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Corona-Krise: Ausgangsbeschränkungen: So reagieren Experten auf Bayerns Maßnahmen

Corona-Krise

Ausgangsbeschränkungen: So reagieren Experten auf Bayerns Maßnahmen

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    Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, kündigte am Freitag Ausgangsbeschränkungen gegen die Verbreitung des Coronavirus an.
    Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, kündigte am Freitag Ausgangsbeschränkungen gegen die Verbreitung des Coronavirus an. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Die Miene ist ernst, die Augenringe sind tief, die Stimme vom vielen Sprechen bereits heiser. Als Ministerpräsident Markus Söder gegen Mittag vor die Kameras tritt, muss er gar nichts sagen, um klarzumachen: Die Lage ist ernst. Was er zu verkünden hat, ist alles andere als politische Routine. Es ist ein Paukenschlag, selbst in Zeiten, in denen die Menschen schlechte Nachrichten beinahe schon gewohnt sind. "Wir fahren das öffentliche Leben fast vollständig herunter" , sagt der bayerische Ministerpräsident.

    Als erstes Bundesland verhängt der Freistaat umfangreiche Ausgangsbeschränkungen – das Wort Ausgangsverbot fällt nicht, denn ganz einschränken will man die Bewegungsfreiheit der Menschen nicht. Doch klar ist auch: Die nächste Stufe der Eskalation kann jederzeit gezündet werden.

    Hohe Wellen an Infektionen mit dem Coronavirus zu erwarten

    "Wir dürfen nicht zögern", sagt Söder. "Ich und wir können nicht verantworten zu warten." Jeder Infizierte, jeder Tote sei einer zu viel. Die Zahl der Infizierten sei seit Donnerstag um mehr als 35 Prozent, 817 Fälle, gestiegen. Die Zahl der Toten sogar um 50 Prozent auf 15. Die Infektionsketten seien praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es seien hohe Wellen an Infektionen zu erwarten, in Deutschland vielleicht im Millionenbereich. "Trotzdem erkennen viele den Ernst der Lage nicht", sagt der Ministerpräsident. "Deshalb können wir jetzt nicht mehr halbherzig handeln." Gerade als Grenzregion sei Bayern einer besonders großen Gefahr ausgesetzt.

    Ab heute 14 Tage lang wird die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung deutlich eingeschränkt. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte an, die Polizei werde kontrollieren, ob die Ausgangsbeschränkungen eingehalten werden. Jeder müsse glaubhaft machen, warum er draußen unterwegs sei. Einen Einsatz von Drohnen nannte der Innenminister aber nicht sinnvoll, auch Passierscheine müssten nicht ausgestellt werden. Er kündigte aber den Einsatz auch von Bereitschaftspolizisten an. Und auch mit einem Bußgeld müssen jene rechnen, die sich den Anweisungen widersetzen. "Das ist ein Charaktertest für Bayern", betonte Markus Söder.

    Hier finden Sie die vollständige Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege.

    Corona-Krise: Auch andere Bundesländer ziehen die Schrauben an

    Bayern ist nicht das einzige deutsche Bundesland, das die Schrauben anzieht: Auch das Saarland erlässt eine Ausgangsbeschränkung und schließt Gaststätten. In Hessen sollen Restaurants und Gaststätten ab Samstagmittag geschlossen werden. Sachsen will mit Strafen gegen Menschenansammlungen vorgehen. Verstöße gegen Vorgaben der Behörden sollen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet werden können, teilt Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mit. Eine Größenordnung für Ansammlungen wurde dabei nicht genannt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verkündete am Freitag ein Verbot von Menschenansammlungen mit mehr als drei Personen auf öffentlichen Plätzen. Ausnahmen gebe es für Familien und Paare. Gaststätten und Restaurants müssen von Samstag an schließen.

    Weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung von Corona-Infektionen wird Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag mit den Bundesländern beraten. Dabei werde die Wirkung der bisherigen Maßnahmen schonungslos analysiert, kündigte Regierungssprecher Steffen Seibert an. Zugleich gelte es, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. "Wir handeln als Demokratie", sagte er. "Das gilt jetzt, und das wird auch weiter gelten." Kanzleramtschef Helge Braun sieht den Samstag als eine Wegmarke. "Wir werden uns das Verhalten der Bevölkerung an diesem Wochenende anschauen", sagte der CDU-Politiker dem Spiegel. "Der Samstag ist ein entscheidender Tag, den haben wir besonders im Blick."

    In der SPD ist man geteilter Meinung zu einer Ausgangssperre

    Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sieht die Einführung von Ausgangssperren skeptisch. "Ich finde die Idee problematisch, weil dann womöglich der Lagerkoller droht – vor allem, wenn Kinder mit im Spiel sind", sagte Esken dem Handelsblatt. Sie hoffe, dass Appelle Menschen zur Vernunft brächten. Das sehen nicht alle Parteikollegen so. "Der Weg, den Bayerns Ministerpräsident Söder mit weitreichenden Ausgangsbeschränkungen einschlägt, ist richtig", sagt der SPD-Abgeordnete und Arzt Karl Lauterbach unserer Redaktion. "Ich befürchte, dass wir auch bundesweit an Ausgangssperren nicht vorbeikommen, die wir auch länger durchhalten müssen." Gerade junge Leute würden glauben, Corona sei wie eine leichte Erkältung. "Doch es gibt auch viele junge Menschen, die Vorerkrankungen haben. Ihr Leben ist gefährdet", sagt der Gesundheitsexperte. "Jung und Alt müssen jetzt zusammenstehen."

    Alleingänge: Ärztepräsident kritisiert Entscheidungen der Länder

    Doch auch von Ärzteseite gibt es kritische Worte. "Eigentlich hat die Politik der Bundesregierung in der Hand von Jens Spahn sechs Wochen hervorragend funktioniert", sagt Frank Montgomery, Chef des Weltärztebundes. "Aber inzwischen sind die Ministerpräsidenten der Bundesländer in einen Wettstreit verschärfender Maßnahmen getreten." Wenn wie in Schleswig-Holstein die Inseln von Touristen geräumt würden, dann sei die Verhältnismäßigkeit überschritten. "Diese Kleinstaaterei ist inzwischen ein Problem, das immer mehr in merkwürdigen Ideen resultiert", sagt Montgomery. Die bayerische Regel, die noch keine echte Ausgangssperre enthält, sei zwar im Grunde vernünftig. Doch Söder brauche eine Strategie, wie er aus der Situation wieder herauskommen möchte. "Was glaubt er, hat sich in 14 Tagen verändert?", fragt der Weltärzte-Chef. "Ganz ehrlich: Die Situation ist in zwei Wochen eher schwieriger als heute." Und dann werde die Gefahr, dass die Bevölkerung die Maßnahmen nur noch als repressiv wahrnimmt, größer, glaubt Montgomery. "Absolute Ausgangssperren sind etwas für den Krieg, nicht für Gesundheitssituationen."

    So schwierig die politische Abwägung ist – rechtlich hat Ministerpräsident Markus Söder nichts zu befürchten. Die Staatsrechtlerin und ehemalige Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff hält selbst eine Ausgangssperre auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes  für mit dem Grundgesetz vereinbar. "Wenn Empfehlungen zum Abstandhalten von den Bürgern in erheblicher Zahl nicht freiwillig befolgt werden, können für eine begrenzte Zeit auch Ausgangssperren verhältnismäßig sein", sagte die Bielefelder Professorin unserer Redaktion. Länger andauernde derart massive Eingriffe seien allerdings nur für bestimmte Risikogruppen zu rechtfertigen, betonte sie.

    Über alle Entwicklungen rund um das Coronavirus informieren wir Sie in unserem Live-Blog.

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