Der Moderator des Kabelsenders Fox News wirkte geschockt. „Das war atemberaubend“, ergriff Neil Cavuto nach dem Ende der Liveübertragung aus dem Weißen Haus stammelnd das Wort. „Der Präsident der Vereinigten Staaten hat gerade erklärt, dass er Hydroxychloroquin nimmt.“ Schnell fand der 61-Jährige seine professionelle Sicherheit wieder und lief zur Hochform auf: „Wenn Sie mit dem Virus kämpfen und zur Risikogruppe gehören, dann wird Sie das töten!“, warnte er eindringlich seine Zuschauer.
Donald Trump nimmt umstrittenes Malaria-Medikament gegen Coronavirus ein
So viel kritische Distanz zum Präsidenten gibt es äußerst selten bei dem rechten Fernsehkanal. Doch hatte Donald Trump zuvor eine selbst für seine Verhältnisse irrwitzige Darbietung geboten. Seit Wochen schon wirbt er für die höchst umstrittene Behandlung der Lungenkrankheit Covid-19 mit dem Malaria-Medikament Hydroxychloroquin. Am Montag erklärte er bei einer Pressebegegnung unvermittelt: „Sie würden überrascht sein, wie viele Menschen das nehmen – besonders Ersthelfer, um einer Ansteckung vorzubeugen. Ich nehme es übrigens auch.“
Die Reporter waren verdutzt. „Hydroxychloroquin?“, riefen sie: „Wann? Derzeit?“ Ja, antwortete Trump: „Ich habe vor ein paar Wochen begonnen. Ich habe viele gute Sachen darüber gehört.“ Ein paar Minuten später präzisierte er, dass er mit der präventiven Einnahme in Absprache mit seinem Arzt vor anderthalb Wochen begonnen habe. „Ich bin immer noch hier. Ich bin immer noch hier“, triumphierte er grinsend.
Die Erklärung von US-Präsident Trump schlägt in Washington ein wie eine Bombe
Die Aussage schlug ein wie eine Bombe. Vor wenigen Tagen nämlich erst hatten amerikanische Zeitungen berichtet, dass das Präparat bei Covid-19 keinerlei positive Wirkung, sehr wohl aber gefährliche Nebenwirkungen habe. Die amerikanische Arzneibehörde FDA hat ausdrücklich vor möglicherweise tödlichen Herzrhythmusstörungen gewarnt und das Medikament lediglich zu klinischen Versuchen im Krankenhaus unter strikter ärztlicher Aufsicht, jedoch keinesfalls zur Corona-Prophylaxe zugelassen. Frühe Labor-Studien hatten die Hoffnung genährt, dass der Wirkstoff die Zellen vor dem Angriff des Virus schützen könnte.
Doch zwei große Praxis-Studien mit insgesamt 2800 Covid-Patienten in New Yorker Krankenhäusern zeigten zuletzt weder beim Einsatz von Hydroxychloroquin noch bei einer Kombinationstherapie mit Zink irgendeine signifikante Veränderung in der Sterblichkeit. Präsident Trump müsse nun der Bevölkerung sagen, dass sein Wundermittel „wirkungslos“ sei, forderte die Washington Post in ihrem Leitartikel am Montag.
Ein solches Eingeständnis kommt für den früheren Reality-TV-Star, der die Corona-Pandemie trotz inzwischen mehr als 90.000 Toten für besiegt erklärt hat und Amerika so schnell wie möglich zur Normalität zurückführen will, natürlich nicht infrage. „Ich habe sehr viel positive Rückmeldungen bekommen“, behauptete er stattdessen. Die einzigen kritischen Studien zur Wirkung von Hydroxychloroquin stammten von Trump-Gegnern.
Nicht jeder glaubt Trump, dass er die Pillen tatsächlich schluckt
Das stimmt offensichtlich nicht. Und angesichts der von der Washington Post dokumentierten mittlerweile 18.000 Lügen des Präsidenten seit seinem Amtsantritt fragen sich nicht nur die Moderatoren beim linken Kabelsender MSNBC, ob Trump auch seine Pillen-Prophylaxe schlicht erfunden habe. Sein Leibarzt erklärte zwar grundsätzlich, angesichts mehrerer Coronavirus-Infektionen im Weißen Haus teile er „nach zahlreichen Diskussionen“ mit dem Präsident die Überzeugung, dass die Chancen einer Medikation die Risiken übersteigen. Eine Verschreibung bestätigte er aber nicht.
„Mir wäre es lieber, wenn er das nicht nähme“, sagte die demokratische Parlamentssprecherin Nancy Pelosi scheinbar besorgt, um dann den spitzen Hinweis unterzubringen, dass Trump schließlich „krankhaft übergewichtig“ sei. Tatsächlich brachte der Präsident zuletzt 243 Pfund (110 Kilogramm) auf die Waage – dagegen nimmt er ein Mittel zur Senkung seines überhöhten Cholesterinspiegels.
Sollte der 73-Jährige die Malaria-Tabletten tatsächlich schlucken oder bereits eingenommen haben, würde er sich nach Meinung von Ärzten dem Risiko einer gefährlichen Herzrhythmusstörung aussetzen. Nimmt er sie nicht und bleibt gesund, könnte er später trotzdem behaupten, das Wundermittel habe ihn vor Covid-19 geschützt.
Harvard-Medizinprofessor hält die Aktion für „unverantwortlich“
Doch unabhängig davon, ob sich Trump die Pillen einwirft oder nicht, sind viele Mediziner entsetzt. „Wenn jemand in einer solchen Führungsposition etwas macht, wovon die meisten Ärzte abraten, ist das ein Problem“, sagte Paul Thompson, der Chef-Kardiologe des Hartford Hospitals in Connecticut der New York Times: Der Harvard-Medizinprofessor Scott Solomon fand noch klarere Worte: „Was Trump mit sich macht, ist seine Sache. Aber das Beispiel, das er setzt, ist unverantwortlich.“
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