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Corona: Lehrerverband warnt vor gefährlicher Durchseuchung der Schulen

Corona

Lehrerverband warnt vor gefährlicher Durchseuchung der Schulen

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    Für Lehrerverbands-Chef Heinz-Peter Meidinger ist eine Bedingung für einen normalen Schulbetrieb ein höchstmöglicher Gesundheitsschutz für Lehrer, Schüler sowie die Angehörigen.
    Für Lehrerverbands-Chef Heinz-Peter Meidinger ist eine Bedingung für einen normalen Schulbetrieb ein höchstmöglicher Gesundheitsschutz für Lehrer, Schüler sowie die Angehörigen. Foto: Martin Schutt, dpa

    Der Deutsche Lehrerverband warnt bei einer Aufgabe des Inzidenz-Warnstufensystems vor einer gefährlichen Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus unter Schulkindern und erneuten Unterrichtsausfällen im Herbst. „Auch wenn Kinder seltener schwer erkranken, dürfen wir eine Durchseuchung der Schulen nicht zulassen“, sagte Lehrerverbandspräsident Heinz-Peter Meidinger im Interview mit unserer Redaktion.

    Der Verbandschef warf der Politik vor, sich nicht ausreichend auf das neue Schuljahr vorbereitet zu haben und verwies auf das stark steigende Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen seit dem Ende der dortigen Sommerferien.

    Infektionen in NRW nach Ferienende durch Decke geschossen

    „Das Beispiel NRW zeigt, wie schnell durch Reiserückkehrer und die vielen Kontakte, die Kinder und Jugendliche auch außerhalb der Schule untereinander haben, die Inzidenzzahlen gerade bei den Heranwachsenden wieder durch die Decke gehen können“, betonte Meidinger. In der hauptbetroffenen Gruppe der Jugendlichen liege die Sieben-Tages-Inzidenz bereits dreimal so hoch wie im Landesschnitt.

    „Falls, wie vorhergesagt, Inzidenzen in der Bevölkerung von 400 und mehr erreicht werden, bedeutet das für die Altersgruppe der weitgehend ungeimpften Kinder und Jugendlichen Inzidenzwerte von weit jenseits der 1000“, warnte Meidinger. „Damit werden wir an jeder Schule jede Woche Infektionsfälle und Quarantänemaßnahmen haben“, sagte er voraus. „Das führt auch ohne Schulschließungen immer wieder zu schmerzhaften Einschränkungen des Präsenzunterrichts.“

    Scharfe Kritik an Aufweichung von Qurantäne-Regeln

    Scharf kritisierte Meidinger zudem Pläne mehrerer Bundesländer, die Quarantäneregeln in den Schulen erheblich zu lockern und teilweise nur noch Infizierte isolieren zu wollen. „Das halte ich für gefährlich, weil man dadurch sehr schnell die Kontrolle über das Infektionsgeschehen an Schulen zu verlieren droht“, warnte der Lehrerpräsident. „So zu tun, als ob es keine Ansteckungsgefahr über Aerosole gibt oder gar nicht einmal die Banknachbarn in Quarantäne zu schicken, wie in NRW jetzt angeordnet, wird dazu führen, dass sich Infektionen auch innerhalb der Schulen stark ausbreiten.“

    Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger.
    Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger. Foto: Armin Weigel, dpa

    Studie warnt vor bis zu 180.000 schwerkranken Schulkindern

    Meidinger verwies auf amerikanische Studienergebnisse, wonach die Hospitalisierungsquote bei infizierten Kindern zwischen 0,3 bis 1,7 Prozent liege. „Bezogen auf Deutschland bei knapp elf Millionen Schülern hieße das, dass zwischen 30.000 und 180.000 in Krankenhäusern behandelt werden müssten, von eventuellen Long-Covid-Folgen mal völlig abgesehen“, warnte der Lehrerpräsident. „Das, glaube ich, darf kein Politiker verantworten.“

    Er wolle nicht auf der Politik herumhacken, „allerdings kommt man um die Feststellung nicht herum, dass auch bei der Vorbereitung dieses Schuljahres wieder vieles suboptimal gelaufen ist“, erklärte der Lehrerverbandschef. „Das fängt damit an, dass bis heute nicht klar ist, nach welchen Vorgaben, Kriterien und Regeln der Schulunterricht laufen soll. Es setzt sich fort bei dem Trauerspiel um die Anschaffung von Raumluftfilteranlagen, wo es nach wie vor eine große Zurückhaltung vieler Kommunen gibt. Und es endet damit, dass wir immer noch bei der digitalen Infrastruktur der Schulen große Defizite haben, fast die Hälfte hat nach wie vor kein schnelles Internet, was modernen, videokonferenzgestützten Distanzunterricht enorm erschwert.“

    „Große Luftfilter-Versprechen erweisen sich als leer“

    Viele Schulen warteten auch zu Beginn des neuen Schuljahres auf Luftfilter. „Ich fürchte, dass die großen Versprechungen, die im Hinblick auf die Ausstattung von Klassräumen mit Raumluftfilteranlagen von der Politik gemacht worden sind, sich als weitgehend leer erweisen“, sagte der Lehrervertreter. Selbst in Bayern würden zum Schulstart Mitte September maximal nur 30 Prozent aller Unterrichtsräume entsprechend ausgestattet sein.

    Er habe angesichts der Erwachsenen-Impfquote Verständnis dafür, die bisherigen Inzidenzgrenzen nach zu oben verschieben. „Sich jetzt aber an den Schulen vollständig von Inzidenzen zu verabschieden und beispielsweise nur noch auf die Belegung von Intensivbetten abzustellen, halten wir als Lehrerverband für falsch“, kritisierte Meidinger.

    Schulen hätten Superspreaderpotenzial

    Dies sei nicht nur eine Gefahr für die Schulkinder, sondern für das gesamte Infektionsgeschehen in der Bevölkerung. „Die These, dass Schulen am Infektionsgeschehen keinen Anteil hätten, war noch nie zutreffend, auch wenn sie die Kultusministerkonferenz in der Vergangenheit mantrahaft wiederholt hat“, sagte der Lehrerpräsident. „Jetzt, da eindeutig klar ist, dass sich die Deltavariante am schnellsten unter Jugendlichen verbreitet, ist eher das Gegenteil richtig“, warnt er. „Schulen sind auf jeden Fall mögliche Stätten der Weiterverbreitung und haben bei mangelnder Vorsicht auch Superspreaderpotenzial. Die Politik ist gut beraten, diese Gefahr sehr ernst zu nehmen.

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