücken oder vor die Tür zu stellen, aber die Kunden, die durch die Pandemie mehr oder weniger zu Hause gefangen sind, suchen oft das Gespräch und unterhalten sich gerne mit uns zwischen Tür und Angel. Dabei erfährt man einiges, was die Menschen in Augsburg derzeit bewegt. Maximilian Rank, 25, Augsburg

    "Unter meiner Maske kamen mir die Tränen": Ein Tänzer darf seit Monaten nicht arbeiten

    Seit dem Ausbruch der Pandemie fühle ich mich unvollständig. Ich bin Tänzer, tanze, seit ich sechs Jahre alt bin. Jetzt bin ich 23 Jahre alt, arbeite seit fünf Jahren als professioneller Tänzer, bin seit drei Jahren ein Teil der Augsburger Ballett-Compagnie. Ich muss sagen: Mir fehlt das Publikum, mir fehlt der Applaus, mir fehlen die Auftritte, die Proben mit den Kollegen, das Theater. Es sind einige Produktionen wegen der Pandemie ausgefallen, dafür gab es aber auch Ersatz, im Sommer Open-Air. Als wir im November die „Winterreise“ als Stream gezeigt haben, ich mich vor Kameras verbeugt habe, kamen mir unter meiner Maske die Tränen.

    Ohne Publikum ist es nicht dasselbe. Zuallererst tanze ich für mich, dann natürlich auch für die Zuschauer. Ich trainiere acht Stunden am Tag, auch weil ich weiß, dass es das Publikum gibt. Zwei Mal die Woche sind wir aufgetreten. In Augsburg hatten wir so einen großen Erfolg die letzten Jahre, fast alle unsere Vorstellungen waren ausverkauft. Jetzt ist da eine Trauer. Ich fühle mich allein, das Leben fühlt sich an, als ob es nicht mehr meines sei, sondern ein anderes. Selbstverständlich ist mir klar, dass das besondere, andere Zeiten sind. Wir können niemanden verantwortlich für die Pandemie machen, wir können nur hoffen, dass es danach wieder eine bessere Zukunft gibt. Als Tänzer ist es schmerzhaft, ein ganzes Jahr zu verlieren. Wie lang dauert eine Karriere? Bis Ende 30, wenn alles gut geht. Da wiegt ein Jahr schwer. Ich bin noch jung, ich habe noch viele Jahre als Tänzer vor mir, ich kann das verkraften. Mein Traum ist, wieder auf der Bühne zu stehen, die Hitze der Scheinwerfer zu spüren und die Energie des Publikums. Franco Ciculi, 23, Augsburg

    Wegen Corona braucht Student Michael Endres Geld von seinen Eltern

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    Ich hatte den perfekten Nebenjob für mich als Student. Als Kellner und Barista in einem Augsburger Traditionscafé habe ich Kaffee gemacht, die Bestellungen an den Tisch gebracht und abkassiert. Bezüglich der Zeiten war ich sehr flexibel, die Stimmung war gut, das war einfach super. Doch dann ging es mit Corona los. Am Anfang mussten wir einfach nur Masken tragen und die Tische mit Trennscheiben abtrennen oder für mehr Abstand bei den Gästen sorgen. Aber dann war klar, dass das Café schließen muss und ich nicht mehr arbeiten kann.

    Die erste Zeit war es nicht so schlimm, ich konnte mich mehr auf die Uni konzentrieren, ich bin bereits im siebten Semester. Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das Geld knapp wird. Im Vergleich geht es mir noch gut, ich bekomme Bafög, und meine Eltern unterstützen mich auch. Mir bleibt nichts übrig, aber ich habe auch keine Schulden. Das Studentenleben ist auch etwas günstiger geworden, man geht ja nicht mehr aus. Aber das Geld reicht halt nur für die reinen Lebenshaltungskosten. Neue Jobs gab es auch wenig, in der Gastro sowieso nicht. Ich habe ein paar Stunden Mathe-Nachhilfe übers Internet gegeben. Es war schön, helfen zu können, aber finanziell war das nur etwas Geld auf die Hand. Im Café haben sie mir gesagt, dass ich wieder anfangen kann, wenn sie aufmachen dürfen. Der Job ist also zumindest nicht weg, sondern nur auf Eis gelegt. Michael Endres, 22 Jahre

    Eine alleinerziehende Mutter schuftet wegen Corona bis zur Erschöpfung

    Wenn es um die Öffnung der Schulen geht, bin ich sehr ambivalent. Ich bin alleinerziehende Mutter, Sozialpädagogin und arbeite in einem Seniorenheim. Deshalb halte ich mich privat sehr strikt an die Corona-Regeln und bin ganz froh, dass auch meine Tochter zurzeit nicht so viele Kontakte zu anderen hat. Mit dem Vater habe ich mich deshalb geeinigt, dass unser Kind während des Lockdowns in meinem Haushalt bleibt. Andererseits ist es als alleinerziehende Mutter dadurch auch eine massive Anstrengung, Beruf und Homeschooling zu stemmen. Wo ich mich wirklich von der Politik alleingelassen fühle, ist in der Frage nach von der Krankenkasse bezahltem Sonderurlaub – den bekommt man nämlich nur für Kinder bis zwölf Jahren. Diese Altersgrenze ist viel zu niedrig angesetzt.

    Corona ist eine anstrengende Zeit für mich. Auf der Arbeit trage ich sechs Stunden am Tag eine FFP2-Maske; da ist man abends wahnsinnig erschöpft. Wir hatten einen Covid-Ausbruch im Heim, umso fassungsloser bin ich, wenn ich lese, dass manche Friseure den Leuten schwarz die Haare schneiden. Wo ist die Solidarität? Als Alleinerziehende ist man in der Corona-Krise oft allein: Man hat niemanden, mit dem man mal über innerfamiliäre Entscheidungen sprechen kann. Alleinerziehende leisten unglaublich viel, und wir sind genauso Teil dieser Gesellschaft wie andere Familien auch! Wir wollen nicht müde belächelt oder bemitleidet werden, sondern in allen Ebenen ernstgenommen werden. Ich versuche, jeden Tag wieder neue Kraft zu schöpfen und die Schönheit in kleinen Dingen zu finden. Und ich nehme mir vor, jeden Tag dankbar zu sein für das, was ich habe. Meine Tochter ist sehr selbstständig, wir sind ein gutes Team. Meike Vorwold, 46, Kreis Landsberg

    "Ich spüre, dass sich meine Kinder wegen Corona nicht so gut entwickeln", sagt ein Flüchtling

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    Foto: Oliver Wolff

    Meine Frau und ich sind 2014 aus Afghanistan nach Deutschland geflohen und leben in Augsburg. Wir haben zwei Töchter, die hier geboren sind. Unsere Älteste geht in die erste Klasse. Bei uns ist das Problem, dass ich unter der Woche erst am Abend von der Arbeit heimkomme und meine Frau zwar daheim ist, aber meiner Tochter nicht bei der Schule helfen kann. Sie spricht noch nicht so gut Deutsch wie ich. Wir fühlen uns total allein gelassen und merken, dass sich die Kinder nicht so gut entwickeln. Ich spreche viel mit Bekannten darüber und stelle fest: Flüchtlingsfamilien haben große Probleme.

    Meine Kinder sprechen sehr gut Deutsch und haben keine Probleme in der Kommunikation mit den Lehrern und Erziehern. In manch anderen Familien ist das nicht der Fall und zusätzlich ein Problem. Ich sehe, wie meine Tochter im Homeschooling abgelenkt ist, auch von ihrer kleinen Schwester, die ja nicht in den Kindergarten gehen kann. Sie sagt, sie könne sich nicht konzentrieren und vermisse ihre Freundinnen. Abends versuche ich, mit meiner Tochter alles, was im Distanzunterricht liegen geblieben ist, nachzuholen. Aber für uns beide ist das eine große Belastung. Meine andere Tochter darf ja auch nicht zu kurz kommen. Für mich selbst bleibt kaum Zeit, ich will mich auf ein Masterstudium vorbereiten. Vor kurzem habe ich bei der Schulleiterin nachgefragt, unsere Situation beschrieben und um Hilfe gebeten. Die Notbetreuung ist nicht für Familien wie unsere gedacht, aber wir bekommen trotzdem einen Platz. Abdulshukoor Saboori, 36, Augsburg

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