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Corona-Krise: Staatsrechtler: Söders Anordnungen müssen juristisch überprüft werden

Corona-Krise

Staatsrechtler: Söders Anordnungen müssen juristisch überprüft werden

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    Menschenleere Innenstadt – der Bertoldsbrunnen mit dem Martinstor im Hintergrund. In Freiburg gilt bereits ab dem heutigen Samstag eine eingeschränkte Ausgangssperre. Bayern folgt dem Beispiel.
    Menschenleere Innenstadt – der Bertoldsbrunnen mit dem Martinstor im Hintergrund. In Freiburg gilt bereits ab dem heutigen Samstag eine eingeschränkte Ausgangssperre. Bayern folgt dem Beispiel. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Als sicher kann gelten, dass auch die Elite der deutschen Staatsrechtler vor dem Fernseher saß, als Markus Söder weitreichende Ausgangsbeschränkungen für ganz Bayern verkündete. Schließlich sind die Einschränkungen, die Tag für Tag und Schritt für Schritt die Freizügigkeit beschneiden für die Bevölkerung, aber auch für Juristen Neuland in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Der Begriff "Ausgangssperre", der seit Wochen und Tagen in aller Munde ist, taucht im Übrigen weder im Grundgesetz noch im Infektionsschutzgesetz auf.

    Noch bevor der bayerische Ministerpräsident in seiner Ansprache am Freitagmittag ins Detail ging, sagte er einen Satz, mit dem er die Spannung ein Stück weit herunterdrehte: "Das Konzept zum Schutz der Bevölkerung ist an Österreich angepasst." Das bedeutet, dass es die harte italienische Lösung einer rigiden Ausgangssperre vorerst im Freistaat nicht geben wird.

    Aus juristischer Sicht sind die Einschränkungen umstritten

    Dennoch ist das Thema rechtlich heikel. "Maßnahmen dieser Art sind aus juristischer Sicht nicht unumstritten", sagte der Staatsrechtler Christoph Gusy von der Universität Bielefeld im Gespräch mit unserer Redaktion. Allerdings erlaube das Infektionsschutzgesetz, Personen zu verpflichten, einen Ort – in diesem Fall wäre das die Wohnung – nicht zu verlassen. Gusy: "Daraus kann man Ausgangsbeschränkungen herleiten, das ist aber schon eine recht weite Auslegung. Eine solche Sperre kann danach zwar für Personengruppen, aber nicht für alle Personen angeordnet werden."

    Tatsächlich hatte Söder auch eine relativ milde Ausgangssperre angekündigt. Von der anderen Seite betrachtet heißt das aber auch, dass sich die Landesregierung Spielraum freihält, um die Maßnahmen weiter zu verschärfen: So könnte Söder auch Spaziergänge oder den Sport im Freien abräumen – dann wäre die Situation erreicht, mit der beispielsweise die Bewohner der norditalienischen Metropole Mailand seit vielen Tagen leben müssen.

    Staatsrechtler Christoph Gusy verteidigt den Föderalismus

    Die aufkommende Kritik an dem föderalen System in Deutschland teilt Gusy nicht. "Wichtig ist die Situation vor Ort. Für den stark betroffenen Landkreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen beispielsweise wären sicher schon früh harte Maßnahmen angemessen gewesen, die in der Eifel nicht verhältnismäßig gewesen wären."

    Der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis nennt zwei für ihn entscheidende Gründe, warum er die Anordnungen Söders für verfassungskonform hält: "Die Maßnahmen sind hinreichend genau bestimmt. Weit wichtiger aber ist, dass das Konzept von der deutlichen Mehrheit der Virologen als erfolgversprechend und angemessen angesehen wird." In China oder Südkorea hätte sich gezeigt, dass die Einschränkung der Bewegungsfreiheit die Zahl der Neuinfektionen offensichtlich abbremsen konnte. Battis warnt jedoch Politiker davor, immer weiter draufzusatteln. Auch seien mögliche Verlängerungen der einschneidenden Regelungen äußerst kritisch unter die Lupe zu nehmen: "Die Wirksamkeit solcher Anordnungen muss immer wieder überprüft werden. Wenn sich nach spätestens vier Wochen herausstellt, dass die Zahl der Infektionen ungebremst weiter ansteigt, dann müssen die Maßnahmen zur Disposition gestellt oder gar abgebrochen werden."

    In Österreich werden die Einschränkungen bereits verlängert

    In Bayern sollen die Begrenzungen der Bewegungsfreiheit zunächst für 14 Tage gelten. In Österreich wird die Laufzeit der Einschnitte bereits verlängert. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat angekündigt, dass die drastischen Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus bis Ostermontag – also um weitere drei Wochen – gültig bleiben. "Das ist ein Marathon, aber unsere Bitte ist klar: Halten Sie durch. Jeder, der die Maßnahmen mitträgt, ist ein Lebensretter", appellierte Kurz. Ob solch ein Langstreckenlauf auch verfassungsrechtlich angemessen ist, daran haben Juristen in Deutschland Zweifel.

    Staatsrechtler Christoph Gusy sieht einen anderen Aspekt, der in den nächsten Tagen Bayern beschäftigen könnte. "Es wird ein Durchsetzungsproblem geben, die verschiedenen Anordnungen effektiv zu überwachen." Da sei Fingergerspitzengefühl bei Polizei oder Ordnungsdienst gefragt.

    Was kann noch auf die Bevölkerung in Bayern zukommen?

    Was kann jetzt noch auf die Bevölkerung zukommen? Immer wieder wird diskutiert, ob auch die totale Abriegelung einzelner Städte eine Option für Deutschland wäre. Battis hat dazu eine klare Meinung: "Das wäre in Deutschland verfassungsrechtlich nicht zulässig", legt er sich fest. "Wir haben keine Diktatur mit unbeschränkten Durchgriffsrechten wie in China. Bei uns ist eine Einzelfallprüfung verpflichtend", sagt Gusy. Allerdings hält er es nach einer gründlichen Prüfung in einer besonderen Gefahrenlage nicht für ausgeschlossen, auch deutsche Städte abzuriegeln. "Allerdings nur kurzfristig und höchstens für zwei Tage."

    Über alle Entwicklungen rund um das Coronavirus informieren wir Sie in unserem Live-Blog.

    Lesen Sie dazu auch einen Kommentar: Markus Söder geht in der Corona-Krise ein hohes Risiko ein

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