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Corona-Krise: Warum Europa jetzt auf den Corona-Impfstoff warten muss

Corona-Krise

Warum Europa jetzt auf den Corona-Impfstoff warten muss

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    Die Lieferkürzung des Impfstoffherstellers AstraZeneca hat in Brüssel Kritik ausgelöst, aber auch hektische Betriebsamkeit hinter den Kulissen.
    Die Lieferkürzung des Impfstoffherstellers AstraZeneca hat in Brüssel Kritik ausgelöst, aber auch hektische Betriebsamkeit hinter den Kulissen. Foto: Liam Mcburney, dpa

    Das Schreiben aus Großbritannien hatte die Europäische Kommission schon am Freitagabend in helle Aufregung versetzt. Darin kündigte das Arzneimittelunternehmen AstraZeneca an, seine vertraglich zugesicherten Impfstoff-Lieferungen im ersten Quartal reduzieren zu müssen. Statt der versprochenen 80 Millionen Dosen werde es wegen Engpässen in der Produktion nur 31 Millionen geben, davon rund drei Millionen für Deutschland – deutlich weniger als erwartet.

    EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides übt deutliche Kritik an Impfstoff-Herstellern.
    EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides übt deutliche Kritik an Impfstoff-Herstellern. Foto: Yves Herman, dpa

    EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides äußerte „tiefe Unzufriedenheit“ und drohte in ihrer Antwort am Sonntag rechtliche Konsequenzen an. Am Montagmorgen telefonierte Präsidentin Ursula von der Leyen mit AstraZeneca-CEO Pascal Soriot, das Lenkungskomitee aus Fachleuten der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten wurde einberufen. Die Situation ist für die

    Corona-Impfstoff: Anweisungen kamen aus der Chefetage von der Leyens

    Die Frage, wer da wann was vergeigt hat, ist nicht einfach zu beantworten. Da ist zunächst Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides aus Zypern, die bei ihrer Bestellung von allen Seiten hochgelobt worden war. Schließlich gilt sie als Expertin im Kampf gegen Krebs, dem ursprünglich geplanten gesundheitspolitischen Schwerpunkt dieser Kommission. Doch das komplizierte Feld der Medikamenten-Bestellung und -Zulassung war Neuland für sie. Und so übernahm die Italienerin Sandra Gallina die Hauptrolle. Sie hatte jahrelange Erfahrung bei internationalen Vertragsverhandlungen im Handelsressort der Kommission.

    Der Mercosur-Vertrag mit den lateinamerikanischen Staaten gilt als ihr Glanzstück. Sie wurde vor wenigen Monaten zur Chefin der Generaldirektion Gesundheit ernannt und saß nun am Tisch mit den großen Pharmakonzernen. Ihre Anweisungen erhielt sie aber nicht von der Gesundheitskommissarin, sondern direkt aus der Chefetage von der Leyens. Dennoch wäre es falsch, die drei Politikerinnen als Schuldige an dem Desaster zu bezeichnen.

    Denn während aller Beratungen waren die Vertreter der Mitgliedstaaten dabei: Ohne sie gab es keine Entscheidung. Und die machten Fehler: So setzte man zunächst auf den Impfstoff des Herstellers CureVac – ein folgenschwerer Irrtum, auch wenn damals noch niemand verlässlich wissen konnte, wer am Ende vorne liegen würde. Dann blockierten die Vertreter der Ost-Staaten, dass die Gemeinschaft mehr als 2,7 Milliarden Euro für den Ankauf nutzen konnte – ein weiteres Versäumnis. Und schließlich schloss man die Verträge über den Kauf einer bestimmten Anzahl von Dosen ab, was jetzt zu einem weiteren Problem führt. Denn nachdem die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) erlaubt hat, aus jeder Ampulle des Biontech-Vakzins nicht fünf, sondern sechs Dosen zu entnehmen, führte das keineswegs zu 20 Prozent mehr Impfungen, sondern zu einer Kürzung der Lieferungen um 20 Prozent – samt Preiserhöhung.

    Impfstoff-Kürzung war seit Wochen absehbar

    Inzwischen muss die Gemeinschaft erkennen, dass es nicht darauf ankommt, wie viel Impfstoff man bestellt hat, sondern ob er verfügbar ist. Und das ist wirklich bitter: Denn Pfizer, das als Partner des deutschen Biontech-Unternehmens für Produktion und Vertrieb zuständig ist, kürzt das EU-Kontingent, nicht aber die amerikanische Versorgung. Das hätte man spätestens am 8. Dezember wissen können. Denn an diesem Tag wies der damalige US-Präsident Donald Trump per „executive order“ den Konzern an, dass die amerikanischen

    In dieser Reihenfolge wird in Deutschland gegen Corona geimpft

    Die Reihenfolge der Impfungen ist in einer Verordnung des Gesundheitsministeriums festgelegt.

    Zunächst sollen Menschen an die Reihe kommen, die unter "höchste Priorität" eingestuft sind. Dazu gehören Bürgerinnen und Bürger, die älter als 80 Jahre sind, ...

    ...genauso wie Menschen, die in Pflegeheimen betreut werden oder dort arbeiten.

    Auch Pflegekräfte in ambulanten Diensten und Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen mit erhöhtem Expositionsrisiko gehören dazu. Darunter fallen: Mitarbeiter in Corona-Impfzentren, Notaufnahmen oder Intensivstationen.

    "Höchste Priorität" haben außerdem Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen, die Risikogruppen behandeln. Darunter ist zum Beispiel die Transplantationsmedizin gelistet.

    Als nächstes sollen Menschen geimpft werden, die unter "hohe Priorität" kategorisiert sind. In erster Linie sind das jene, die über 70 Jahre alt sind.

    Auch wer bestimmte Erkrankungen oder Behinderungen aufweist, fällt in diese Kategorie. Dazu gehören Trisomie 21 und Demenz. Auch wer eine Organtransplantation hatte, wird mit hoher Priorität geimpft.

    Es genügt außerdem, Kontaktperson von Menschen in Risikogruppen zu sein, um mit hoher Priorität geimpft zu werden werden. Dazu gehören enge Kontaktpersonen von Menschen über 80, von Schwangeren oder Bewohnern von Pflegeheimen. Auch Personen, die in Einrichtungen für Senioren oder für Menschen mit geistiger Behinderung leben, sollen mit hoher Priorität geimpft werden. Außerdem fallen Pflegerinnen und Pfleger, die Menschen mit Behinderung stationär oder ambulant betreuen, in diese Kategorie.

    Auch bestimmte Berufsgruppen sollen schnell an die Reihe kommen. Vor allem solche, die in der Öffentlichkeit aktiv sind und viel Kontakt zu Bürgern haben. Dazu gehören Polizisten und Ordnungskräfte, die auf Demonstrationen unterwegs sind, sowie Mitarbeiter in Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften oder Krankenhäusern.

    Als dritte Kategorie definiert das Gesundheitsministerium Menschen mit "erhöhter Priorität". Dazu gehört die Altersgruppe zwischen 60 und 70 Jahren.

    Außerdem sollen dann Menschen geimpft werden, die zwar in medizinischen Berufen arbeiten, aber einem niedrigerem Expositionsrisko ausgesetzt sind. Dazu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Laboren.

    Erhöhte Priorität haben auch Menschen mit folgenden Krankheiten: Adipositas, chronische Nierenerkrankung, chronische Lebererkrankung, Immundefizienz oder HIV-Infektion, Diabetes mellitus, diversen Herzerkrankungen, Schlaganfall, Krebs, COPD oder Asthma, Autoimmunerkrankungen und Rheuma.

    Auch bestimmte Berufsgruppen fallen in diese Kategorie. Darunter Lehrer und Erzieher, Polizisten, Regierungsmitarbeiter, Verwaltungsangestellte, Feuerwehrmänner und -frauen, Katastrophenschutz, THW oder Justiz.

    Erhöhte Priorität haben außerdem Menschen, die in kritischer Infrastruktur arbeiten. Dazu gehören Apotheken und Pharmawirtschaft, öffentliche Versorgung und Entsorgung, Ernährungswirtschaft, Transportwesen, Informationstechnik und Telekommunikation.

    Auch Personen mit prekären Arbeits- oder Lebensbedingungen werden mit erhöhter Priorität geimpft.

    Wer nicht in eine dieser drei Kategorien fällt, wird ohne Priorität geimpft. Also erst dann, wenn Menschen aus diesen Kategorien an der Reihe waren.

    Denn das britisch-schwedische Gemeinschaftsunternehmen will ebenfalls die Lieferungen an die EU reduzieren, während die Versorgung der britischen Bürger unvermindert weiter läuft. Impfstoff-Nationalismus pur, den die Gemeinschaft mit ihrem gemeinsamen Vorgehen verhindern wollte. Nun geht die Kommission diesen Verdachtsmomenten auf den Grund. Am Montag kündigte die EU-Verwaltung an, sehr schnell ein Transparenzregister einzuführen. Dort soll gemeldet werden, welcher Hersteller wie viele Dosen von in der EU hergestelltem Impfstoff in einen Drittstaat liefert – dazu gehört auch Großbritannien. Die Folgen wären gravierend, weil diese Maßnahme dazu führen würde, dass Exporte aus der EU hinaus künftig einer Genehmigung bedürfen. Es ist nichts weniger als ein Misstrauensvotum gegenüber den Pharma-Konzernen.

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