So ganz hat sich der Wunsch von Peter Altmaier nicht erfüllt. Der bisherige Rückhalt in der Bevölkerung während der Corona-Krise, sagte der Wirtschaftsminister jüngst im Interview, sei darauf zurückzuführen, "dass wir quer über alle Parteien hinweg auf die üblichen Grabenkämpfe und persönlichen Anfeindungen verzichtet haben". So müsse es weitergehen, denn so komme man zu guten Lösungen für Deutschland, erklärte der CDU-Politiker.
Bund und Länder legen Lockerungen der Corona-Maßnahmen fest - und mussten lange um Strategie ringen
Seit Mittwoch wissen die Deutschen, wie es weiter geht mit dem Kampf gegen Corona: Es wird die ersehnten Lockerungen geben, Wirtschafts- und Alltagsleben sollen in kleinen Schritten an eine Normalisierung herangeführt werden. Doch das bedeutet offenbar auch, dass Politiker wieder in die alten Reflexe zurückfallen. An Altmaiers Appell, auf "persönliche Profilierung" zu verzichten, haben sich jedenfalls nicht alle gehalten. Vor allem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet fiel ein wenig aus der Rolle.
"Es ist nicht ganz einfach", hieß es während der Corona-Verhandlungen aus Reihen der Union. Demnach wurde bei den zahlreichen Gesprächen zwischen Kanzlerin Angela Merkel und den Länderfürsten, aber auch bei den Konferenzen der Ministerpräsidenten untereinander, vor allem um eine Exit-Strategie für den schwer zu kontrollierenden öffentlichen Raum gerungen.
"Bei allen Überlegungen, die jetzt angestellt werden, egal in welchen Bereichen – ob es die Religionsgemeinschaften sind oder letztlich auch die Schulen – müssen immer wieder die gleichen Fragen gestellt und auch beantwortet werden: Ist es in diesem Bereich möglich, die Abstands- und Hygieneregeln zu wahren? Wie kommen Menschen zu diesem Bereich", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Es müsse hinterfragt werden, ob sich da ein Geschehen abspiele, "das uns in Gefahr bringt" und ein Aufflammen des Infektionsverlaufs nach sich ziehe. "Oder ist es ein Geschehen, dass wir so organisieren können, dass wir weiter in dieser linearen und maßvollen Entwicklung der Ansteckungen bleiben", sagte Seibert.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder trat bei den Beratungen als Bremser auf
Diese Überlegungen stellten Kanzleramt und Ministerpräsidenten für jeden Alltagsbereich an – und kamen zu der Einsicht, dass kleinere und mittlere Geschäfte sowie Bibliotheken unter Auflagen für Abstandsregeln und Hygiene bald wieder öffnen dürfen. Schulen grundsätzlich auch. Restaurants und Kneipen hingegen beispielsweise müssen vorerst dichtbleiben, weil dort die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln nur schwer zu kontrollieren ist.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) trat bei den Verhandlungen eher als Bremser auf, vertrat die Linie, die er vor den Beratungen auch öffentlich vorgegeben hatte: "Weniger Hektik, ein bisschen mehr Geduld und Besonnenheit könnte allen helfen." Auf seine Seite schlug sich Teilnehmern zufolge der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).
Kretschmann widerstand dem großen Druck der Automobilindustrie, schnell große Lockerungs-Schritte zu unternehmen. Wie Bayern ist auch Baden-Württemberg von den Corona-Folgen besonders betroffen, Kretschmann nahm deshalb wie Söder den Fuß vom Gas. Beide näherten sich beim Thema Schulöffnungen einander an und plädierten dafür, nicht zuerst die Jüngeren wieder in die Klassen einziehen zu lassen, sondern die vor Abschlussprüfungen stehenden älteren Jahrgänge. Auffällig auch die Wortwahl von Söder und Kretschmann: Beide traten für ein "Maskengebot" ein, vermieden es zunächst aber, von einer Tragepflicht zu sprechen.
Warum Armin Laschet nun die Rolle von Bayerns Ministerpräsident Söder eingenommen hat
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet argumentierte zwar wie Söder und Kretschmann gegen die Empfehlung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, wonach Grundschulen als erstes geöffnet werden könnten. Darüber hinaus trat der Bewerber um den Posten des CDU-Vorsitzenden aber dem Vernehmen nach forscher auf als viele seiner Amtskollegen.
Laschet zeigte sich demnach in den Gesprächen offener für Lockerungen als etwa Söder und Kretschmann. Er hätte sich offenbar Maßnahmen vorstellen können, die noch über ein vom Bund vorgeschlagenes Stufenmodell hinausgegangen wären. Im Raum stand demnach beispielsweise eine Öffnung von Theatern. Unklar war da zunächst noch, ob es dazu in einigen Bundesländern Alleingänge geben wird.
Laschet hatte zuvor zwar einen gemeinsamen Fahrplan aller 16 Bundesländer eingefordert. Doch er hatte auch – mit umgekehrten Vorzeichen – Söders Rolle eingenommen. Der Bayer war in den Anfangstagen von Corona dadurch aufgefallen, dass er stärkere Schutzmaßnahmen einforderte als der Rest der Republik. Zuletzt fiel jedoch vor allem Laschet auf, weil er sich vehementer für Lockerungen aussprach als andere Politiker.
Einer der Gründe dürfte sein, dass es Laschet im Gegensatz zu Söder aus seinem Bundesland herauszieht. Der CDU-Politiker will Parteivorsitzender werden und dann auch Kanzlerkandidat der Union. Schon immer konnten in Deutschland Politiker mit Drang zu Höherem davon profitieren, wenn sie in einer Krise Führungsqualitäten und Profil zeigten. Kanzlerin Merkel beispielsweise in der Eurokrise oder Altkanzler Gerhard Schröder mit seinem Nein zum Irak-Krieg. Und Laschet hat zwar Boden gutgemacht, aber es ist noch längst nicht ausgemacht, dass er gegen seine Herausforderer Norbert Röttgen und Friedrich Merz gewinnen kann.
Corona-Krise: Markus Söder oder Armin Laschet - wer kann auf Dauer besser punkten?
Laschet wird die Ungeduld in der Bevölkerung und die Sehnsucht nach Lockerungen gespürt haben. Der Gedanke lag nah, daraus weitere Beliebtheitspunkte zu machen. Ob seine Rechnung aufgeht, muss sich erst noch weisen. Denn auch die Angst vor Corona geht in der Bevölkerung weiter um und sie ist mit dem Wunsch nach einer starken Führungsrolle des Staates verbunden. In einer ersten Sichtung jedenfalls fühlte sich die von Bund und Ländern vorgegebene vorsichtige Marschroute mehr nach einem Punktsieg für den Pessimisten Söder als für den Optimisten Laschet an.
Derweil verlängerte das Bundesinnenministerium die vor einem Monat eingeführten Kontrollen an den Grenzen zu Österreich, Frankreich, Luxemburg, Dänemark und der Schweiz für 20 Tage bis zum 4. Mai. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae kritisierte, die Sinnhaftigkeit von Grenzkontrollen sei mehr als fragwürdig und eine Verlängerung kaum zu rechtfertigen. Das Corona-Virus mache nicht an Grenzen halt "und Infektionsketten lassen sich auch grenzüberschreitend nachvollziehen".
Gleichzeitig machte diese Maßnahme aber deutlich, dass die Abschottung grundsätzlich weitergehen wird. Denn trotz aller Verbesserungen der Corona-Indikatoren gilt, was ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums am Mittwoch sagte: "Wir stehen immer noch am Anfang dieser Epidemie."
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