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Corona-Krise: Kein Lippenlesen möglich: Maskenpflicht betrifft Gehörlose besonders

Corona-Krise

Kein Lippenlesen möglich: Maskenpflicht betrifft Gehörlose besonders

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    Der Mundschutz verdeckt die Lippen und dämpft die Stimme - für viele gehörlose und schwerhörige Menschen erschwert das die Kommunikation.
    Der Mundschutz verdeckt die Lippen und dämpft die Stimme - für viele gehörlose und schwerhörige Menschen erschwert das die Kommunikation. Foto: Marcus Merk

    Ab der kommenden Woche muss in Bayerns Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr ein Mundschutz getragen werden – das gab Ministerpräsident Markus Söder am Montag in seiner Regierungserklärung bekannt. Sprechen ist mit herkömmlichen Masken kein Problem. Allerdings wird die Stimme gedämpft und der Gegenüber kann die Bewegungen der Lippen nicht sehen - für viele gehörlose oder schwerhörige Menschen wird die Kommunikation dadurch erschwert oder ist gar nicht mehr möglich.

    Auf Twitter macht derzeit ein vor einigen Tagen aufgenommener, sehr emotionaler Appell der gehörlosen Nutzerin Cindy Klink die Runde. Wenn die Maskenpflicht in Kraft treten sollte, sei das für sie persönlich ein sehr großes Problem, sagt sie in dem kurzen Video: "Durch die Maske ist das Mundbild komplett verdeckt und ich verstehe niemanden mehr." Ihre Bitte: "Benutzt nicht diese alltagsüblichen Masken, die große Firmen verkaufen, sondern durchsichtige Masken." So könnten hörgeschädigte Menschen weiter den Mund ihres Gesprächspartners sehen und von ihren Lippen ablesen.

    Im Einzelfall entstehende Härten könnten trotz aller Bemühungen leider nicht immer abgemildert werden, sagt Christa Schmidt, Pressesprecherin des Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales. Sie betont aber auch, dass außerhalb der öffentlichen Verkehrsmittel und von Geschäften keine Maskenpflicht gilt. "Damit besteht hier auch weiterhin für Menschen mit einer Hörbehinderung die Möglichkeit, wie bisher zu kommunizieren."

    Masken mit einem Mundfenster sind wohl denkbar: "Es können gerne alle Arten von Masken verwendet werden, die geeignet sind, die Übertragung der Coronaviren wie bei den gängigen Masken einzudämmen", sagt Schmidt.

    Gehörlose Bloggerin Julia Probst befürwortet die Maskenpflicht

    Die gehörlose Bloggerin Julia Probst aus Weißenhorn macht sich für die Inklusion gehörloser und schwerhöriger Personen in Deutschland stark. "Ich lese praktisch jeden Tag von den Lippen ab - also immer, wenn ich mit anderen Menschen kommuniziere", schreibt die 38-Jährige unserer Redaktion. Es sei jedoch ein Mythos, dass alle Gehörlosen dies problemlos beherrschten: "Die Mehrheit ist eher auf die Gebärdensprache angewiesen."

    Das Twitter-Video von Cindy Klink sieht die Weißenhorner Bloggerin kritisch: "Der Appell ist sehr emotional gehalten und ich finde es falsch, sich mit dieser großen Reichweite weinend vor die Kamera zu stellen. Denn nüchtern betrachtet sind wir alle in einer Ausnahmesituation und jeder muss da etwas zurückstecken."

    Probst selbst befürwortet die Maskenpflicht. So könnten sich die Menschen gegenseitig vor einer Ansteckung schützen. Auch wenn die Kommunikation für Menschen mit Hörbehinderung erschwert wird - einerseits aufgrund der verdeckten Mundpartie, andererseits, weil die Stimme des Gesprächspartners gedämpft wird. "Schwerhörige mit einem Restgehör haben dadurch ebenfalls mehr Probleme mit dem Sprachverständnis", erklärt Probst.

    Probst: An Gebärdensprachdolmetscher sollten Sichtvisiere ausgehändigt werden

    Die in dem Video angesprochenen Masken mit Sichtfenster um den Mund sind laut Probst zwar eine gute Idee - aber für Menschen, die keine gelernten Schneider sind, seien sie schwer zu nähen. Durchsichtige Sichtvisiere seien ebenfalls eine Alternative und sollten an Gebärdensprachdolmetscher sowie Arztpraxen mit gehörlosen Patienten ausgehändigt werden und in allen Krankenhäusern zur Standardausrüstung zählen, findet Probst: "Auch für Nichtbetroffene ist der Anblick von medizinischem Personal in Schutzanzügen und Schutzmasken kein besonders freundlicher. Mimik und nonverbale Kommunikation ist für alle wichtig."

    Trotz all der Diskussionen um die Maskenpflicht - es gibt ein Thema, das Probst noch weitaus mehr beschäftigt: Viele Pressekonferenzen und Sendungen zum Coronavirus werden im Fernsehen nicht in Echtzeit in Gebärdensprache übersetzt. So auch die Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am vergangenen Montag um 15.30 Uhr losging: "Das von der Bundesregierung mit Gebärdensprache erstellte Video war erst um 18.10 Uhr online verfügbar. Das ist eine Zeitverzögerung von mehreren Stunden und stellt eine deutliche Benachteiligung gehörloser Menschen dar."

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