Die massenhaften Verstöße gegen Corona-Regeln bei den jüngsten Protesten in Berlin haben nach zahlreichen Parteipolitikern nun auch das Staatsoberhaupt alarmiert. "Jede und jeder von uns steht jetzt in der Verantwortung, einen zweiten Lockdown zu verhindern", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer am Montag veröffentlichten Videobotschaft. Es sei klar, dass eine zweite Phase des Stillstands "uns alle noch viel härter treffen" würde.
Mit Blick auf die Demonstranten, die sich am Samstag in der Hauptstadt weder an Abstandsregeln noch an Maskenpflicht hielten, kritisierte er: "Die Verantwortungslosigkeit einiger weniger ist ein Risiko für uns alle." Wer jetzt nicht besonders vorsichtig sei, gefährde die Gesundheit vieler und darüber hinaus "die Erholung unserer Gesellschaft, unserer Wirtschaft, unseres Kulturlebens".
Polizei geht von 17.000 Demonstranten in Berlin aus
Um gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu protestieren, waren am Samstag in Berlin Tausende auf die Straße gegangen. Nach Schätzungen der Polizei beteiligten sich zunächst etwa 17.000 Menschen an einem Demonstrationszug und anschließend 20.000 an einer Kundgebung. Das Teilnehmerfeld setzte sich offenbar aus sehr unterschiedlichen Gruppen zusammen.
Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, sagte unserer Redaktion: "Neben Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Pandemie-Leugnern waren auch viele Menschen darunter, die sich angesichts der Corona-Krise Sorgen um ihre Existenz machen." Extremisten versuchten, diese Demonstrationen zu unterwandern, warnte er.
Politiker fordern ein hartes Durchgreifen
Weil ein großer Teil der Demonstranten gegen die Infektionsschutzauflagen verstieß, löste die Polizei die Kundgebung am Abend auf. Seither fordern Politikern unterschiedlicher Lager ein hartes Durchgreifen. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) etwa sagte, ihr fehle jedes Verständnis für Demonstranten, die sich selbstherrlich über Infektionsschutzmaßnahmen hinwegsetzten. Innenpolitiker aus CDU und CSU sprachen sich für schärfere Auflagen für derartige Demonstrationen aus.
Auch die Grünen verlangen Konsequenzen. Ihr Innenexperte, Konstantin von Notz, sagte unserer Redaktion: "Das Verhalten der Demonstranten war in weiten Teilen hochgradig unverantwortlich und in Pandemiezeiten im wahrsten Sinne gemeingefährlich." Angesichts der "äußerst realen Gefahr einer zweiten, für viele Menschen lebensgefährlichen Corona-Welle" müssten Polizei und Ordnungsbehörden die Lage klar im Blick behalten. Auflagen seien entsprechend anzupassen und verhältnisgemäß durchzusetzen. Wenn es notwendig sei, müssten Demonstrationen aufgelöst werden.
Polizeigewerkschafter: Behörden müssen Teilnehmerzahlen begrenzen
Auch Polizeigewerkschafter Radek forderte: "Die Behörden müssen sensibler sein, was die Genehmigung solcher Demonstrationen betrifft. Dazu muss die Politik Vorgaben machen." Die Anzahl der Personen müsse vernünftig begrenzt werden, die Aufmarschrouten seien so zu wählen, dass eine Durchsetzung der Auflagen durch die Polizei auch möglich sei.
Für die Polizei stellten die Hygiene-Demos eine besonders schwierige Situation dar. Sie sei gefordert, "einerseits das Recht auf friedlichen Protest durchzusetzen, andererseits aber die Einhaltung der Auflagen zum Infektionsschutz zu gewährleisten". Das sei "ein Widerspruch in sich", so Radek. Denn für viele Teilnehmer gehe es ja gerade darum, möglichst plakativ zu zeigen, dass sie die Infektionsschutzmaßnahmen ablehnten.
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