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Corona-Krise: Politikprofessorin: "Da schimmerte der alte Markus Söder durch"

Corona-Krise

Politikprofessorin: "Da schimmerte der alte Markus Söder durch"

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    Hat Respekt davor, wie die Politiker mit der Virus-Krise umgehen: die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch.
    Hat Respekt davor, wie die Politiker mit der Virus-Krise umgehen: die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch. Foto: Ulrich Wagner

    Ärzte, Pflegekräfte und Supermarktkassiererinnen werden von Balkonen und Fenstern aus gefeiert. Hätten unsere Politiker in der Corona-Krise nicht auch etwas Applaus verdient?

    Ursula Münch: Vielleicht muss man unseren Politikern nicht applaudieren, aber ich denke schon, dass sie Anerkennung und Respekt verdienen.

    Wie ist denn Ihr Eindruck, was die Fähigkeiten der Politiker betrifft, das Land durch die Krise zu leiten?

    Münch: Natürlich läuft nicht alles perfekt. Aber man darf nicht vergessen, wie groß der Druck der Verantwortung ist, der in einer solchen Situation auf den Politikern lastet. Ich finde, man sieht ihnen diesen Druck bei Fernsehauftritten auch an. Das sind ja alles auch Menschen, die derzeit fast rund um die Uhr im Einsatz und extrem angespannt sind, natürlich aber auch ein Privatleben haben, die sich auch um die Gesundheit ihrer Eltern sorgen. Wir denken meist an die Kanzlerin oder die Bundesminister. Ebenfalls stark beansprucht sind aber die einfachen Abgeordneten, die Ansprechpartner in ihren Wahlkreisen sind.

    Es fällt auf, dass jetzt wieder eher der ruhige unaufgeregte Politik-Stil gefragt ist. Donald Trump oder Boris Johnson, die die Virus-Gefahr ja lange heruntergeredet und sich sogar über eine angebliche „Hysterie“ lustig gemacht haben, gelten als Negativbeispiele. Wird das ein nachhaltiger Trend?

    Münch: Es ist tatsächlich so, dass eher die klassischen Volksparteien in den Umfragen besser dastehen als vor der Krise. Wir sehen ja, was in Ländern wie den USA oder Brasilien passiert, in denen Populisten an der Regierung sind. Die Menschen in Deutschland registrieren sehr wohl, dass die meisten Politiker nicht um des Regierens willens regieren oder anordnen um des Anordnens willens. Auch wächst die Neigung bei Politikern – übrigens auch unter den Virologen – sich zu korrigieren, wenn man falsch lag. Dass es dabei auch die eine oder andere Meinungsverschiedenheit wie jetzt zwischen dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, und Markus Söder gibt, ist völlig normal. Kaum einer erweckt den Eindruck, er habe die Wahrheit gepachtet. Es findet ein guter Austausch zwischen der Politik und seriösen Wissenschaftlern statt. Auch den viel kritisierten öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern wird wieder mehr Vertrauen entgegengebracht. Gleiches gilt für die seriösen Tageszeitungen. Populistischen Parteien und Politikern hingegen schlägt wieder mehr Misstrauen entgegen.

    Nehmen Sie den Politikern die neue Sachlichkeit ab oder ist dieser Habitus auch schon wieder ein Stück weit Show?

    Münch: Wenn ich die Leute beobachte, habe ich den Eindruck, dass da wirklich ein tiefer Ernst dahintersteckt und dass das keine Maskierung ist. Ich bin eine kritische Seele, aber das ist aus meiner Sicht insgesamt glaubwürdig. Die Politiker wissen ja, wenn sie jetzt gravierende Fehler machen, dann kostet das viele Menschenleben und führt dazu, dass die Leute in Panik geraten und unsere Wirtschaft dauerhaft ruiniert wird. Unheimlich wäre mir, wenn wir Zustände hätten wie in Ungarn oder in Polen, wenn wir gemaßregelte Medien hätten und nicht über eine unabhängige Justiz verfügen würden. Aber bei uns funktioniert die Kontrolle, sei es durch die Opposition, die Medien oder eben durch die Justiz. Das ist der Unterschied.

    Die Kanzlerin hat lange geschwiegen, um sich dann mit einer eindringlichen Ansprache zurückzumelden. War das gutes Timing oder hat sie die Ereignisse zu lange unkommentiert gelassen?

    Münch: Ich gebe zu, dass ich kurz gedacht habe, die Kanzlerin reagiere zu spät. Doch inzwischen bin ich mir sicher, dass Angela Merkel mit ihrer Fernsehansprache den richtigen Zeitpunkt getroffen hat. Hätte sie sich zu früh geäußert, hätte man ihr Panikmache vorwerfen können. Es war völlig in Ordnung, zunächst mit Gesundheitsminister Jens Spahn und Innenminister Horst Seehofer den betroffenen Ressorts das Wort zu geben. Die empathische und klare Ansprache der Kanzlerin hat mich dann inhaltlich und vom Ton her überzeugt.

    Gesundheitsminister Jens Spahn wurde lange gelobt für sein ruhiges, umsichtiges Krisenmanagement. Jetzt gibt es Kritik, dass er den Engpass bei Atemschutzmasken für Ärzte unterschätzt hat. Müssen Politiker damit rechnen, dass ihr Handeln nach der Krise sehr kritisch bilanziert wird?

    Münch: Wenn die Krise vorüber ist, muss natürlich darüber gesprochen werden, was falsch gelaufen ist. Das sollte aber kein Nachtarocken nach dem Motto ,ich habe es schon immer gewusst’ sein, sondern ein nüchternes Analysieren, was zu tun ist, wenn wir erneut in eine ähnliche Situation geraten sollten. Da wird zu fragen sein, wie wir in Zukunft Kompetenzen verteilen, wer wann etwas entscheiden können muss. Man wird zum Beispiel schauen müssen, wie sichergestellt wird, dass der Bundestag handlungsfähig bleibt, indem er eventuell digital zusammenkommt.

    Gerade Bürgermeister kleiner Städte oder Dörfer können sich derzeit durch Präsenz und eine ruhige Hand auszeichnen. Noch vor wenigen Wochen wurde berichtet, dass Bürgermeister beleidigt und angegriffen werden. Wäre es nicht an der Zeit, jetzt die Rolle der Lokalpolitiker dauerhaft zu stärken?

    Münch: Die Politiker in den Kommunen haben gerade in einer solchen Krise weitreichende Entscheidungsmöglichkeiten. Um sie zu stärken, darf nicht der Eindruck entstehen, dass sie nur der verlängerte Arm der Landespolitik sind. Ganz wichtig wäre es auch, dass die Medien nicht nur darauf schauen, was die Kanzlerin, Laschet oder Söder machen.

    Markus Söder liegt bei den Bürgern ganz weit vorne, wenn es um Durchsetzungsfähigkeit geht. Jetzt musste er Kritik von anderen Ministerpräsidenten einstecken, weil er am Freitag ohne Absprache mit weitreichenden Anordnungen für den Freistaat vorgeprescht ist. Ist das jetzt doch wieder der unstete, kaum berechenbare Söder, den man von früher kennt?

    Münch: Ich finde, sachlich war seine Entscheidung richtig. Gerade, wenn wir uns die dramatische Entwicklung in Österreich und Italien anschauen. Und diese Länder sind uns geografisch nun einmal näher als dem Land Mecklenburg-Vorpommern. Ich bin froh, dass wir uns dadurch zwei Tage mit Corona-Partys gespart haben. Ich glaube, dass die Warnung bei den Leuten jetzt auch angekommen ist. Was das Prozedere und die fehlende Abstimmung mit seinen Kollegen in den anderen Ländern betrifft, ist dann doch ein bisschen der Gaul mit ihm durchgegangen. Da ist der alte Markus Söder durchgeschimmert: Ich weiß es halt’ besser und dann mache ich’s auch. Genau dieses ,Bavaria first’ haben ihm die anderen Ministerpräsidenten, die dann doch ein bisschen blöd dastanden, auch vorgeworfen. Das hätte er sich durchaus sparen können. Besser wäre es gewesen, er hätte Überzeugungsarbeit geleistet und dargelegt, dass es bei uns schneller gehen muss, weil Bayern näher an den Krisenherden liegt. Allerdings wäre es ja fast schon unmenschlich, wenn er es geschafft hätte, eben diesen alten Söder vollständig zu Hause in den Schrank zu sperren.

    Es scheint bisher so, dass die Bevölkerung die ja doch sehr weitreichende Beschneidung der Freizügigkeit mitträgt. Fürchten Sie, dass die Stimmung kippen könnte?

    Münch: Das will ich um Gottes Willen nicht herbeireden, aber erfahrungsgemäß wird sich das nach gewisser Zeit schon einstellen. Wir hatten schon mehrere Krisen, die allerdings nicht diese Dimension erreicht haben. Es gab bekanntlich 2015 auch einmal eine Willkommenskultur zu Beginn der Flüchtlingskrise. Und wir alle wissen, wie schnell das umgeschlagen ist. Gut, dieser Vergleich hinkt dramatisch. Aber daraus können wir lernen, wie das laufen kann. Man merkt es ja an sich selbst. Ich bin privilegiert, ich kann noch zur Arbeit gehen. Aber ich denke an die Leute, die nun unter weniger erquicklichen Bedingungen zu Hause bleiben müssen. Es wird viele Gründe geben, warum die Menschen nach einer gewissen Zeit nicht mehr so optimistisch sein werden.

    Vieles dürfte davon abhängen, wie lange die Maßnahmen in Kraft sind.

    Münch: So ist es. Aber es ist redlich von den Politikern zuzugeben, dass man das einfach nicht wissen kann. Es besteht das große Risiko, dass man zu früh wieder versucht, in den normalen Modus umzuschalten. Es ist die Ungewissheit, die uns alle bekümmert. Da würde ich aufpassen, dass man nicht zu viel von der großen Solidarität sprechen und schreiben sollte, sondern dass man unseren typisch deutschen Blick, also zu sagen, ,ja, schön und gut, aber es kann auch anders kommen’ pflegt. Das ist in dieser Lage gar nicht so verkehrt. Ich denke daran, wie es sein wird, wenn wir in sechs oder acht Wochen eine brütende Hitze haben. Dann wird die Stimmung ganz anders sein. Dann werden die Unterschiede zwischen Menschen, die ein Haus im Grünen haben und nicht um ihre Existenz fürchten müssen und denjenigen, die voll von den Ausgangsbeschränkungen getroffen werden, deutlich werden.

    Es gab ja die Prognosen, dass eine populistische Partei wie die AfD von der Verunsicherung der Menschen profitieren könnte. Die aktuellen Umfragen bestätigen das jedoch nicht. Wundert Sie das?

    Münch: Eigentlich nicht. Denn deren Zuspitzen und Ausgrenzen, das ,wir gegen die Anderen’ wollen die Leute jetzt nicht. Gefragt ist der kühle Kopf, um gut durch die Krise zu kommen. Auch die Wissenschaftsfeindlichkeit des Populismus kommt diesen Kräften nicht zugute. Hinzu kommt, dass die großen digitalen Netzwerke ihre Algorithmen verändert haben. Die Negativnachrichten, mit denen manche Unternehmen Nutzer auf ihre Plattform locken, werden spürbar reduziert. Das wirkt beruhigend. Andererseits ist es erschreckend, wie groß die Einfluss- und Manipulationsmöglichkeiten dieser digitalen Netzwerke sind.

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