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Corona-Krise: Mega-Metropole Istanbul: Wohin mit den Toten?

Corona-Krise

Mega-Metropole Istanbul: Wohin mit den Toten?

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    Gesundheitsbeamte heben in Istanbul Gräber auf einem neu angelegten Friedhof aus, den die Behörden für die Beerdigung der an Covid-19-Verstorbenen vorgesehen haben.
    Gesundheitsbeamte heben in Istanbul Gräber auf einem neu angelegten Friedhof aus, den die Behörden für die Beerdigung der an Covid-19-Verstorbenen vorgesehen haben. Foto: Emrah Gurel/AP, dpa

    Ayhan Koc hat ein schweres Amt. Die Bevölkerung einer mittleren Stadt muss der Arzt schon in normalen Jahren unter die Erde bringen: Als Friedhofsdirektor von Istanbul ist er für die Bestattung von jährlich mehr als 75.000 Menschen zuständig. Wegen des rasanten Bevölkerungswachstums in der Mega-Metropole von derzeit 16 Millionen Einwohnern wurde der Platz auf den städtischen Friedhöfen in den letzten Jahren ohnehin knapp. Durch die Coronavirus-Krise droht nun neuer Druck auf das geplagte Friedhofsamt.

    Zwei Friedhöfe hat die Stadt für die Opfer der Pandemie designiert – einen auf der europäischen Seite der Stadt und einen auf der asiatischen. Die Anwohner protestieren natürlich, und auch sonst hat es der Friedhofsdirektor nicht leicht in diesen Tagen. Auf Twitter veröffentlichte Koc jetzt ein Foto von seinen Eltern, die in ihrem Wohnzimmer gebannt am Fernseher hängen, wo er interviewt wird - anders bekommen sie den Sohn nicht mehr zu sehen.

    Zwei Friedhöfe sind in Istanbul für die Opfer der Corona-Pandemie designiert

    Schon zu normalen Zeiten sterben in Istanbul täglich mehr als 200 Menschen, und das Friedhofsamt weiß kaum noch, wohin mit ihnen. Die traditionsreichen Friedhöfe am Bosporus und in der Innenstadt sind schon lange voll; immer wieder müssen die Behörden gegen Schwarzhandel mit einzelnen Plätzen in Familiengräbern einschreiten. Auch auf den neueren Friedhöfen in den Außenbezirken wird der Platz inzwischen knapp.

    Rund 570 Friedhöfe gibt es in Istanbul derzeit – für drei bis fünf Jahre könnten sie noch reichen, sagte Koc der Zeitung „Milliyet“ vor Beginn der Pandemie im Januar, aber dann werde es eng. Da in Istanbul täglich mehr als 600 Menschen geboren werden und Einäscherung im Islam tabu ist, steht sein Amt vor gewaltigen Herausforderungen - die durch das Coronavirus nun dramatisch verschärft werden.

    Tote aus Istanbul werden auf anatolische Provinzen verteilt

    Bisher bemühte sich der Friedhofsdirektor darum, mehr Tote aus Istanbul auf die anatolischen Provinzen zu verteilen. Jeder dritte in Istanbul verstorbene Tote wurde bisher zur Bestattung in seinen Herkunftsort in Anatolien zurückgeschickt. Koc kündigte an, das auf jeden zweiten Toten zu steigern, und zwar mit kostenlosen Leichentransporten in die Provinz. Auf 150 Leichenwagen für Überlandfahrten wollte sein Amt den Fuhrpark in diesem Jahr verdoppeln. „Wir müssen die Zahl der Bestattungen in Istanbul senken, das ist unerlässlich“, sagte Koc noch im Januar. Stattdessen muss er wegen der Pandemie nun Platz für noch mehr Tote schaffen.

    Den Opfern der Coronavirus-Pandemie hat das Amt nun zwei Friedhöfe zugewiesen: einen bestehenden Friedhof im Badeort Kilyos an der Schwarzmeerküste für Tote auf der europäischen Seite und einen neuen Friedhof im Wald von Beykoz auf der anatolischen Seite. Noch geschieht das vor allem vorbeugend, denn die Türkei verzeichnete bisher landesweit nur 214 Todesfälle. Doch die Zahl der registrierten Infektionen im Land verdoppelt sich derzeit alle viereinhalb Tage, und das Friedhofsamt muss auf alles vorbereitet sein.

    Corona-Krise: Istanbuler Friedhofsdirektor zwischen den politischen Fronten

    Vor allem in Beykoz protestieren die Anwohner gegen die neue Anlage, die derzeit noch recht grausig aussieht – ein hastig aufgewühltes Areal im Wald, wo in den Schlamm gesteckte Bretter die Lehmhügel markieren, unter denen schon Tote liegen. Doch irgendwo müssen die Toten von Istanbul begraben werden, egal woran sie sterben. Die 1800 Mitarbeiter des Friedhofsamtes arbeiten mit aller Kraft daran, die Lage zu meistern, erklärte die Stadtverwaltung.

    Für Ayhan Koc ist es die Feuerprobe. Als Parteigänger der oppositionellen CHP wurde der 55-jährige Arzt erst vor einem halben Jahr vom neuen Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu in das Friedhofsamt berufen. Mit Ausbruch der Corona-Krise geriet Koc prompt zwischen die politischen Fronten, als sein Amt vorübergehend höhere Covid-Sterbezahlen für Istanbul auswies als das türkische Gesundheitsministerium für die ganze Türkei angab. Der Friedhofsdirektor zog seine Zahlen zurück und sprach von einem Versehen.

    Über alle Entwicklungen rund um das Coronavirus informieren wir Sie in unserem Live-Blog.

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