Angela Merkel wurde Anfang der Woche wieder einmal deutlich: „Jeder Kontakt, der nicht stattfindet, ist gut“, betonte die Bundeskanzlerin – und dachte dabei wohl auch an die Mitarbeiter der über 400 Gesundheitsämter, für die jeder zusätzliche Kontakt eines Corona-Infizierten Arbeit bedeutet. Denn die Personen müssen ausfindig gemacht und informiert werden. Das dauert – und bringt bei stark steigenden Fallzahlen das System der Kontaktverfolgung an seine Grenzen.
Die Ämter stocken deshalb seit Monaten auf, in einigen Behörden wie etwa in Augsburg helfen mittlerweile Soldaten aus. Da mutet es fast etwas kurios an, dass die Bundesregierung schlichtweg nicht weiß, wie viele Mitarbeiter überhaupt bei den Ämtern beschäftigt sind. Das geht aus der Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage der FDP hervor, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt.
Die Gesundheitsämter geraten an ihre Grenzen
Bundestagsfraktionsvize Christian Dürr hatte sich erkundigt, wie viel Personal alle Gesundheitsämter Anfang des Jahres hatten und wie sich der Stand bis Ende Oktober entwickelt hat. Doch das Gesundheitsministerium schreibt, dass der Regierung diese Zahl gar nicht vorliegt und verweist auf die Zuständigkeit von Ländern und Kommunen. Dürr ist irritiert: „Die Bundesregierung legt das Land immer weiter lahm, aber hat keinen Überblick, wie es in den Gesundheitsämtern aussieht. Leider ist der Staat zurzeit genau dort am schwächsten, wo er am dringendsten gebraucht wird: Bei der Organisation des Gesundheitsschutzes.“ Der FDP-Politiker spricht von einem „Armutszeugnis“. Mehr als ein halbes Jahr sei Zeit gewesen, die zweite Corona-Welle vorzubereiten. Gesundheitsämter müssten unterstützt werden, dafür aber müsse stets bekannt sein, wie viele Stellen dort besetzt seien.
Die Anfrage weist ein Muster auf, das in der Corona-Krise immer wieder zu beobachten ist. Ein Dreivierteljahr nach Ausbruch der Pandemie funktioniert der Kampf gegen das Virus vielerorts zwar besser als am Anfang: Masken und Schutzkleidung sind ausreichend verfügbar, die medizinische Versorgung ist ausgereifter, in der Arbeitswelt und im Privatleben haben sich viele an die neue Normalität angepasst. Doch an einigen, entscheidenden Stellen ist die Corona-Strategie noch immer holprig, fehlen die Daten und das Personal, um der Ausbreitung des Virus entschlossen entgegenzutreten.
Immer wieder gibt es Kritik an der Corona-Warn-App
Erst vor Kurzem war bekannt geworden, wie schwer sich etwa die bayerischen Gesundheitsämter tun, Corona-Cluster aufzuspüren, also Orte oder Veranstaltungen, an denen sich besonders viele Menschen mit dem Coronavirus infizieren. Wie aus einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Landtag hervorgeht, tragen die Ämter zwar ein, wo sich eine Person „wahrscheinlich“ infiziert hat, die Daten würden aber nicht systematisch nach Gemeinsamkeiten ausgewertet. Es gibt also keine umfassenden Erkenntnisse darüber, wie viele Menschen sich in der Gastronomie, am Arbeitsplatz, in der Schule, bei einer privaten Feier oder beim Sport angesteckt haben.
Auch die Corona-Warn-App steht immer wieder in der Kritik: Zu fehleranfällig sei die Technik, zu ungenau die Messung, zu gering die Zahl der echten Nutzer. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ging nun noch einen Schritt weiter. „Ich möchte noch mal überlegen, ob wir nicht beim Datenschutz an der einen Stelle überprüfen, ob es da Hindernisse gibt“, sagte der CSU-Vorsitzende nach der Bund-Länder-Schalte in Berlin. Man habe in den vergangenen Woche viel über die Einschränkung von Grundrechten diskutiert – nur der Datenschutz sei bisher nicht angetastet worden. Mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat Söder einen Mitstreiter: „Wir brauchen eine Check-in-Funktion für Gastronomie und Veranstaltungen“, sagte der Grünen-Politiker unserer Redaktion. „Dann kann man auch mit der Zettelwirtschaft aufhören.“
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