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Corona-Krise: 200 Millionen Euro Schaden? Wie beim Kurzarbeitergeld betrogen wird

Corona-Krise

200 Millionen Euro Schaden? Wie beim Kurzarbeitergeld betrogen wird

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    Die Agentur für Arbeit prüft zahlreiche Anzeigen wegen Betrug beim Kurzarbeitergeld.
    Die Agentur für Arbeit prüft zahlreiche Anzeigen wegen Betrug beim Kurzarbeitergeld. Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Symbol)

    Ende Mai rückten Zollfahnder und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit in der Zentrale einer großen deutschen Einzelhandelskette an und durchsuchten Büros und Firmencomputer. Der Verdacht lautete möglicher Betrug beim Kurzarbeitergeld. Mitarbeiter hatten sich beschwert, dass trotz Kurzarbeit zahlreiche Überstunden eingefordert und weder erfasst noch abgerechnet würden. Ein schwerer Vorwurf: Mehr Arbeit als angegeben ist bei Kurzarbeit verboten. Nicht nur der Arbeitgeber könnte sich dabei strafbar machen, sondern auch die Beschäftigten wegen Beihilfe zum Subventionsbetrug.

    Bei der unter den Folgen des Lockdowns und Pandemie leidenden Handelskette gab es allerdings keine Beanstandungen im Zusammenhang mit Kurzarbeitergeld. Bislang ermitteln die Staatsanwaltschaften lediglich gegen knapp zwei Dutzend Unternehmen wegen Betrugsverdachts bei Kurzarbeit. Der Schaden soll sich dabei auf immerhin über sechs Millionen Euro belaufen. Laut Arbeitsministerium liegen derzeit bei 2100 Unternehmen Hinweise auf Leistungsmissbrauch beim Kurzarbeitergeld vor.

    Zollgewerkschaft nennt Fälle nur die Spitze des Eisbergs

    Die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft BDZ hält das wahre Ausmaß des Betrugs für deutlich größer. "Das ist nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs", sagt der Bundesvorsitzende Dieter Dewes unserer Redaktion. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls versucht bei Razzien Sozialbetrug aufzudecken, zum Beispiel, wenn Beschäftigte weiter Vollzeit arbeiten, obwohl der Arbeitgeber für sie Kurzarbeit angemeldet hat.

    "Da die Arbeitsagenturen in der Corona-Krise die Anträge auf Kurzarbeit kaum prüfen und schnell genehmigen, besteht ein erhöhtes Risiko des Missbrauchs", sagt Dewes. "Weil ab dem siebten Monat die gesamten Sozialversicherungsbeiträge erstattet werden, gibt das für Arbeitgeber einen weiteren Ansporn, Kurzarbeit in Anspruch zu nehmen", erklärt der Zollgewerkschafter. "Die Erfahrungswerte zeigen, dass hierbei betrügerische Absichten nicht zu kurz kommen", betont Dewes. "Kurzarbeitergeld ist ein Instrument mit Missbrauchspotenzial."

    Mindestens 200 Millionen Euro Schaden?

    In der Finanzkrise ergab die Schlussprüfung der bewilligten Kurzarbeitergelder, dass 1,4 Prozent zu Unrecht ausbezahlt wurden. Bei 14,3 Milliarden Euro, die die Bundesagentur allein bis August in diesem Jahr ausbezahlt hat, wären dies über 200 Millionen Euro. Dewes glaubt, dass die wahre Missbrauchsquote viel höher liegt, weil der Arbeitsagentur nicht genug Prüfer zur Verfügung stünden. Er kritisiert, dass es nicht mal eine Statistik zu Betrugs- und Missbrauchsfällen gibt: "Wir haben aus der Finanzkrise Nichts gelernt: Eine statistische Auswertung der Betrugsfälle wäre heute wichtiger denn je", kritisiert er. "Es scheint, dass beim Kurzarbeitergeld ein gewisses Ausmaß an Betrug einkalkuliert wird auf Kosten der Beitrags- und Steuerzahler."

    DGB-Vorstand Anja Piel ist stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit, dem Aufsichtsrat der Nürnberger Behörde. "Jeder Missbrauch der Kurzarbeiterregelung ist einer zu viel", sagt die Gewerkschafterin. "Wer dies tut, bereichert sich an der Solidargemeinschaft und schadet damit auch all jenen Unternehmen – und das ist der Großteil –, die ordentlich angemeldet sind und sich an die Gesetze halten." Sie fordert "eine punktgenaue Überprüfung und konsequente Ahndung des Leistungsmissbrauchs".

    Arbeitsagentur plant Kontaktformular für Mitarbeiteranzeigen

    Inzwischen hat die Bundesarbeitsagentur spezielle Checklisten erarbeitet, um es Prüfern erleichtern zu sollen, Missbrauch aufzudecken, sagt eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums. Zudem soll es ein Kontaktformular geben, mit dem Arbeitnehmer Leistungsmissbrauch in ihren Betrieben anzeigen können. "Die Kontrollen müssen definitiv intensiviert werden", fordert die Grünen-Arbeitsmarkt-Expertin Beate Müller-Gemmeke.

    Daher sollte auch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit hier den Auftrag erhalten eigenständig zu kontrollieren", sagte die Grünen-Abgeordnete. "Wichtig ist aber auch, dass Kontrollen, Verdachtsmomente und entdeckte Betrugsfälle statistisch genau aufgearbeitet und dokumentiert werden", betont sie.

    Union fordert Schwerpunktrazzien gegen Kurzarbeits-Missbrauch

    "Wir hören an allen Ecken und Enden, dass es missbräuchliche Gestaltung der Kurzarbeit in einzelnen Unternehmen gibt", warnt auch der Arbeitsmarktexperte der Unionsfraktion, Peter Weiß. Der CDU-Politiker baut darauf, dass die Arbeitsagenturen im Nachhinein die Fälle streng prüfen.

    Die nun von der Bundesregierung genannte Summe von 6,2 Millionen Euro, sei nur die ein erster Ausschnitt, da viele Auszahlungen im Nachhinein intensiv geprüft würden. "Für diese Fälle muss gelten: Der Tag der Wahrheit kommt mit der Endabrechnung der Arbeitsagenturen", sagt Weiß. Die Bundesagentur für Arbeit brauche ausreichend Kapazitäten, die Fälle bei der Endabrechnung deutlich genauer auf mögliche Unregelmäßigkeiten kontrollieren, als dies üblicherweise der Fall sei, betont der CDU-Abgeordnete.

    Er fordert zudem strengere Kontrollen: "Wir brauchen eine bundesweite Schwerpunktfahndung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls, um Kurzarbeitsfälle auch ohne konkreten Verdacht stichprobenartig zu prüfen, damit das Entdeckungsrisiko für Betrüger steigt."

    Zoll beklagt auf über tausend unbesetzte Stellen

    Zollgewerkschafter Dewes hätte dagegen wenig einzuwenden, außer dass die Politik seit Jahren zu wenig Personal für Kontrollen zur Verfügung stellt: "Allein bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zählen wir 1400 unbesetzte Planstellen."

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